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Strahlender Berg

Umwelt.- 1960 startete Frankreich seine Atomtests in der algerischen Sahara, in Reggane. Ein Jahr später wurde die Experimentierbasis 600 Kilometer entfernt nach In Ekker verlegt. Nun veröffentlicht ein französisches Strahlen-Messinstitut eine Vorstudie zur aktuellen Umweltsituation im früheren Testgebiet von In Ekker.

Von Suzanne Krause |
    In In Ekker, im tiefsten Süden von Algerien, ragt der Tan Affela mit 1000 Metern Höhe weithin sichtbar in der Wüste auf. Ein hoher Drahtzaun versperrt weiträumig den Zugang zum Berg. Schilder in arabisch warnen: Achtung, Gefahr. Direkt vor dem Zaun rauschen zahllose Laster über die Wüstenstraße. Am Portal der Absperrung hat Ammar Mansouri vom staatlichen algerischen Atominstitut eine Gruppe Journalisten um sich versammelt:

    Zwischen 1961 und 1966 hat Frankreich hier ingesamt 13 unterirdische Atomtests im Berggestein durchgeführt. Vier gingen schief. Der schlimmste Unfall passierte am 1. Mai 1962: es war der erste GAU vom Typ Tschernobyl. Bei der Explosion schmolz Gestein, mehrere hundert Tonnen hochverstrahlter Lava wurden aus dem Berg geschleudert. Und eine mächtige schwarze Wolke von radioaktivem Gas zog hoch am Himmel übers Land.

    Der Tan Affela wurde so durchgeschüttelt, dass seitdem große Risse seine Flanke durchziehen. Mansouri fürchtet, sie könnten weiter aufreißen und noch mehr Strahlung freisetzen. Die bislang schon herausgeschleuderte Lava könnte Plutonium enthalten, vermutet Roland Desbordes. Desbordes ist Präsident des Criirad, des einzigen unabhängigen Strahlenmessinstituts in Frankreich. Laut offiziellen Studien hatten die Tests keine nennenswerten Folgen. Seit er im vergangenen Oktober Proben für eine Vorstudie in In Ekker einsammelte, ist Desbordes vom Gegenteil überzeugt.

    "Ich habe noch nie einen Ort unter freiem Himmel gesehen, der so hoch radioaktiv belastet ist wie In Ekker. Und der zudem von Menschen und Tieren frequentiert wird. Stellen Sie sich mal vor, man würde in Frankreich oder in Deutschland zulassen, dass auf einem Atommülllager Leute spazieren gehen. Das ist einfach nicht akzeptabel."

    Desbordes gerade veröffentlichter Vorstudie zufolge ist die radioaktive Strahlung der Lava 1000 Mal höher als die normale Strahlung in der Wüste drum herum.

    Deshalb auch ist die Besichtigung des Unfallorts strikt auf eine Viertelstunde begrenzt. Mit dabei ist Bruno Barrillot. Seit über zwei Jahrzehnten kämpft der Franzose mit einem Vereinsnetzwerk dafür, dass Frankreich die Verantwortung für die Folgen seiner Atomtests übernehme. Nun schaut Barrillot auf seinen Geigerzähler.

    "Jetzt kommt der Geigerzähler nicht mehr mit. Da lassen sich die Werte nur noch im Labor bestimmen. Nur so viel: wenn Sie hier zehn Stunden verbringen, haben Sie die höchstzulässige Strahlendosis für ein Jahr. Es ist also sehr gefährlich hier. Vor allem auch, weil Kamele und Ziegen Lücken im Zaun finden und zum Weiden herkommen. Über deren Fleisch, deren Milch gelangt die Radioaktivität dann in die menschliche Nahrungskette."

    Auf dem Bergplateau standen mal schwere Maschinen für den Tunnelbau. Die Explosionswelle schleuderte sie Dutzende Meter durch die Luft. In den vergangenen Jahrzehnten räumten Schrotthändler hier illegal ab– hochverstrahltes Material. Heute noch verbrennen sie Stromkabel, um an die Kupferdrähte zu kommen, wie Reste von Lagerfeuern im Geröll belegen. Dass sie dabei radioaktiven Staub einatmen, ist den Dieben nicht bewusst. Der Atomphysiker Roland Desbordes fordert: In Ekker muss dringend wirklich abgesichert werden. Und die französische Regierung muss klare Auskunft über die damaligen Vorgänge erteilen.

    "Da drüben in der Ebene standen wohl früher einige Gebäude. Ich weiß aber nichts Genaues, denn alle Karten und Unterlagen von den Tests sind im Verteidigungsministerium in Paris unter Verschluss. Da hinten sehen Sie noch die Überreste von Betonplatten. Und einige offene Gräben. Vielleicht haben die Franzosen da verstrahlte Fahrzeuge und anderes Material verbuddelt."

    Vertiefende Studien sind unabdingbar, resümiert Atomphysiker Desbordes. Auch zu den gesundheitlichen Auswirkungen. Laut ersten Beobachtungen algerischer Ärzte erkranken im Süden, wo die Atomtests stattfanden, signifikant mehr Menschen an Krebs als im Norden des Landes.