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Straßensanierung
"Lkw-Maut muss ausgeweitet werden"

In der Debatte über die Finanzierungslücke für die Straßensanierung mehren sich die Stimmen für eine Ausweitung der Lkw-Maut. "Eine europäische Lösung muss her", sagte die Linken-Verkehrspolitikerin Leidig im Deutschlandfunk.

Sabine Leidig im Gespräch mit Christoph Heinemann | 22.04.2014
    Sabine Leidig, Die Linke, Mitglied im Verkehrsausschuss des Bundestags
    Sabine Leidig, Die Linke, Mitglied im Verkehrsausschuss des Bundestags (dpa / Tobias Kleinschmidt)
    Die Einnahmen aus der Lkw-Maut "hinken überall in Europa weit hinter den gesellschaftlichen Kosten hinterher", sagte Sabine Leidig (Die Linke), Mitglied im Verkehrsausschuss des Bundestags, im Deutschlandfunk. Die Bundesregierung könne schon heute das Mautgebiet über das Streckennetz der Autobahnen hinaus ausweiten.
    Die Probleme der maroden Infrastruktur seien hausgemacht, sagte Leidig. "Die Verkehrspolitik der vergangenen 20 Jahre ist doch nur in eine Richtung betoniert: immer mehr Straßenbau und Schienenabbau." Eine Sonderabgabe als Ausgleich für Nachbesserungen sei der falsche Weg. "Die Verantwortung der letzten acht Verkehrsminister kann nicht auf die Autofahrer abgewälzt werden."
    Güterverkehr auf die Autobahn
    Leidig sprach sich dafür aus, einerseits Straßen zurückzubauen, die einer besonders teuren Sanierung bedürfen. Andererseits müsse es mehr Gütertransporte auf Autobahnen dort geben, wo der Schienenverkehr schon heute nicht mehr genug Kapazitäten bereithalte.

