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Strategie gegen Rechtsextremismus
Grünen-Abgeordneter: "Die Jungen sind wütend"

Nach den rechtsextremen Morden sind die Älteren in Hanau fassungslos - und die Jüngeren wütend, sagte der Grünen-Politiker Omid Nouripour im Dlf. Den Menschen müsse man das Gefühl geben, dass die Bundesrepublik auch ihr Staat sei. Der Staat dürfe auf dem rechten Auge nicht blind sein.

Omid Nouripour im Gespräch mit Jasper Barenberg |
Polizisten stehen auf dem Hanauer Marktplatz, wo auf einer Videoleinwand die Trauerfeier für die Opfer der rassistischen Morde übertragen wird.
Polizisten stehen auf dem Hanauer Marktplatz, wo auf einer Videoleinwand die Trauerfeier für die Opfer der rassistischen Morde übertragen wird. (dpa / picture alliance / Andreas Arnold)
Nach dem rassistisch motivierten Anschlag von Hanau hat die Bundesregierung dem Rechtsextremismus in Deutschland demonstrativ den Kampf angesagt. Der Bundestag debattierte über die Konsequenzen aus Hanau. Die Debatte geriet zu einer verbalen Auseinandersetzung mit der AfD. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour fordert einen "Aufstand der Zuständigen" in den Institutionen der Bundesrepublik, um das Grundgesetz gegen Rassisten zu verteidigen.
Jasper Barenberg: Herr Nouripour, Sie haben im Bundestag einen "Aufstand der Anständigen" gefordert, vor allem aber einen "Aufstand der Zuständigen". Was meinen Sie damit?
Omid Nouripour: Es gibt so viel Solidarität in diesem Land, speziell nach Hanau. Es gibt so viele Menschen, die auf die Straße gegangen sind, zu Mahnwachen gegangen sind, ihre Trauer zum Ausdruck gebracht haben, versuchen zu helfen. Das ist der Aufstand der Anständigen. Den gibt es und der möge auch bleiben und der ist gut und wichtig, und zwar nicht nur für die Migranten, sondern für die gesamte Gesellschaft.
Die Bildkombo zeigt undatierte Porträtfotos der zehn Neonazi-Mordopfer Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Tasköprü, Habil Kilic und Polizisten Michele Kiesewetter (oben, v.l.), sowie Mehmet Turgut, Ismail Yasar, Theodorus Boulgarides, Mehmet Kubasik und Halit Yozgat (unten, v.l). 
Terrorismus - Rechte Gewalt als Konstante deutscher Geschichte
Rassistisch oder nationalistisch motivierte Gewalt ist als Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte noch kaum erforscht. Aber auch die Geschichte von Solidarität und Gegenwehr der Opfer ist erst lückenhaft dokumentiert.
Aber wir brauchen des Weiteren noch einen Weckruf in alle Richtungen der Zuständigen, heißt der Institutionen. Es gibt sehr viele Leute, die eine wundervolle Arbeit leisten bei der Polizei, bei der Bundeswehr, in der Justiz, in der Verwaltung, in den Ministerien. Dafür bin ich auch sehr dankbar. Aber man erlebt immer wieder, dass es an den Rändern nicht ganz funktioniert. Wir brauchen aber alle, die sich dazu verpflichtet haben, unser Grundgesetz und unser Land zu verteidigen, und die müssen jetzt sich bekennen und müssen aufstehen, und das ist der Aufstand der Zuständigen, von dem ich spreche.
"Im Alltag gibt es sehr viel Rassismus"
Barenberg: Wir haben ja nicht nur eine wachsende Zahl von rassistischen und antisemitisch motivierten Angriffen erlebt, sondern - das wird ja in den letzten Tagen immer deutlicher - auch einen ständig anschwellenden Rassismus im Alltag. Wie konnte der Eindruck entstehen, dass sich Politik und dass sich auch die Gesellschaft insgesamt damit mehr oder weniger abfindet?
Nouripour: Das ist immer wieder evidenzbasiert, wenn man mit Migranten-Selbstorganisationen spricht und die dann einfach die Frage stellen, wie es denn sein kann, dass eine Bundesregierung mit 16 Ministerinnen und Ministern, inklusive der Bundeskanzlerin, und sehr vielen Staatssekretären nicht eine Person beinhaltet, die Migrationshintergrund hat - nicht, weil das jetzt quasi per Quote gehen soll, aber weil es ausreichend qualifizierte Leute für genau diese Jobs auch gäbe. Dann ist das eine gute Frage, eine verständliche Frage, weil die Leute sich da noch nicht repräsentiert fühlen.
Barenberg: Es gibt zu wenig Aufmerksamkeit dort, wo sie am dringendsten gebraucht wird?
