Kriminelle Jugendliche
Die neue alte Debatte über das Strafmündigkeitsalter

Angesichts der gestiegenen Kinder- und Jugendkriminalität fordern CDU-Politiker, das Alter für die Strafmündigkeit in Deutschland herabzusetzen. Pädagogen und Juristen kritisieren den Vorstoß und setzen sich für mehr Prävention ein.

13.04.2024
    Eine Gruppe von Jugendlichen
    Die Zahl der in Deutschland registrierten Straftaten ist im vergangenen Jahr gestiegen – auch bei Kindern und Jugendlichen. (picture alliance / Photoshot)
    Ab welchem Alter sollen Jugendliche für Straftaten rechtlich belangt werden können? Aktuell liegt die Strafmündigkeit bei 14 Jahren, die Polizei erfasst aber Jahr für Jahr mehr tatverdächtige Kinder unter 14 Jahren.

    Inhalt

    Hat die Kinder- und Jugendkriminalität zugenommen?

    Die Polizeiliche Kriminalstatistik für 2023 verweist auf eine deutlich gestiegene Kinder- und Jugendkriminalität in Deutschland. So wurden gut 104.000 tatverdächtige Kinder unter 14 Jahren ermittelt - ein Zuwachs von zwölf Prozent im Vergleich zu 2022, gegenüber dem Vor-Corona-Jahr 2019 sind es sogar 43 Prozent mehr. Bei Jugendlichen von 14 Jahren bis zur Volljährigkeit liegt die Zahl mit rund 207.000 Tatverdächtigen ebenfalls deutlich über den Vorjahren.
    Die Statistik zeigt die Anzahl der straftatverdächtigen Kinder, Jugendlichen und Heranwachsenden in Deutschland von 2013 bis 2023.
    Im zeitlichen Verlauf zeigt sich, dass die Anzahl der tatverdächtigen Kinder und Jugendlichen zuletzt zugenommen hat - es in früheren Jahren aber auch schon mal mehr waren. (Destatis / Bundeskriminalamt)

    Höhere Zahlen, niedriger Stand

    Der Kriminologe Tobias Singelnstein sieht in den Zahlen jedoch wenig Grund zu Sorge. Vergleiche man sie mit Daten von vor etwa 25 Jahren, „sind wir heute noch immer auf einem sehr niedrigen Stand, was tatverdächtige Kinder und Jugendliche angeht", betont er. "2001, 2002 hatten wir sehr viel höhere Zahlen. Insofern kann man aus kriminologischer Sicht sagen: Das sind jetzt keine dramatischen Werte.“

    Ab welchem Alter ist man strafmündig?

    Strafmündigkeit bedeutet, dass einem Menschen ab einem bestimmten Alter vom Gesetzgeber zugetraut wird, das Unrecht einer Tat einzusehen. Außerdem muss er sein Handeln nach diesem Wissen ausrichten können. Kurzgefasst: Er braucht Einsichts- und Steuerungsfähigkeit.
    Die Strafmündigkeit beginnt in Deutschland mit dem 14. Geburtstag. Natürlich sei die Altersgrenze genau wie beispielsweise das Wahlalter relativ willkürlich festgesetzt, sagt Maria Kleimann, Jugendrichterin am Amtsgericht Neustadt. „Aber wir brauchen eben einen gewissen Reifegrad bei jungen Menschen, um sie auch bestrafen zu können.“
    Laut Paragraf 19 Strafgesetzbuch sind Jugendliche "schuldunfähig", wenn sie noch keine 14 Jahre alt sind. Im Alter zwischen 14 bis 17 Jahren sind sie nur in Teilen strafmündig, es gilt das Jugendstrafrecht. Voll strafmündig ist man erst ab dem 18. Lebensjahr. Bis zum 21. Lebensjahr kann trotzdem noch das Jugendstrafrecht angewandt werden - abhängig von Reifegrad des Angeklagten. Erst danach greift immer das Erwachsenenstrafrecht.

    Welche Ursachen kann die gestiegene Kinder- und Jugendkriminalität haben?

