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Strafrechtler zur Armenier-Resolution
"Verantwortung Deutschlands sehr, sehr wichtig"

Er glaube nicht, dass "solche großsprecherischen Resolutionen eines Bundestages" in der Türkei Denkprozesse in Gang setzen, sagte der Strafrechtler Kai Ambos im DLF. Positiv bewertete er, dass die Verantwortung des Deutschen Reichs in der Resolution klar benannt wird.

Kai Ambos im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Demonstration gegen die geplante Bundestagsresolution zum Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs.
    Der Strafrechtler Kai Ambos befürchtet, dass die deutsche Resolution in der Türkei eine Abwehrhaltung auslöst (dpa-Bildfunk / Paul Zinken)
    Jasper Barenberg: Die meisten Historiker erkennen den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich heute als Tatsache an. Vor dem Bundestag haben heute rund 20 Staaten den Massenmord als Genozid bezeichnet. Auch der Papst sprach vom ersten Völkermord im 20. Jahrhundert. Ein Fragezeichen bei diesem Begriff macht dagegen der Jurist Kai Ambos. Er lehrt Strafrecht an der Universität Göttingen. Vor dieser Sendung habe ich Kai Ambos nach seinen Zweifeln gefragt.
    Kai Ambos: Wenn man diesen Begriff als juristischen Begriff, als völkerrechtlichen Begriff nimmt, dann sind sehr strenge Anforderungen von der Rechtsprechung an den Nachweis eines Völkermords gerichtet worden. Unter anderem muss eine Zerstörungsabsicht gegeben sein. In jüngster Zeit vielleicht als Beispiel: Im Verfahren gegen Radovan Karadzic vor dem Jugoslawien-Tribunal wurde er einerseits wegen Völkermord verurteilt, wegen der Taten in Srebrenica, aber wegen anderer Taten seiner Untergebenen in den bosnischen Dörfern wurde er nicht wegen Völkermord verurteilt, weil das Jugoslawien-Tribunal in diesem Fall der Auffassung war, man könne ihm eine Zerstörungsabsicht nicht nachweisen.
    Armbrüster: Das ist nun eine juristische Argumentation. Warum ist die in Ihren Augen auch für Politiker beispielsweise wichtig, die überlegen, ob es eine solche Resolution im Bundestag geben soll, wo man sich so festlegt auf diesen Begriff?
    Ambos: Man kann natürlich einen sozialwissenschaftlichen oder politischen Begriff von Völkermord verwenden und in einer solchen Resolution wie auch der französischen und anderen Resolutionen ist das sicher der Begriff, der zugrunde zu legen ist. Insofern darf man da jetzt auch nicht juristisch herumkritteln und sagen, die hätten doch mal genauer juristisch das definieren müssen. Nur ist natürlich das Stigma mit dem Begriff Völkermord und Genozid ganz eng verbunden mit den Verfahren wegen Genozid, wegen Völkermord gegen bestimmte Personen, und so erklärt sich ja auch diese Reaktion. Das ist eben das Verbrechen der Verbrechen und es ist für einen Staat gerade in der Nachfolge jetzt mit der derzeitigen türkischen Regierung dieses Osmanischen Reiches natürlich ein sehr schwerer Vorwurf. Wir hatten ja auch ein wichtiges Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof, also jetzt nicht Strafgerichtshof, sondern dem Internationalen Gerichtshof Bosnien gegen Serbien, wo es auch um die Frage ging, ist das, was in dem Jugoslawien-Krieg passiert ist, ein Völkermord, und da hat sich Serbien mit Händen und Füßen verteidigt, dass der IGH nicht sagt, das war ein Völkermord.
    "Zufrieden, was die Verantwortung des Deutschen Reichs angeht"
    Barenberg: Würden Sie denn so weit gehen und sagen, wir wissen ja, die Historiker sind in ihrer Mehrheit, jedenfalls in ihrer großen Mehrheit der Meinung, das ist eine Tatsache, dieser Völkermord, dieser Genozid, würden Sie trotzdem sagen, politisch betrachtet, die Resolution im Bundestag war insofern ein Fehler?
    Ambos: Ich finde den Teil zur Verantwortung Deutschlands sehr, sehr wichtig, weil ich generell Probleme damit habe, wenn sich ein politisches Organ mit einer Wertung in Verhältnisse anderer Staaten einmischt. Es ist ja in gewisser Weise auch eine Anmaßung, jetzt mal unabhängig von dieser konkreten Frage, dass ein politisches Gremium in einem Land ein historisches Ereignis in einem anderen Staat bewertet und dann noch so bewertet mit einer sehr starken Äußerung, nämlich Völkermord. Und man muss ja immer sagen, schaut doch mal, wie ist eure Verantwortung. Deswegen bin ich sehr zufrieden mit der Resolution, was die Verantwortung des Deutschen Reichs angeht, dass die da auch drinsteht. Das ist meines Wissens in der französischen Resolution nicht so gewesen. Denn sonst setzt man sich natürlich dem Vorwurf aus, ihr mischt euch da in innere Angelegenheiten von uns ein, aber schaut doch mal, wie eure Beteiligung war an diesen Verbrechen.
    Ambos: Türkei könnte Abwehrhaltung einnehmen
    Barenberg: Diesen Vorwurf, sich einzumischen, weisen die beteiligten Politiker ja ausdrücklich zurück. Sie sagen, es sei keine Anklage, es sei vielmehr die Resolution von dem Wunsch geleitet, die Aufarbeitung zu befördern. Sie haben jetzt von einer Anmaßung gesprochen. Sehen Sie denn eine Chance, dass man mit solchen politischen Resolutionen - auch in anderen Ländern sind die ja erfolgt - diese Aufarbeitung in der Türkei befördern kann?
    Ambos: Ich bin da eher skeptisch, muss ich sagen. Ich glaube nicht, dass die durch solche großsprecherischen Resolutionen eines Bundestages, eines Bundestags - eines nationalen Parlaments, wo sie etwas deklarieren, was ja keinen Widerspruch zulässt, irgendwelche Denkprozesse in Gang setzen. Das, glaube ich, geht eher, indem man im Kleinen vielleicht über die diplomatischen Beziehungen oder in Seminaren, im Wissenschaftsaustausch eine kritische Masse versucht zu entwickeln und dass dann in der Türkei etwa darüber geforscht wird. Das gibt es ja auch schon in Ansätzen. Im jetzigen Klima ist das alles sehr schwer, aber ich weiß nicht, ob es nicht eher kontraproduktiv ist, weil dann so ein Staat eine Abwehrhaltung einnimmt und dann sagt, jetzt werden wir erst recht nicht mehr über dieses Thema in diesem Sinne weiter forschen oder weiter uns Gedanken machen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.