Nouripour: Es ist einfach viel zu normal geworden, dass ein Mensch eine Wohnung nicht bekommt, weil er irgendwo anruft und einen Namen sagt, mit dem die andere Seite nichts anfangen kann. Ich habe einen Freund türkischer Abstammung, ein Deutscher, ein Frankfurter, der seinen Namen Französisch ausspricht, und das funktioniert. Das hat er bei der Wohnungssuche wirklich etliche Male versucht. Das ist jetzt keine wissenschaftliche Studie. Wissenschaftliche Studien gibt es auch. Wenn er seinen Namen Französisch ausspricht am Telefon, kommt er weiter, weil das dann anscheinend die andere Seite nicht herausfordert, auch mal die eigene selbsterbaute sogenannte kulturelle Komfortzone zu verlassen.
Diese Dinge müssen thematisiert werden. Diese Dinge müssen ausgesprochen werden, damit es so nicht weitergeht, damit es nicht so bleibt. Es gibt wie gesagt sehr viele Studien, die darstellen, dass es im Alltag sehr viel Rassismus gibt, und diese nicht zu vernachlässigen, das ist der Job.
Der Grünen-Politiker Omid Nouripour
Der Grünen-Politiker Omid Nouripour (dpa / Britta Pedersen)
Als ich im Bundestag gesprochen habe und über die Opfer gesprochen habe, schrie einer von Rechtsaußen rein, und was ist mit den Deutschen. - Ich habe über die Deutschen gesprochen. Ich habe über Leute gesprochen, die deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sind, die in Hanau umgebracht worden sind. Genau dieses Denken, dieses sofort auf Zack auch antworten können, mitdenken, dass wir jetzt nicht über die und wir reden, sondern dass wir über Deutsche reden, über Deutschland reden, über die Menschen in Deutschland reden, das ist zentral.
Barenberg: Der Bundestagspräsident, Wolfgang Schäuble, hat die Debatte ja schon mit einem Eingeständnis eröffnet: "Der Staat müsse sich eingestehen, dass er die rechtsextremistische Gefahr zu lange und zu sehr unterschätzte." Wie wichtig war das, frage ich auch ganz persönlich, aus dem Mund eines langjährigen Bundesinnenministers?
Nouripour: Das war gut. Das ist wohltuend. Aber daraus muss auch was erfolgen. Das ist auch wohltuend zu sehen, dass Horst Seehofer, der nach der Hetzjagd von Chemnitz, rassistischer Hetzjagd von Chemnitz, noch davon gesprochen hat, die Migration sei die Mutter aller Probleme, dass er jetzt am Pult des Hauses der Freiheit in Deutschland, im Deutschen Bundestag sagt, das Hauptproblem, was wir haben, die größte Gefahr für die Demokratie ist Rechtsterror und Rechtsradikalismus, und dass er jetzt was gegen Rassismus tun will. Das ist wohltuend, dass die Generalbundesanwaltschaft jetzt das erste Mal, dass ich mich erinnern kann, eindeutig und geradeaus sagt, da war eine Tat eindeutig zutiefst rassistisch motiviert.
Da erwächst eine Aufmerksamkeit für dieses Thema, ein Bewusstsein für das Thema, was sehr, sehr lange, viel zu lange gefehlt hat. Es darf nicht wieder erlöschen. Diese Aufmerksamkeit, dieses Bewusstsein muss erhalten bleiben, damit wir nicht das nächste Mal wieder an irgendwelchen Gräbern stehen und diese Reden halten, sondern dass wir einfach zusammen als Gesellschaft davon kommen und zusammenwachsen und den Schulterschluss nicht zwischen Herkünften und Religionen sehen, sondern zwischen Demokratinnen und Demokraten auf der einen Seite und den Feinden der Demokratie auf der anderen Seite.
"Weckruf, den wir nicht verpassen dürfen"
Barenberg: Sie haben Horst Seehofer erwähnt. Der Bundesinnenminister hat ja auch relativ klargemacht, wie getroffen er war, als er in Hanau war nach dem Anschlag und dort jemand rief, ihr könnt uns nicht schützen. Er hat das als Auftrag formuliert in seinem Redebeitrag im Bundestag. Haben Sie glaubhaft den Eindruck, dass der eine oder die andere auch gelernt hat in den vergangenen Monaten und Tagen und glaubhaft die eigene Haltung überdenkt?
Nouripour: Es gibt offensichtlich mehr, was passiert. Die Razzien, die es gegeben hat, wenn Gruppen jetzt doch auffliegen und tatsächlich auch aufgedeckt werden, die Sprengstoff horten und den Bürgerkrieg auslösen, davon ist einiges in der Dimension neu, aber in der Denkart ja nicht. Dass jetzt endlich dagegen was getan wird, ist gut, ist hilfreich. Das ist auch deswegen zu kommunizieren, weil ich einen Imam getroffen habe in Hanau, der gesagt hat, sein Hauptproblem im Umgang mit den Jugendlichen ist: Die kommen zu ihm, die Alten sind in Trauer, die Alten sind fassungslos, die Jungen sind wütend. Und diesen Leuten muss man das Gefühl geben, dass dieser Staat auch ihr Staat ist, und das geht nur, wenn tatsächlich der Staat auf diesem Auge nicht blind ist. Es ist einiges passiert, das ist gut, aber am Ende des Tages reicht es nicht, wenn ich froh bin, dass Seehofer das Richtige tut. Wir werden in der Realität auch prüfen müssen, dass das Richtige getan wird.
