Die Bundesregierung wollte im Corona-Jahr 2020 eigentlich kräftig investieren, um das Land zu stärken. Das Gegenteil ist der Fall. Wie die Zahlen des Bundesfinanzministeriums zeigen, standen im Bundeshaushalt zwar 71,3 Milliarden Euro für dringend benötigte Investitionen in Deutschland zur Verfügung. Davon blieben aber 21 Milliarden Euro ungenutzt. Das meldet die "Augsburger Allgemeine".
"Mittlerweile herrscht unter den Ökonomen Konsens, dass wir eine große Investitionslücke haben", sagte Jens Südekum von der Universität Düsseldorf im Deutschlandfunk. Dies gelte für die Verkehrsinfrastruktur, die Schulen und insbesondere für die digitale Infrastruktur. Ein Grund dafür sei beispielsweise der Personalabbau in den Städten und Kommunen. "Es waren einfach nicht mehr Personal und Strukturen vorhanden, um Geld in die Hand zu nehmen und zu investieren", sagte der Ökonom. Der Substanzverlust sei besonders in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und in Teilen Ostdeutschlands deutlich.
"Mittlerweile herrscht unter den Ökonomen Konsens, dass wir eine große Investitionslücke haben", sagte Jens Südekum von der Universität Düsseldorf im Deutschlandfunk. Dies gelte für die Verkehrsinfrastruktur, die Schulen und insbesondere für die digitale Infrastruktur. Ein Grund dafür sei beispielsweise der Personalabbau in den Städten und Kommunen. "Es waren einfach nicht mehr Personal und Strukturen vorhanden, um Geld in die Hand zu nehmen und zu investieren", sagte der Ökonom. Der Substanzverlust sei besonders in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und in Teilen Ostdeutschlands deutlich.
Während der Corona-Pandemie habe man die erheblichen Defizite im digitalen Bereich schmerzlich vor Augen geführt bekommen. "Daran sieht man, wie groß der Handlungsbedarf in Deutschland ist", sagte Jens Südekum. "Wenn konsolidiert und gespart werden muss, wird an Zukunftsausgaben gespart und mit Sicherheit nicht an der Rente", sagte Südekum. Der Ökonom forderte, Verschuldung für Zukunftsausgaben zuzulassen - ökonomisch wäre dies gerechtfertigt.
"Dann besteht auch die Chance, dass die Politik reagiert und sie könnte diese Investitionen durchführen und finanzieren", sagte Südekum weiter. Auf diese Weise wäre der ältere Teil der Bevölkerung bei Kosten, aber auch Nutzen außen vor.
Das Interview im Wortlaut:
Jürgen Zurheide: Herr Südekum, wenn Sie als Erstes jetzt frage als Ökonom, dann gibt es immer so Zahlen, wie viel investiert wird im Verhältnis zur wirtschaftlichen Leistung, das sind alles abstrakte Größen. Aber meine These: Da ist in den letzten 20 Jahren viel zu wenig in Deutschland investiert worden, mehr und mehr Ökonomen sehen das so. Ist die Analyse richtig?
Jens Südekum: Die ist vollkommen richtig. Mittlerweile herrscht auch großer Konsens unter den Ökonomen, dass dort erheblicher Handlungsbedarf ist, dass wir eine große Investitionslücke haben. Vor fünf Jahren haben das noch einige bestritten, aber es ist mittlerweile ja unübersehbar. Wenn man sich den Zustand der Straßen, der Verkehrsinfrastruktur, der Schulen, vor allem aber auch der digitalen Infrastruktur anschaut, ist klar, da gibt es ganz ordentlichen Nachholbedarf, ganz ordentlich etwas zu tun.
Zurheide: Die große Frage, warum ist das so, auch eine Kurzfassung meiner Analyse: Es ist konsolidiert worden, wir haben die Haushalte in Deutschland in Ordnung gebracht, aber in erheblichem Teil zulasten der Investitionen? Das ist jetzt eine Frage.
Südekum: Das ist auch richtig. Die wesentlichen Probleme sind eigentlich entstanden noch Ende der 90er- und Anfang der 2000er-Jahre. Damals war eben ja die Frage der großen Konsolidierung der Haushalte, aber auch ganz generell war damals ja das Motto, schlanker Staat, ein Rückbau der öffentlichen Aktivitäten in vielen Bereichen, Privatisierung vieler Infrastrukturbereiche.
In der damaligen Zeit ist es einfach so, dass viele Strukturen, die notwendig sind, um überhaupt öffentliche Infrastruktur aufrechtzuerhalten und auszubauen, dass die damals ein bisschen wirklich zerstört wurden. Ich denke da an Personalabbau, gerade auf kommunaler Ebene in den Bauämtern, in den Planungsämtern, und das hat sich dann später natürlich gerecht. Als dann nach der Finanzkrise wieder ordentlich Geld da war, die Steuereinnahmen sprudelten, da fragte man sich ja, warum wird eigentlich nicht mehr investiert. Da hatten wir das Problem, dass oftmals der Bund Gelder ins Schaufenster gestellt hat und sich dann herausgestellt hat, dass auf kommunaler Ebene dieses Geld einfach nicht abgerufen wurde.
