Innerhalb weniger Minuten richtete ein junger Österreicher am 2. November ein Blutbad an. In der Wiener Innenstadt schoss er um sich, tötete vier Menschen und verletzte viele weitere, bis die Polizei ihn mit einem gezielten Schuss tötete. Nach allem, was heute bekannt ist, war der Mann ein Islamist, ein Sympathisant der Terrororganisation "Islamischer Staat". Für Österreich war es das erste islamistisch motivierte Attentat überhaupt. Die konservativ-grüne Bundesregierung des Landes will den Terrorismus jetzt mit neuen Gesetzen bekämpfen. So soll es ein Verzeichnis aller Imame geben, terroristische Täter sollen nach dem Ende ihrer Haftstrafe in einen lebenslangen Maßnahmenvollzug kommen können und der politische Islam soll ein eigener Straftatbestand werden. Das wirft Fragen auf: Was ist der politische Islam überhaupt und wie kann man sich damit strafbar machen?
Mathias Rohe ist Islamwissenschaftler und Juraprofessor an der Universität Erlangen-Nürnberg. Sein vielbesprochenes Buch über das islamische Recht gilt als Standardwerk.
Monika Dittrich: Lassen Sie uns mal vorne anfangen: Was ist mit dem politischen Islam überhaupt gemeint?
Mathias Rohe: Wenn wir das nur so genau wüssten. Bisher sind wir ganz gut gefahren mit dem Begriff des Islamismus. Das heißt: eine – ja – Religion mit politischem Anspruch. Man kann diesen Begriff des politischen Islam mit sinnvollen Inhalten füllen. Das wäre vor allem, dass es sich um eine Herrschaftsideologie handelt, also nicht etwa eine Überzeugung für private Lebensführung, sondern eine Herrschaftsideologie, die im Gegensatz steht zu den Grundsätzen des demokratischen Rechtsstaats, zu Menschenrechten, zur Gleichberechtigung von Geschlechtern und Religionen und so weiter.
"Mit einem vagen Tatbestand käme man nicht weiter"
Dittrich: Und kann man so eine Einstellung zum Straftatbestand machen?
Rohe: Das halte ich für ausgeschlossen, wenn man diesen Begriff selbst als Straftatbestand formulieren wollte – einfach deswegen, weil dieser Begriff völlig vage ist, inhaltlich noch aufgefüllt werden muss. Und es würde sich dann sehr stark beißen mit dem Bestimmtheitsgrundsatz, den wir im Strafrecht im Rechtsstaat haben müssen. Die Menschen müssen wissen, was sie tun dürfen und was sie nicht tun dürfen. Und mit einem solchen vagen Tatbestand käme man sicherlich nicht weiter. Was man natürlich tun kann, ist, zu versuchen, durch Einzelmaßnahmen die Probleme, die sich mit diesem politischen Islam verbinden, dann anzugehen. Zum Beispiel, dass man Gefährder eben sehr viel konsequenter als bislang versucht zu überwachen – elektronische Fußfessel als Stichwort also. Da gibt es eine Menge Ideen, die man umsetzen könnte. Ein paar Erleichterungen im Datenschutz würden auch weiterhelfen. Aber ich warne davor, jetzt einen Rundumschlag zu machen, der höchstwahrscheinlich nicht Bestand hätte vor rechtsstaatlichen Maßstäben.
Nicht nur eine Form von Extremismus herausgreifen
Dittrich: Wenn man das trotzdem mal weiterdenkt, dann müsste man ja radikal linke oder rechte Ideen, also Extremismus rechts und links auch automatisch zum Straftatbestand machen, also auch die Geisteshaltung schon.
Rohe: Ja, das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Das Strafrecht im Rechtsstaat zeichnet sich dadurch aus, dass normalerweise nur begangene Straftaten unter Strafe gestellt werden, auch Vorbereitungshandlungen, wenn sie besonders gefährlich sind. Da kann man schon noch ansetzen. Oder man kann auch – das wird diskutiert – an Strafverschärfungen denken. Aber in der Tat, wir haben ja nicht nur Probleme mit dem Islamismus. Wir haben Probleme mit Rechtsextremismus, mit nationalistischer Übersteigerung, Linksextremismus. Das heißt: Eine Strafverschärfung, Tatbestand extremistische Motive, das lässt sich noch vorstellen. Aber nur eins von den vielen herauszugreifen, das würde dann doch wieder Debatten auslösen – berechtigterweise auslösen: Und warum gerade die und warum nicht die anderen, die ja auch als sehr gefährlich gelten, nicht zuletzt der Rechtsextremismus.
