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Strahlende Altlast in Fukushima
Radioaktives Wasser könnte im Meer verklappt werden

Bei den havarierten Kernreaktoren an der Küste Japans sammeln sich seit 2011 große Mengen radioaktives Kühlwasser. Fast 1000 große Tanks sind inzwischen voll damit. Weil der Platz knapp wird, will der ehemalige Kraftwerksbetreiber Tepco die strahlende Brühe bald ins Meer leiten - oder verdampfen.

Von Dagmar Röhrlich |
Wassertanks nahe dem havarierten Atommeiler Fukushima Daiichi
In riesigen Tanks auf dem Gelände der Reaktor-Ruinen in Fukushima Daiichi lagert Wasser, das mit Radionukliden belastet ist. (imago / Kimimasa Mayama)
Weite Bereiche des Betriebsgeländes von Fukushima Daiichi erinnern an ein Tanklager bei einem internationalen Flughafen-Drehkreuz – nur viel größer. Die blauen, grauen und weißen Tanks stehen dicht nebeneinander und sind voll mit Wasser. Wasser, das die geschmolzenen Reaktorkerne gekühlt hat, plus das, was an Regen- und Grundwasser immer noch in die Anlagen dringt. Bevor diese Wassermassen in den Tanks landen, sind sie so gut wie möglich dekontaminiert worden, erklärt Christophe Xerri von der Internationalen Atomenergieorganisation IAEO in Wien: "Nur ein Stoff lässt sich nur sehr schwer entfernen: das Tritium, der radioaktive Wasserstoff. Wegen dieses Tritiums wird das Wasser bis auf weiteres nach der Dekontamination in den Tanks gespeichert."
Radioaktiver Wasserstoff ist das Problem
Tag für Tag landet mehr tritiumhaltiges Wasser in den Tanks. Bislang sind 1,2 Millionen Kubikmeter kontaminiertes Wasser zusammengekommen – genug um 420 Olympia-Schwimmbecken zu füllen. Viel mehr darf es nicht mehr werden, sagt Uwe Stoll von der GRS, der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit in Köln: "Man geht davon aus, dass man auf dem Gelände nur noch maximal 1,4 Millionen Kubikmeter Wasser lagern kann. Das heißt, es ist also abzusehen, dass im Jahre 2022 die Lagerkapazitäten erschöpft sind."
Einfach abwarten, ist keine Option
Deshalb muss bald entschieden werden, was mit dem strahlenden Wasser in den Tanks passieren soll. Tritium hat eine Halbwertzeit von rund zwölf Jahren. Warten ist also keine Option. Um die beste Option auszuloten, hatte eine Expertengruppe fünf Methoden zur Beseitigung untersucht: Auf dem Tisch lag dabei unter anderem die Idee, das Wasser in den Untergrund zu pressen oder den radioaktiven Wasserstoff abzutrennen, erklärt IAEO-Experte Christophe Xerri.
"Von den fünf Methoden werden zwei im normalen Betrieb eines Kernkraftwerks eingesetzt, erfordern also kaum Entwicklungsarbeit. Und weil die Entscheidung bald fallen muss, haben die Verantwortlichen beschlossen, sich auf die beiden erprobten Lösungen konzentrieren."
"Ablassen ins Wasser wird in jedem Kernkraftwerk durchgeführt"
Bei beiden Verfahren wird das Wasser noch einmal durch die Dekontaminationsanlage geschickt. Das Ziel dabei: Die Konzentration aller Radionuklide außer Tritium zu reduzieren – und zwar soweit, dass sie unterhalb der Grenzwerte liegen, die für die Einleitung in die Umwelt gelten. Was dann mit dem immer noch tritiumhaltigen Wasser passiert, hängt davon ab, welche Methode gewählt wird. Soll es in den Ozean abgelassen werden, wird es mit Meerwasser solange verdünnt, bis die Grenzwerte eingehalten werden. Christophe Xerri: "Das Ablassen ins Wasser wird in jedem Kernkraftwerk durchgeführt. Das ist Teil des normalen Betriebs, und man hat mit diesem Verfahren sehr viel Erfahrung."