    Expertinnen und Experten des Bundeskriminalamts (BKA) sehen das Ende der coronabedingten Einschränkungen als eine der Ursachen für die Zunahme von Straftaten. Dadurch seien mehr Menschen im öffentlichen Raum unterwegs – und das biete wiederum mehr Anlässe für Straftaten. Auch hätten Kinder und Jugendliche mit erhöhten psychischen Belastungen als Folge der Corona-Maßnahmen zu kämpfen. Das könne sich auf die Anfälligkeit, Straftaten zu begehen, auswirken.
    Auch der Kinder- und Jugendpsychiater Marc Allroggen verweist auf mögliche Nachhol- und Folgeeffekte aufgrund von Corona. „Wir haben in den letzten Jahren eine schwierige soziale Situation für viele Familien gehabt“, betont er.
    Zudem machen sich wirtschaftliche und soziale Belastungen – beispielsweise durch gestiegene Preise – bemerkbar. In den wirtschaftlich schwierigen Zeiten seien viele Familien an ihre Grenzen gekommen, sagt Allroggen.

    Zu wenig Hilfsangebote

    Zugleich fehle es an Unterstützungsangeboten: „Wir haben lange Wartezeiten auf Therapieplätze. Wir haben Defizite in der Betreuung, in der Primärbildung in den Kindergärten, in den Schulen. Wir haben Defizite in der Versorgung in den Jugendämtern. Das sind alles Defizite, die eine Rolle spielen.“
    Als weiterer Faktor wird vom Bundeskriminalamt die Migration genannt, konkret die hohe Zuwanderungsrate. Es sei davon auszugehen, dass viele Schutzsuchende mehrere Risikofaktoren für verschiedene Deliktsbereiche aufwiesen, heißt es.
    Dazu gehören demnach die Lebenssituation in den Erstaufnahmeeinrichtungen, wirtschaftliche Unsicherheit und Gewalterfahrungen. „Wir haben sicherlich auch große Schwierigkeiten, adäquat Menschen mit Fluchterfahrungen gut zu integrieren“, bestätigt Allroggen.

    Wie wird über die Senkung des Strafmündigkeitsalters debattiert?

    Vor allem einige Unionspolitiker wie der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Herbert Reul, haben die neue Debatte über eine Absenkung des Strafmündigkeitsalters angestoßen. "Wenn immer mehr Kinder und Jugendliche Bomben bauen oder jemanden ein Messer in den Bauch stoßen, dann kann man nicht sagen: Der hat gar keine Verantwortung", sagte Reul.
    Der NRW-Landtagsabgeordnete und ehemalige Polizist Christos Katzidis spricht sich zwar gegen politische Schnellschüsse aus und fordert präventive Maßnahmen. Doch er verweist auch auf Mehrfachtäter.

    Eine frühe Strafmündigkeit soll abschrecken

    Wenn man sich Tatverdächtige anschaue und feststelle, "dass da auch Kinder dabei sind oder Jugendliche, die zum Tatzeitpunkt 14, 15 sind, und vorher aber schon mehrere Straftaten begangen haben, dann muss man schon mal die Frage stellen, ob die wirklich so unreif sind oder eigentlich schon einen anderen Reifegrad haben“, so Katzidis.
    Auch der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Günter Krings, befürwortet eine Herabsetzung des Strafmündigkeitalters. Er sieht darin eine geeignete Maßnahme zur Abschreckung.
    Widerspruch kommt unter anderem von den Grünen. „Die Strafmündigkeit ab dem Alter von 14 Jahren hat sich seit über hundert Jahren bewährt“, sagte NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“. Ihre Einführung im Jahr 1923 habe auf dem heute immer noch richtigen Credo beruht: „Härte allein ist völlig nutzlos.“
    Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hält eine Absenkung des Strafmündigkeitsalters ebenfalls für wenig sinnvoll. Das verhindere Straftaten nicht. Dem stimmt die Jugendrichterin Maria Kleimann zu. Auch dem Argument, Kinder seien inzwischen frühreifer und daher auch früher für begangene Straftaten zur Verantwortung zu ziehen, widerspricht sie. Heutige Jugendliche seien „genauso unsicher, emotional verletzlich und manipulierbar" wie vor 50 oder 100 Jahren.

    Mehr Angebote für Bildung und Teilhabe

    Der Pädagoge Burak Yilmaz findet es ebenfalls nicht sinnvoll, Kinder unter 14 Jahren dem Jugendstrafvollzug auszusetzen. Dort kämen sie schließlich mit Jugendlichen in Kontakt, "die noch viel schlimmer drauf sind" und könnten sich so "weiteres kriminelles Wissen aneignen“.
    Yilmaz plädiert dafür, in von Armut betroffenen Stadtteilen mehr Raum für Kunst und Kultur zu schaffen und Schulen stärker zu unterstützen. „Da würde ich mir wünschen, dass wir gerade in dem Punkt mehr Angebote in Bezug auf Bildung und Teilhabe schaffen.“

    lkn