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Strasser wirft deutscher Politik Provinzialität vor

Der Präsident des deutschen PEN-Zentrums, Johano Strasser, vermisst internationale Sichtweisen in der deutschen Politik. "Wir führen Wahlkämpfe, die im besten Falle deutschlandweite Probleme zur Debatte stellen und da auch meistens nur einen kleinen Ausschnitt dessen, was in den Medien gerade Furore macht", sagte Strasser. Stattdessen müsste "die europäische Dimension und die weltweite Dimension der Politik" in den Blick genommen werden.

Moderation: Gerd Breker |
    Gerd Breker: Guten Tag, Herr Strasser!

    Johano Strasser: Guten Tag!

    Breker: Herr Strasser, inwieweit sind die Begriffe "rechts" und "links" eigentlich noch tauglich, um unsere Gesellschaft zu beschreiben?

    Strasser: Ja, natürlich müssen die Instrumente der Politik immer wieder neu überprüft werden, ob sie unter veränderten Bedingungen noch zum Ziele führen, und insofern kann man nicht sagen, das war früher mal links, das muss heute auch noch links sein, und das war früher mal rechts, und das muss heute auch noch rechts sein. Aber das heißt nicht, dass die Unterscheidung zwischen links und rechts hinfällig geworden ist. Der Kern linker Politik war immer und ist es auch heute noch, die kulturellen, sozialen, bildungsmäßigen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass möglichst alle Menschen von ihren Freiheitsrechten konkreten Gebrauch machen können. Dieser Universalismus der Freiheit ist der entscheidende Punkt, und der unterscheidet die Linken immer noch von den Neoliberalen und den Konservativen.

    Breker: Ist das vielleicht, Herr Strasser, bei den Parteien ein wenig in Vergessenheit geraten? Ist nicht dieser Richtungsstreit, den ja sinnigerweise beide Volksparteien jetzt durchmachen, ist der nicht doch ein Symptom für eine Art Identitätskrise der Volksparteien?

    Strasser: Na, ich glaube, dass es eher ein Symptom dafür ist, dass wir unter schwierigen, veränderten Bedingungen operieren und zunächst einmal wieder deutlich werden muss: Was ist denn nun eigentlich der Instrumentenkasten, aus dem wir uns bedienen können, wenn wir diese Ziele erreichen wollen? Ich glaube zum Beispiel nicht, dass in der SPD meine Definition dessen, was links ist - dieser Universalismus der Freiheit -, dass der von irgendjemandem in Frage gestellt wird. Nur, die Diskussion geht darum. Und mit welchen Mitteln kann man unter den heutigen Bedingungen diesem Ziel näherkommen? Ich sage, wenn Reiche immer reicher werden in einer Gesellschaft, die Armen immer ärmer, wenn das Alter zunehmend wieder zum Armutsrisiko wird und wenn die Bildungschancen von jungen Menschen wieder davon abhängen, wie es finanziell im Elternhaus bestellt ist, dann ist das mit linker Politik nicht vereinbar und man muss dagegen arbeiten. Ich denke, dass auch in diesem Punkt im Großen und Ganzen alle einig sind, die Diskussion geht aber darum: Mit welchen Mitteln kann man diesem Ziel näherkommen?

    Breker: Sie sagen, es geht um die Mittel, Herr Strasser. Stellt denn die Politik da eigentlich noch die richtigen Fragen und - logischerweise -, wenn die Fragen schon nicht stimmen, können denn dann die Antworten überzeugen?