Barenberg: Horst Seehofer hat ja auch gleich nachgereicht, dass er eine umfassende Strategie so seine Worte - gegen den Rechtsextremismus gefunden hat, abgestimmt hat mit den Innenministern der Länder, und schon weitgehend umgesetzt hat. Er führte an die Aufstockung des Personals für das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz, das Anti-Hass-Gesetz im Bundestag, er habe das Waffenrecht verschärft, er habe Combat 18 verboten und würde sich für mehr Prävention zusammen mit der Familienministerin einsetzen. Bleibt unterm Strich: Die Bundesregierung ist im Grunde genommen jetzt schon auf dem richtigen Weg?
Nouripour: Es sieht so aus und das ist erfreulich. Aber wie gesagt, da gibt es den Beigeschmack, dass erst jemand andere umbringen musste, damit das passiert. Das Problem ist nicht neu. Wir haben über 200 Tote seit 1990 in diesem Land zu beklagen. Es gibt gar so viele solcher Anlässe. Wir haben jetzt in Hanau eine Situation gehabt, die dazu geführt hat, dass der UN-Generalsekretär seine Sorge zum Ausdruck gebracht hat, eine Tat, die weltweite Aufmerksamkeit gezogen hat. Das ist alles ganz grauenvoll und das ist alles sehr spät, aber das ist jetzt der eine Weckruf, den wir nicht verpassen dürfen.
"Wir haben es selbst in der Hand"
Barenberg: Wir brauchen einen starken Staat. Wir brauchen eine Entschlossenheit und eine Härte des Rechtsstaates im Kampf gegen Hass und Rechtsextremismus. Wie richtig ist das, dass der Rechtsstaat erst mal die Basis ist für alles, was wir unter Kampf gegen Rechtsextremismus zusammenfassen?
Nouripour: Es ist neuralgisch. Wir schützen hier den Rechtsstaat. Wir schützen hier als demokratische Kräfte, nicht nur als Parteien und Abgeordnete, den Rechtsstaat und die Demokratie. Es gibt keine Demokratie ohne einen Rechtsstaat. Demokratie ist der einzige Garant, dass Menschen ihre Rechte auch wahrnehmen können, dass wir gleiche Rechte für alle und gleiche Pflichten für alle hier auch ausrufen können. Deshalb ist die Verhältnismäßigkeit der Mittel, die Rechtmäßigkeit, die Rechtsstaatlichkeit des Kampfes gegen den Rechtsextremismus absolut neuralgisch und darf nicht zu was anderem kommen.
Es gibt keinen anderen Rahmen für diese Arbeit, genauso wie es keine anderen Regeln gibt und keinen anderen Rahmen geben darf für den Kampf gegen den Dschihadismus beispielsweise. Da gibt es im Übrigen sehr viele Parallelen, und dass die Dschihadisten und dass die Rechtsextremen einander auch brauchen, um sich gegenseitig hochzuschaukeln und jeweils ihre Mitglieder quasi zu generieren, das liegt auch auf der Hand. Die Rechten brauchen die Dschihadisten, um zu sagen, seht her, der Islam ist eine Bedrohung; die Dschihadisten brauchen die Rechten, um den jungen Muslimen auf der Suche nach Identität zu sagen, seht her, die Deutschen wollen euch nicht. Diesen beiden Kräften entgegenzutreten, ist neuralgisch, ist wichtig, braucht den Schulterschluss der Demokratinnen und Demokraten, aber das geht nur im Rahmen des Rechtsstaats.
Barenberg: Sie haben schon angedeutet, dass Sie finden, es wurden viele und genug Reden gehalten, jetzt kommt es darauf an, entschlossen zu handeln. Wie zuversichtlich sind Sie nach Hanau und nach der Debatte im Bundestag, dass es so etwas wie eine Wende im Bewusstsein und dann auch im Kampf gegen die Gefahr des Rechtsextremismus geben wird?
Nouripour: Das hängt von uns ab. Das hängt von den demokratischen Kräften ab. Wenn wir das weiter so laufen lassen wie bisher, dann wird nichts passieren. Wir haben es selbst in der Hand. Und deshalb: Wenn wir als Opposition weiterhin dafür kämpfen, dass die Regierung in die richtige Richtung läuft in dieser Frage, und die Regierung wird hoffentlich jetzt auch die Zeichen der Zeit erkannt haben und das Richtige tun. Es ist vieles Richtige gesagt worden, aber jetzt müssen auch Taten folgen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.