Irgendwie schöne Aussicht. Dahinter die Andeutung einer Düne. Eine bildhübsche Sopranistin dreht auf dem Strand Pirouetten, als wäre sie jenes totgeschossene Häschen, das auf der Sandbank Schlittschuh lief - als es dunkel war und der Mond helle schien. Mehrfach stürzt sie, steht wieder auf. - Eine Alte im Campingstuhl sticht mit dem Feldstecher in See: "Auf dem Wasser treibt ein Schuh". Vielleicht glotzt die Seniorin, die ihr Gesicht später schwarz eincremt, nur in die Wellen, kann dort nicht wirklich die Spuren eines Unfalls oder von Umweltsünden erkennen.
Oder eben doch: Treibgut, wie es in den letzten Jahren gerade an den Außengrenzen Europas zunehmend angespült wurde. Genau ist das nicht zu erfahren. Aus dem Klang-Graffiti, mit dem Lucia Ronchetti die erste Szene von "Der Sonne entgegen" hinterlegte, schälen sich nur einzelne Sätze - dann allerdings mit weitreichenden Bedeutungsfolgen: "Die Gegenwart ist angekommen" - mit avancierten Vokal-Künsten.
Die an ihm zu Gehör kommenden Text-Partikel bleiben zusammenhanglos oder unbestimmt. Mit Ausnahme einer später eingeblendeten todernsten Parodie auf die alltäglichen Fernseh-Gesprächsrunden mit Experten zum "Kosmopatriotismus" und dem auf der Antarktis vertraglich vereinbarten Multinationalismus als Modell für die künftige Gestaltung der "Weltgemeinschaft". Auch da: Keine Botschaft. Nirgends.
Rechts vor der mattgrauen Plane, die in der weiten Breite voll aufgerissen ist, ist einer gestrandet. Vielleicht einer aus der Ferne. Oder ganz in der Nähe von Hartz IV ausgespuckt. Er zittert (obwohl es, wie die leichte Strand- oder Badekleidung der anderen verrät, gut warm sein müßte).
Das ist so vieldeutig wie manches ironisch oder sarkastisch gemeint sein dürfte: "Die Macht hat kein Interesse an der Zukunft". Eine akustische Welle baut sich bedrohlich auf, kommt nahe, eskaliert - und fegt den Strand leer. Dann wieder viel Stille. Sie ist, wie die Entfernungen oder die jeweilige Nähe, aus denen Geräusch und Ton sich erheben, wohl sehr genau dosiert. Komponiert.
Der Verzicht aufs Narrative war ebenso wie der auf eingängige musikalische Zusammenhänge vollauf beabsichtigt. Dass die entfernten Nachfahren der engagierten Künstler der 20er Jahre gerade auch bei einer Themenvorgabe wie "Migration" nicht mehr mit deren Mittel und Intonationen wie Peter Weiss bei seinem "Inferno" oder Luigi Nono bei seiner "Intolleranza 1960" operieren können, liegt auf der Hand. So galt es für sie, "Grenzgebiete" auszuloten "und die besondere Stimmung, die von ihnen ausgeht".
Das hat dann - in Bild und Ton - waidlich stattgefunden. Ronchettis Episoden integrieren mancherlei Material aus der Musikgeschichte, angefangen von der Madrigalkunst der Monteverdi-Zeit und dem noch viel älteren Adventslied "Mit Ernst, o Menschenkinder" bis zu Wagner- und Verdi-Assoziationen oder Gustav Mahlers "Himmlischem Frieden".
Eine martialisch ausstaffierte junge Frau läuft Amok und erschießt sich dann selbst. Die Schlittschuhläuferin kehrt als running gag wieder und sucht, wie Sokrates, Menschen. Mit der Stablampe.
Ein vorzügliches Bläserquintett aus der musikFabrik NRW meldet sich aus der Ferne, rückt näher und rottet sich schließlich vor der Bühne zusammen. Auf der erhebt sich, zur Verheißung "mors stupebit", ein gewaltiger Tutti-Aufschrei. Große Klage der vierzehn Sänger, die demonstrieren, welche Kraft in ihnen und der Komponistin steckt.