    Strasser: Ich glaube, das Problem ist, dass wir heute auf der nationalen Ebene diesem Ziel nicht mehr in dem Maße genügen können, wie das, sagen wir mal, vor 50 Jahren der Fall war. Und heute müssen wir versuchen, vor allen Dingen in Europa Bedingungen zu schaffen, die es wieder möglich machen, dass Politik in einem anspruchsvollen Sinne tatsächlich auch greifen kann. Das ist schwierig genug, wie Sie wissen, weil wir in Europa sehr unterschiedliche Haltungen zu diesem Thema haben, weil wir fest eingegrabene Lobbys haben, privilegierte Interessen, die gerade auch in Brüssel sehr gut etabliert sind. Das ist also äußerst schwierig, und darüber hinaus stellt sich die Frage natürlich auch im Weltmaßstab, es geht auch um die Frage: Wie organisieren wir ein Weltfinanzsystem so, dass es einigermaßen zugunsten produktiver Entwicklung und nicht zugunsten spekulativer Gewinne funktioniert? Wie können wir die Friedenssicherung durchsetzen, indem wir auch die sozialen Gründe für Terrorismus, Bürgerkrieg und Kriege mit berücksichtigen? Und dann besonders auch - was sich ja heute längst zeigt - die Ökologiefrage, die ist in ihren Auswirkungen auch eine Gerechtigkeitsfrage. Kein Zweifel, dass in Afrika, in Asien, in Südamerika, in der Südsee die Völker eher betroffen sein werden und härter betroffen sein werden vom Klimawandel, auch diese Gerechtigkeitsfrage ist äußerst kompliziert zu behandeln, weil im Weltmaßstab hier natürlich auch keine Einigkeit besteht.

    Breker: Herr Strasser, Sie haben die Ökonomie angesprochen, wenn wir dabei mal bleiben. Früher haben wir die Erfahrungen gerade in diesem Land gemacht: Wenn es der Wirtschaft gut geht, dann geht es allen gut, da haben alle etwas von. Nun machen wir die Erfahrung - und man muss da nicht erst auf Nokia zeigen, es gibt genügend andere Beispiele ,- nun machen wir die Erfahrung: Der Wirtschaft geht es gut, aber nicht alle profitieren davon, sondern nur einige wenige.

    Strasser: Das ist völlig richtig, die Erfahrung, und die hängt eindeutig damit zusammen, dass Politik und Wirtschaft nicht auf Augenhöhe miteinander ringen. Die politischen Strukturen sind im Wesentlichen handlungsfähig noch auf der nationalstaatlichen Ebene, während das Kapital weltweit operiert und sich den Auflagen, den auch durchaus vernünftigen Auflagen nationalstaatlicher Politik, entziehen kann. Das ist das Hauptproblem. Wir müssen zu einem gemeinsamen Vorgehen in Europa kommen, und wir müssen zu Mindeststandards weltweit kommen und zu einer Regulierung der Weltfinanzmärkte, ansonsten wird dieses Problem nicht zu lösen sein.

    Breker: Was nichts anderes bedeutet - um andere Worte zu benutzen, Herr Strasser -, als dass die Politik noch gar keine wirkliche Antwort auf die Globalisierung gefunden hat.

    Strasser: Ja, und da sollten wir auch nicht zu hochnäsig sein, denn das ist nicht ganz einfach. Auch Wissenschaftler haben keine Antwort, die sozusagen einfach exekutierbar wäre. Wir wissen alle, worauf es ankommt, aber niemand hat ein Patentrezept dafür, wie das, was richtig ist, nun auch durchsetzbar ist. Da sind viele komplizierte Zusammenhänge, die berücksichtigt werden müssen. Es gibt Interessensunterschiede, es gibt unterschiedliche traditionelle Orientierungen, es gibt den tiefsitzenden Verdacht bei vielen Ländern der Dritten Welt, dass letzten Endes, wenn es um diese Fragen der Regulierung der Weltwirtschaft geht, letzten Endes die westlichen Länder ohnehin nur immer ihren Vorteil durchsetzen können, und das ist ja auch erfahrungsgesättigt. Dies alles erschwert es ungeheuer, die Problemlösungen, die in den Umrissen eigentlich deutlich sind, wirklich durchzusetzen.

    Breker: Wer könnte denn eine Problemlösung entwerfen?

    Strasser: Ich glaube, dass unsere Parteien viel zu provinziell sind. Wir führen Wahlkämpfe, die im besten Falle deutschlandweite Probleme zur Debatte stellen und da auch meistens nur einen kleinen Ausschnitt dessen, was in den Medien gerade Furore macht. Wir haben in allen Nationalstaaten Europas eigentlich keine Partei, die die europäische Dimension und die weltweite Dimension der Politik, die heute unabdingbar ist, wirklich ernstnimmt. Das scheint mir eines der Probleme zu sein, deswegen sind die Programme alle viel zu kurzatmig und viel zu provinziell.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das der Präsident des Deutschen PEN-Zentrums Johano Strasser, Herr Strasser, danke für dieses Gespräch.

    Strasser: Bittesehr.