    Das Interview mit Sabine Leidig in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Die "Bild"-Zeitung fragt heute in bekannt empörter Form, ob Torsten Albig ein Rad ab habe. Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein hatte eine Sonderabgabe für Autofahrer gefordert, so ungefähr 100 Euro pro Jahr, um damit die Instandhaltung von Straßen zu finanzieren. Begründung: Die fünf Milliarden Euro, die im Koalitionsvertrag dafür vorgesehen sind, die reichen nicht aus, meint Torsten Albig. Wir brauchen zusätzlich sieben Milliarden Euro, und zwar jedes Jahr. Und dazu sollte jeder Verkehrsteilnehmer beitragen. Auf der in beide Richtungen offenen Image-Skala sammelt man mit solchen Vorschlägen keine Bonuspunkte, das weiß auch Torsten Albig, der am Vormittag sagte:
    "Wenn man sich hier in Deutschland mit Autofahrern anlegt, da hat man nie viel Vergnügen. Ich will mich auch gar nicht anlegen, sondern ich will zeigen, es gibt eine Antwort. Man kann beschreiben, wie es geht, und wir können bis 2030 gemeinsam aus dem Tal herauskommen; wir können auch weiter die Augen verschließen und sagen, oh Gott, oh Gott, darfst du nicht sagen, weil, dann mag dich die Journaille nicht oder die Umfrage wird schlecht, ja, und dann passiert eben, dass der Verfall der Infrastruktur weitergeht. Konfuzius hat mal gesagt, du kannst den Hahn zwar einsperren, aber die Sonne geht trotzdem jeden Tag weiter auf."
    Heinemann: Und am Telefon ist Sabine Leidig, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Mitglied des Verkehrsausschusses, guten Tag!
    Sabine Leidig: Guten Tag!
    Heinemann: Frau Leidig, wir haben Torsten Albig gehört, er beruft sich auf einen großen chinesischen Philosophen, wenn man den Hahn einsperrt, geht die Sonne trotzdem auf. Wie halten Sie es mit Konfuzius?
    Erhalt statt Neubau
    Leidig: Nun, das Grundproblem ist ja, dass die Verkehrspolitik der letzten mindestens 20 Jahre da eine Richtung betoniert hat, nämlich immer mehr Straßenbau, und im Gegenzug Schienen Kilometer abgebaut, die jetzt dazu führt, dass man mit Lasten zu kämpfen hat, die man die ganze Zeit weggeschoben hat. Und es kann nicht sein, dass die Verantwortung, die die letzten acht Verkehrsminister zu tragen haben und die jeweiligen Regierungen, jetzt einfach umgewälzt wird auf diejenigen, die aufs Autofahren angewiesen sind.
    Heinemann: Nun hat Ostdeutschland ja von dieser Bauwut profitiert.
    Leidig: Nun ja, das kann man so und so sehen. Wenn Sie sich Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern anschauen oder auch Sachsen-Anhalt, dann sehen Sie, dass dort viele, viele Hunderte Kilometer Schienenstrecke abgebaut wurden, viele Bahnhöfe stillgelegt wurden. Das ist nichts, wovon viele Leute profitieren. Dass es tolle, glänzende, hochglanzneue Autobahnen gibt, ist klimapolitisch unsinnig und nützt eben auch nur relativ wenigen.
    Heinemann: In Flächenländern allerdings wahrscheinlich doch den meisten Nutzern?
    Leidig: Nun ja, wie oft fahren Sie denn mit dem Auto lange Autobahnstrecken und wie oft nutzen Menschen den täglichen Nahverkehr? Also, das kommt immer ein bisschen darauf an, welche Perspektive Sie einnehmen. Aber wie dem auch sei, wir haben ja jetzt die Situation, dass aufs Neue fünf Milliarden Euro für Straße ausgegeben werden, und selbst in der letzten Wahlperiode, als schon dieses Mantra, Erhalt vor Neubau, immer propagiert wurde, ist das genau nicht passiert. Also, selbst in den letzten vier Jahren sind neue Straßen gebaut worden und der Erhalt ist eben nicht mit höchster Priorität betrieben worden. Das muss endlich geschehen. Und wir haben für die nächste Planung, für den nächsten Bundesverkehrswegeplan eine unendliche Liste von Neubaustraßenprojekten, da gibt es ein Netzwerk – Verkehr mit Sinn – der Bürgerinitiativen, die schlagen 61 dieser Projekte zur Streichung vor, da könnten Sie 20 Milliarden Euro sparen, die dann in den Erhalt von Brücken und Straßen gesteckt werden könnten.
    Heinemann: Und reichen für diesen Erhalt die fünf Milliarden geplanten, oder bedarf es der sieben Milliarden zusätzlichen?
    Leidig: Also, das kann natürlich jemand, der nicht sozusagen mit der kompletten Expertise von Straßenbaumeistereien und so weiter daran geht, nicht wirklich beurteilen. Aber wenn Sie tatsächlich den Erhalt vor Neubau setzen und dort mit Hochdruck anfangen zu bauen und zu reparieren, dann werden die Leute natürlich auch sehen, dass sich was tut. Dann werden natürlich Prioritäten gesetzt, was zuerst repariert werden muss. Ob diese fünf Milliarden reichen, wie lang die reichen und für welche Maßnahmen, das kann ich nicht konkret sagen, aber es wäre zumindest ein wichtiger Schritt.
    Heinemann: Frau Leidig, dass der Individualverkehr im jetzigen Ausmaß vermutlich keine Zukunft haben wird, das hat sich herumgesprochen. Sollte alles, was gebaut wurde – und das haben Sie ja kritisiert eben –, sollte alles auch erhalten bleiben?
    Leidig: Nein, sicher nicht. Es gibt sicher sowohl in den Städten, wo ... Also, ich habe jetzt gerade vor Augen Ludwigshafen, wo eine gigantische Bundesstraßenschleife die ganze Stadt überspannt und wo die Stadt völlig überfordert ist mit dem Erhalt, da werden jetzt zu Recht Überlegungen angestellt, wie man dieses Monstrum zurückbaut und stattdessen Alternativen schafft, die dann auch den Fahrrädern Platz geben und die den Lebensraum für die Menschen wieder öffnen. Also, da gibt es sicher eine Menge Ansätze auch, Straßen zurückzubauen, die aber natürlich auch teuer sind, das darf man nicht verkennen. Also, man braucht dafür auch Geld.
    Heinemann: Würden Sie auch Autobahnen stilllegen wollen?
    Leidig: Autobahnen als Bahnstrecken nutzen
    Leidig: Wenn man eine mittelfristige Perspektive anschaut und sich die Güterverkehrsentwicklungen betrachtet, dann stellen wir ja jetzt schon, also, muss man jetzt schon sagen, dass auf den hoch befahrenen Strecken, beispielsweise im Rheintal, die Züge, die Güterzüge, die dort Lasten transportieren, schon kaum noch durchpassen. Und eine Denkoption wäre Güterzüge auf die Autobahnen, sage ich mal ein bisschen plakativ, dann müssten die Güterzüge nicht durch die Ortschaften, wo sie heute durchfahren, sondern sie wären eben fern von den Siedlungen und man könnte eben eine Spur oder zwei Spuren der jetzt sechsspurig ausgebauten Autobahnen für Güterzüge verwenden, und die Lastwagen, die heute ein oder zwei Spuren in Anspruch nehmen müssen, abgelöst werden. Das ist eine umweltschädliche und auch belastende Verkehrsart, die perspektivisch eben zurückgefahren werden muss, deutlich.
    Heinemann: Die Verkehrsplanung ist das eine, die Finanzierung – damit sind wir ja gestartet – das andere. EU-Kommissar Oettinger spricht sich für eine europaweite Pkw-Maut aus, er sagt, es kann ja nicht sein, dass es da 28 verschiedene Lösungen gibt. Benötigen wir eine solche europäische Lösung?
    Europaweite Lkw-Maut als zentrale Maßnahme
    Leidig: Ich würde sagen, die europäische Lösung muss für die Lkw-Maut her. Denn die Zerstörer auf den Straßen sind die Lkw, die immer größer werden, die immer länger werden und einfach in der Masse ungeheure Schäden anrichten an den Bauwerken, die nie für solche Gewichte ausgelegt worden sind. Und die Lkw-Maut hinkt überall weit hinter den gesellschaftlichen Kosten, die der Lkw-Verkehr tatsächlich anrichtet, hinkt weiter hinterher. Und das wäre eine wichtige zentrale Maßnahme auf europäischer Ebene, die Lkw-Maut so auszuweiten – das ist übrigens möglich, die Bundesregierung könnte das jetzt schon machen, die Option gibt es –, dass eben auch ein Teil der gesellschaftlichen Kosten auf diesen Lkw-Transport angelastet wird. Damit wären wir schon ein ganzes Stück weiter.
    Heinemann: Sabine Leidig, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei und Mitglied im Bundestagsverkehrsausschuss. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Leidig: Auf Wiederhören, tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.