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Straßen-Performance
Obdachlos auf Probe

Wie fühlt sich das Leben auf der Straße an? Das wollten die Künstlerkollektive "Katze und Krieg" aus Köln und "We Are Visual" aus Hamburg wissen. Sie leben gemeinsam einige Wochen auf der Straße und erarbeiten - in temporärer und freiwilliger Obdachlosigkeit - Performances zum Mitmachen.

Von Peter Backof |
    Ein Obdachloser schläft auf einer Bank in einem Park in Düsseldorf.
    "Wir schlafen auf der Straße und haben kein Geld dabei und entwickeln aus dem Leben hier eine Theaterperformance," sagen die Künstlerinnen von "Katze und Krieg". (dpa / Martin Gerten)
    "Paprika im Mehrfachpack. Sauber und frisch. Oh, der hier sieht nicht mehr so gut aus."
    Containern, mit Felix Jung von "We Are Visual." In der einen Mülltonne des Supermarkts findet sich noch etwas Appetitliches, aus der anderen dringt Verwesungsgeruch und ein Schwarm Fruchtfliegen.
    "Eine enttäuschende Tour: Da war schon jemand da."
    Man teilt sich das Revier mit anderen, die vom Containern leben. Das Fahrrad mit Gepäckkorb ist in Fluchtrichtung aufgestellt. Manchmal kommt doch jemand, vom Supermarkt oder eine Alarmanlage springt an. "Auf der Straße", so heißt die Aktion von "Katze und Krieg" und "We are Visual". Künstler um die dreißig, aus Köln und Hamburg, leben ohne Geld auf der Straße. Das größte Problem ist die Nahrungssuche. Felix Jung hat aber schon das Entsorgungssystem dieses einen Supermarkts "gehackt": Ab 8 Uhr täglich kommen Milchprodukte in die Tonnen, später Gemüse und Brot. Man kann die schnellen Besuche richtiggehend planen – wenn einem das nicht zu peinlich oder zu ekelhaft ist: Und darum dreht sich natürlich alles, "auf der Straße".
    "Also dieses Großstadt-Hipster-Leben mit dem Sojajoghurt, dem Müsli und den Bioläden:"
    Muss man sich dann abschminken. Mehr als ein Kalauer und überhaupt: Schminken! - für Julia Dick, eine der beiden Frauen im Team, ganz klar ein Thema. Ab wann gilt man als nicht gesellschaftsfähig?
    "Ich weiß nicht, ob ich mir es einbilde, ich habe die ersten Tage die Haare nicht gewaschen, hatte mich nicht geschminkt, in Mülltonnen rein geguckt, und schon so Blicke bekommen, wo ich nicht das Gefühl hatte, dass mir Toleranz entgegen schwingt."
    Ausstieg light
    Warum das Ganze? Lust auf Abenteuer, auf Wildnis mitten im Durchorganisierten - oder auf der Suche nach Reizpunkten wie Manager, die temporär in Kloster gehen und in Eiswasser baden, als Kick?
    "Warum gerade du? Hast du es nötig? Man wird nicht angesprochen, aber die Fragezeichen poppen auf. Ich bin hier tatsächlich einfach als Julia. Ich bin ja keine Obdachlose, ich habe ein Zuhause. Ich bin einfach Julia, die sagt: Ich möchte eine Erfahrung fern meines Alltags haben."
    "Wir schlafen auf der Straße und haben kein Geld dabei und entwickeln aus dem Leben hier eine Theaterperformance."
    Die beiden Frauen, "Katze und Krieg" machen seit Jahren Performances, die das Zwischenmenschliche erkunden. Ab wann vertraut man, wie werden "Wildfremde" sympathisch, wie viel Nähe kann auch ein Zuviel sein? Das soll sich ergänzen mit den Stadtraum-Erkundungen der Hamburger, "We Are Visual". Im Rahmen der Aufführungen sollen die Besucher an die Hand genommen werden, um dann auch containern zu gehen, die zwei Foodsharing-Körbe zu entdecken, wo man sich gratis etwas abholen kann, draußen zu übernachten, Schritte in die Parallelwelt der echten Obdachlosen zu machen: Auf die ist das "Auf der Straße"-Team inzwischen natürlich getroffen. Finden die das nicht zynisch: Ausstieg light - mal so für ein paar Wochen, bei bestem Sommerwetter?
    "Zwei Wochen sind gar nichts, war ein Kommentar, ich mache das seit 17 Jahren."
    Für Zuschauer eine Grenzerfahrung - oder eine grenzwertige
    Eher belächelt also, auch von den Mitarbeitern einer Obdachlosenhilfe, die die Frage nach einer Decke - in der ersten, kalten Nacht - zuerst nicht ernst nahmen. Zu gepflegt sehen die jungen Leute aus, die aus künstlerischen Gründen obdachlos sind. Die aber nach anderthalb Wochen auch Resultate vorweisen können. Zweimal kam die Polizei. Die Anwohner hatten Angst vor den draußen übernachtenden Vier. Die Mülltonnen des Akademiker- und Mittelschicht-Viertels Köln-Sülz wurden systematisch durchforstet. Man isst hier bio, somit isst man auch als Obdachloser oft bio. Man liest die Süddeutsche und die Zeit, nie Boulevardzeitungen, man wirft aber das Altpapier interessanterweise in den normalen Müll. Für Zuschauer kann das eine Grenzerfahrung werden - oder eine grenzwertige.