Das beste Beispiel dafür ist der Digitalpakt Schule, wo es darum ging, Schulen ins Internet zu bringen, und die Milliardenstadt in Berlin im Schaufenster, aber es wurde nicht auf die Straße gebracht. Das war dann eben eine Folge daraus, dass auf kommunaler Ebene gerade in schwächeren, finanzstrukturschwächeren Kommunen einfach nicht mehr Personal und Strukturen vorhanden waren, um einfach wirklich Geld in die Hand zu nehmen und zu investieren.
"Wenn man auf die Investitionen schaut, kann man es dramatisch nennen"
Zurheide: Ich glaube, wir müssen noch mal eines auch deutlich machen: Die Menschen erleben ja vor allen Dingen in ihren Kommunen, was da passiert, und die Kommunen, die Städte und Gemeinden sind die Hauptträger dieser Investitionen. Das ist ja immer ein abstrakter Begriff, aber da wird das dann sichtbar. Vor allen Dingen jene Kommunen, die besondere wirtschaftliche und soziale Probleme haben, die fallen nach wie vor runter?
Südekum: So ist es. Wenn man schaut, die sogenannten Nettoinvestitionen, also wie viel wird quasi investiert, was nicht bloß der Deckung der Abschreibung dient, sondern was wäre quasi jetzt ein Nettozuwachs von Vermögen in öffentlicher Hand, das ist seit über 20 Jahren im kommunalen Bereich negativ.
Das heißt, wir leben so gesehen von der Substanz im kommunalen Bereich, und wenn man sich den Zustand von vielen Schulbauten, von öffentlichen Gebäuden, aber auch von Straßen, die in der Verantwortung der Kommunen stehen, wenn man sich das anschaut, dann sieht man eben diesen Substanzverlust natürlich auch.
Wie Sie sagen, das ist jetzt ein Problem, das nicht gleichmäßig im Land auftaucht, das ist besonders stark in Nordrhein-Westfalen, besonders stark in Rheinland-Pfalz und auch zum Teil in Ostdeutschland. In anderen Kommunen sieht es noch besser aus, aber auch insgesamt, wenn man alle Kommunen zusammenaddiert, haben wir trotzdem eben seit 20 Jahren im Prinzip einen Wertverzehr.
Zurheide: Mir ist in der Vorbereitung jetzt auf unser Gespräch eine Zahl aufgefallen, die mich ehrlich gesagt auch überrascht hat: Da sind die Investitionen pro Einwohner in Deutschland im Jahre - von 2000 bis 2017 waren das in Deutschland im Schnitt pro Jahr pro Kopf der Bevölkerung 845 Euro, und in den Niederlanden, um einen Vergleich zu geben, sind es 2.000 Euro, die im gleichen Zeitraum investiert worden sind, und Deutschland liegt damit auf dem achtletzten Platz. Ist das wirklich so dramatisch?
Südekum: Ja, die Situation in Deutschland ist, wenn man auf die Investitionen schaut, wirklich, man kann es dramatisch nennen. Ich meine, ich schaue immer lieber auf den aktuellen Stand von Infrastrukturen, und da ist ja auch bekannt, wenn man etwa den Bereich Mobilfunk nimmt oder den Bereich Breitband-Internet, da sind wir ja teilweise hinter Ländern wie Rumänien oder Moldawien angesiedelt, was sozusagen einfach den Status quo der Infrastruktur angeht.
Glücklicherweise, kann man ja sagen, hat die digitale Infrastruktur während der Coronakrise, wo wir ja alle darauf angewiesen waren, so halbwegs gehalten. Ich möchte mir nicht ausmalen, wie es ausgesehen hätte während des Lockdowns, wenn da sozusagen uns die digitale Infrastruktur zusammengebrochen wäre.
Gleichzeitig haben wir natürlich jetzt auch während der Pandemie ja nun die erheblichen Defizite im digitalen Bereich eben ja auch noch mal schmerzlich vor Augen geführt haben, und daran sieht man dann eigentlich auch wieder ganz schön, wie groß der Handlungsbedarf in Deutschland ist. Ich meine, es gibt natürlich europäische Länder, in denen es noch schlimmer ist, aber ein Land wie Deutschland und eine Volkswirtschaft wie Deutschland sollte sich ja eher nach oben orientieren.