Beim Betreiber Tepco überlegt man derzeit, das Tritiumwasser vor dem Ablassen ins Meer soweit zu verdünnen, dass die Aktivität unter 1500 Becquerel pro Liter sinkt – dem Grenzwert, der für das Grundwasser gilt. Gewählt werden könnte aber auch der Grenzwert für das Verklappen ins Meer. Der liegt für Tritium bei 60.000 Becquerel pro Liter. Nach Aussage des Bundesamts für Strahlenschutz wäre das in etwa vergleichbar mit den deutschen Grenzwerten. Im Ozean jedenfalls verteilt sich das Tritium schnell, so dass es bald kaum noch nachweisbar ist.
Die Alternative: Entsorgung in die Luft
"Auch das Verfahren, das tritiumhaltige Wasser zu verdampfen, ist nicht neu. Es wurde nach dem Unfall des US-amerikanischen Three-Mile-Island-Reaktors angewandt. Außerdem wird beim normalen Kraftwerksbetrieb hin und wieder zur Druckentlastung Dampf abgelassen, und mit diesem Dampf darf dann nach Bewilligung der Aufsichtsbehörde auch Tritium freigesetzt werden."
Bei diesem Verfahren wird das tritiumhaltige Wasser erhitzt und der entstehende Dampf dann mit Luft so weit verdünnt, dass die Konzentration unter den Grenzwert von 5 Becquerel pro Liter Luft liegt.
Radiologisch ist die Gefährlichkeit von Tritium nicht mit der anderer radioaktiver Elemente zu vergleichen. Es ist ungiftig, und die Elektronen, die es beim radioaktiven Beta-Zerfall aussendet, sind so energieschwach, dass eine Plastikfolie oder die Haut sie abfangen. Tritium wird nur dann gefährlich, wenn es in den Körper gelangt. Aber auch dann ist das Risiko gering. Anders als beispielsweise Strontium-90, das sich in den Knochen anlagert und das Krebsrisiko deshalb stark erhöht, wird Tritium kaum vom Gewebe gebunden, betont Christophe Xerri: "Aus dem Körper wird es normalerweise schnell wieder ausgeschieden, es reichert sich also kaum an." Es sei deshalb nicht ganz harmlos, aber auch nicht sehr schädlich, urteilt der IAEO-Experte.
Was die Entsorgung im Ozean angeht, sieht auch Uwe Stoll von der GRS keine großen technischen oder radiologischen Schwierigkeiten. Der strahlende Stoff wird im Meer so stark verdünnt, dass es schnell kaum noch nachweisbar sein dürfte.
Das Verdampfen birgt weitere Risiken
Das Verdampfen und die Abgabe in die Luft hingegen sei schwerer zu kontrollieren. Und der radioaktive Wasserstoff könnte von Menschen eingeatmet werden, erklärt Uwe Stoll: "In der Luft kann ich das gar nicht so kontrollieren. Wenn ich es in die Atmosphäre abgebe, kann der Wind das dann bis nach Tokio wehen. Es verteilt sich natürlich für die menschliche Population in einer anderen Art und Weise als wenn ich es ins Meer ablaufen lasse."
Deshalb bevorzugen die Experten das Konzept, das Wasser über drei bis vier Jahrzehnte hinweg allmählich ins Meer abzulassen. Was es bedeuten würde, wenn das in den Tanks gesammelte Wasser innerhalb von nur zehn Jahren ins Meer abgegeben würde, hat das Bundesamt für Strahlenschutz berechnet: Danach bedeutete das eine zusätzliche Strahlendosis für die Bevölkerung von weniger als einem Mikrosievert pro Jahr. Das entspricht etwa fünf Prozent der mittleren Dosis einer Röntgenaufnahme des Brustkorbs.