Dem Thema der Migration ist das von Anne Hölck fantastisch bebilderte, von Michael von zur Mühlen anspielungsreich und raffiniert inszenierte "Projekt" nicht zum Greifen nahegekommen. Aber Stimmungen und Befindlichkeiten, Ängste und den trostlosen Blick in die Leere hat es auf bemerkenswerte Weise sichtbar und hörbar gemacht.
Oder eben doch: Treibgut, wie es in den letzten Jahren gerade an den Außengrenzen Europas zunehmend angespült wurde. Genau ist das nicht zu erfahren. Aus dem Klang-Graffiti, mit dem Lucia Ronchetti die erste Szene von "Der Sonne entgegen" hinterlegte, schälen sich nur einzelne Sätze - dann allerdings mit weitreichenden Bedeutungsfolgen: "Die Gegenwart ist angekommen" - mit avancierten Vokal-Künsten.
Die an ihm zu Gehör kommenden Text-Partikel bleiben zusammenhanglos oder unbestimmt. Mit Ausnahme einer später eingeblendeten todernsten Parodie auf die alltäglichen Fernseh-Gesprächsrunden mit Experten zum "Kosmopatriotismus" und dem auf der Antarktis vertraglich vereinbarten Multinationalismus als Modell für die künftige Gestaltung der "Weltgemeinschaft". Auch da: Keine Botschaft. Nirgends.
Rechts vor der mattgrauen Plane, die in der weiten Breite voll aufgerissen ist, ist einer gestrandet. Vielleicht einer aus der Ferne. Oder ganz in der Nähe von Hartz IV ausgespuckt. Er zittert (obwohl es, wie die leichte Strand- oder Badekleidung der anderen verrät, gut warm sein müßte).
Das ist so vieldeutig wie manches ironisch oder sarkastisch gemeint sein dürfte: "Die Macht hat kein Interesse an der Zukunft". Eine akustische Welle baut sich bedrohlich auf, kommt nahe, eskaliert - und fegt den Strand leer. Dann wieder viel Stille. Sie ist, wie die Entfernungen oder die jeweilige Nähe, aus denen Geräusch und Ton sich erheben, wohl sehr genau dosiert. Komponiert.
Der Verzicht aufs Narrative war ebenso wie der auf eingängige musikalische Zusammenhänge vollauf beabsichtigt. Dass die entfernten Nachfahren der engagierten Künstler der 20er Jahre gerade auch bei einer Themenvorgabe wie "Migration" nicht mehr mit deren Mittel und Intonationen wie Peter Weiss bei seinem "Inferno" oder Luigi Nono bei seiner "Intolleranza 1960" operieren können, liegt auf der Hand. So galt es für sie, "Grenzgebiete" auszuloten "und die besondere Stimmung, die von ihnen ausgeht".
Das hat dann - in Bild und Ton - waidlich stattgefunden. Ronchettis Episoden integrieren mancherlei Material aus der Musikgeschichte, angefangen von der Madrigalkunst der Monteverdi-Zeit und dem noch viel älteren Adventslied "Mit Ernst, o Menschenkinder" bis zu Wagner- und Verdi-Assoziationen oder Gustav Mahlers "Himmlischem Frieden".
Eine martialisch ausstaffierte junge Frau läuft Amok und erschießt sich dann selbst. Die Schlittschuhläuferin kehrt als running gag wieder und sucht, wie Sokrates, Menschen. Mit der Stablampe.
Ein vorzügliches Bläserquintett aus der musikFabrik NRW meldet sich aus der Ferne, rückt näher und rottet sich schließlich vor der Bühne zusammen. Auf der erhebt sich, zur Verheißung "mors stupebit", ein gewaltiger Tutti-Aufschrei. Große Klage der vierzehn Sänger, die demonstrieren, welche Kraft in ihnen und der Komponistin steckt.
Dem Thema der Migration ist das von Anne Hölck fantastisch bebilderte, von Michael von zur Mühlen anspielungsreich und raffiniert inszenierte "Projekt" nicht zum Greifen nahegekommen. Aber Stimmungen und Befindlichkeiten, Ängste und den trostlosen Blick in die Leere hat es auf bemerkenswerte Weise sichtbar und hörbar gemacht.