"An der Rente wird mit Sicherheit nicht gespart"
Zurheide: Jetzt aber die Frage, wenn wir das umdrehen, was müsste denn eigentlich passieren? Offensichtlich ist Politik ja nun langfristig nicht in der Lage, das sicherzustellen, was sichergestellt werden müsste, weil jeder denkt wahrscheinlich nur an das Ende seiner Wahlperiode, und dann denkt er, ja, was da in der Zukunft passiert, ist nicht so klar, und es ist einfacher, den Leuten eine schwarze Null zu verkaufen als darauf hinzuweisen.
Was müsste denn aus Ihrer Sicht, aus Sicht der Ökonomen - und Sie haben es angesprochen, die Ökonomen sehen das heute weitgehend ähnlich über die verschiedenen Grenzen ihrer persönlichen Ausprägungen hinweg -, was müsste denn passieren, damit das, was für die Zukunft wichtig ist, auch wirklich gemacht wird?
Südekum: Ich glaube, man muss sich grundsätzlich vor Augen führen, dass viele Zukunftsinvestitionen, die heute wichtig sind, natürlich vor allem kommenden Generationen zugute kommen. Wenn ich zum Beispiel an den Bereich Klimaschutz denke oder Digitalisierung, das ist etwas, das ist vor allem wichtig für die junge Generation. Von daher wäre es eigentlich auch völlig in Ordnung, wenn man dann eben die Finanzierung dieser Investitionen auch so ausgestaltet, dass die Zahllast dann in der Zukunft liegt, also sprich, dass man Investitionen auch über das Instrument der Verschuldung finanzieren darf.
Ich meine, das machen alle Unternehmen so, nur Europa gerade, die Staaten, haben sich sehr restriktive Fiskalregeln gegeben, die im Prinzip Verschuldung fast komplett verbieten - ich denke an Deutschland die Schuldenbremse, in Europa ist es der Fiskalpakt, früher die Maastricht-Kriterien. Das heißt, da wird gar nicht geschaut, wofür soll denn eigentlich Geld aufgenommen werden im Rahmen von Verschuldung, und was kosten Tilgung und die Zinsen. Das wird alles nicht beachtet, weil es wird mehr oder weniger komplett gesagt, Verschuldung ist verboten.
Das führt dann natürlich dazu, dass in der Politik, wo es natürlich immer um Mehrheiten geht und um Wahlsiege, natürlich auch geschaut wird, ja, wer ist mittlerweile die größte und die wahlentscheidende Bevölkerungsgruppe, und das sind in Deutschland einfach die Alten. Da kann es dann ganz leicht passieren, dass dann Ausgaben für die Zukunft - Klimaschutz, Digitalisierung - einfach hinten runterfallen, und wenn konsolidiert und gespart werden muss, dann wird eben an diesen Zukunftsausgaben gespart und mit Sicherheit nicht an Ausgaben für die Rente.
Und wenn wir jetzt ehrlich wären und würden sagen, wir ließen Verschuldung zu für Investitionen, für solche Zukunftsausgaben, was eigentlich ökonomisch gerechtfertigt wäre, dann bestünde auch die Chance, dass die Politik darauf reagiert, denn dann könnte sie diese Investitionen ja durchführen und entsprechend finanzieren, sodass letztendlich der ältere Teil der Bevölkerung ein bisschen raus ist sowohl was den Nutzen, aber auch was die Kosten dieser Ausgaben und Investitionen angeht.
Zurheide: Dagegen gibt es dann immer das Argument, ja, dann wird die Verschuldung zu hoch getrieben, das sehen Sie nicht als Gefahr?
Südekum: Wenn man sich so ein bisschen die Situation in Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkriegs anschaut, da gab es jetzt keine Tendenz, dass irgendwie die Politik sich grundsätzlich immer stärker verschuldet hätte. Eigentlich sind die Staatsschulden in Deutschland eigentlich nur dreimal stark hoch gegangen, das war nach der Ölkrise, das war nach der deutschen Einigung und dann nach der Finanzkrise und jetzt natürlich nach Corona, das heißt, das war immer eine Reaktion auf Schocks.
Aber dieses Argument, dass man sagt, wenn man der Politik das Instrument der Verschuldung sozusagen offenlässt, dann würde das schamlos ausgenutzt, das kann ich nicht erkennen. Wichtig ist ja vor allem auch, es geht ja nicht darum, dass man grundsätzlich alle Tore und Türen aufmacht für die Verschuldung, wofür auch immer. Ich bin auch strikt dagegen, dass man zum Beispiel Rentenerhöhung durch Verschuldung finanziert, das fordert aber auch kein ernsthafter Ökonom.
Es geht darum, dass man sagt, Ausgaben, die vor allem deren Nutzung vor allem in der Zukunft anfällt, also Investitionen, die können und sollten auch finanziert werden über öffentliche Schulden, wo dann die Kosten in der Zukunft anfallen. Also da, wo Nutzen und Kosten kongruent sind, da passt das dann auch ganz gut zusammen, und so sollten die Fiskalregeln meiner Ansicht nach auch ausgestaltet sein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.