Mehr Motivforschung, Gefährder überwachen
Dittrich: Wenn Sie die Möglichkeiten des Strafrechts hier kritisch sehen - was wäre denn aus Ihrer Sicht eine angemessene politische Reaktion auf einen solchen Terrorakt?
Rohe: Ja, wir müssen letztlich überprüfen: Was sind die Ursachen? Warum radikalisieren sich gerade junge Leute so? Es ist nicht immer leicht nachzuvollziehen. Das passiert schnell. Die Sicherheitsbehörden machen oft auch schon sehr gute Arbeit. Aber da ist durchaus noch Luft nach oben in Richtung Motivforschung. Und vor allem natürlich: Wir müssen diesen Radikalen etwas entgegensetzen, die sich überall im Internet tummeln oder die, beispielsweise von Saudi-Arabien oder aus anderen Ecken gesteuert, ihre extremistische Propaganda über die ganze Welt verbreiten.
"Wenn man die Debatte fair führt, können wir weiterkommen"
Dittrich: Entschuldigung, wenn ich Sie da unterbrechen muss. Was kann man denen konkret entgegensetzen?
Rohe: Also vor allem ein solides muslimisches Bildungssystem, das sicher teilweise in den Händen von muslimischen Gemeinden liegen kann. Aber ich denke, auch der Staat, seine Bildungseinrichtung, die Schulen, haben hier eine ganz wichtige Funktion. Wir haben das ja erfreulicherweise in Deutschland etwa mehr und mehr, dass Leute, die hier sozialisiert sind, nach hiesigen pädagogischen Maßstäben einen authentischen Islam an die neuen Generationen vermitteln, der nicht mit Angstpädagogik arbeitet – nicht Koran auf den Kopf hauen -, sondern der er den jungen Leuten ermöglicht, sich selber zu positionieren innerhalb ihrer Religion. Das scheint mir ein ganz wichtiger Punkt zu sein. Und dann vor allem auch: Wir müssen Maß halten, trotz aller Empörung über solche furchtbaren Anschläge. Das heißt: Die vielen Anständigen, die Leute, die sich nicht mit dieser Ideologie identifizieren unter den Muslimen, sondern ganz im Gegenteil zu uns allen gehören, denen müssen wir eine faire Teilhabe ermöglichen. Die dürfen wir nicht diskriminieren. Und die dürfen wir nicht unter Generalverdacht stellen. Das ist nicht zu unterschätzen.
Dittrich: Werden die durch eine solche Debatte – über eine Strafverschärfung, politischen Islam als Straftatbestand – diskriminiert?
Rohe: Je nachdem, wie man diese Debatte führt. Man kann über Einzelmaßnahmen diskutieren. Und ich glaube, sehr viele Menschen aus der muslimischen Bevölkerung stehen auch dahinter, dass man diesem Extremismus Einhalt gebietet. Sie leiden ja mit darunter. Es gibt ja auch muslimische Opfer immer wieder. Von daher: Wenn man die Debatte fair führt, unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten – das heißt eben, allen Extremismus im Auge behält, und nicht das eine gegen das andere aufrechnet – dann, denke ich, können wir weiterkommen. Wenn man nur das herauspickt – nach dem Motto: wir zeigen jetzt der Bevölkerung, dass wir das tun – dann wäre das wohl zu kurz gegriffen.
"Prävention ist entscheidend"
Dittrich: Nach den jüngsten Anschlägen in Frankreich und Österreich gab es auch eine Debatte darüber, ob der Islamismus zuletzt unterschätzt wurde. Wie ist Ihre Erfahrung?
Rohe: Also den Eindruck habe ich überhaupt nicht. Und das lässt sich auch gut belegen. Wir haben nach wie vor Behörden, die mit großem Personaleinsatz sich um diese Dinge kümmern. Es wurden allerlei Anschläge, Gott sei Dank, auch verhindert. Von denen hört man dann nicht so viel. Es wurden keine Stellen gekürzt. Und das ist vielleicht auch noch ein wichtiger Punkt. Wenn wir über Maßnahmen nachdenken im Strafgesetz, die sich praktisch nicht umsetzen lassen, weil man die Ressourcen nicht hat, ist ein sehr schlechtes Gesetz. Das heißt, wir müssen einfach auch die Sicherheitskräfte entsprechend ausstatten, dass sie ihre Arbeit machen können. Auch da ist teilweise noch Luft nach oben. Und vor allem noch mal: Prävention ist aus meiner Sicht fast schon das Entscheidende. Das heißt: den weiteren Ausbau eines adäquaten muslimischen Bildungssystems mit europäischen Standards, aber eben auch unter maßgeblicher Einbeziehung der Muslime selbst. Nicht über Muslime reden, mit Muslimen reden.
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