Die Alternative für Deutschland (AfD) liegt in Umfragen für die Bundestagswahl seit Wochen stabil bei zehn bis zwölf Prozent. Nun ist der Wahl-Werbespot der AfD online gegangen. Darin wird Martin Schmidt vorgestellt: Ehemann, Vater, Industriemechaniker. Er führe ein ganz normales Leben, so wird es geschildert. Er schätze Sauberkeit, sehe steigende Kriminalität in Deutschland, wünsche sich ein Funktionieren des Staates nicht nur für die Reichen, sondern für die normalen Menschen wie ihn selbst. Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje analysiert im Deutschlandfunk, wie die in Teilen rechtsextreme Partei ihren Wahlkampf führt. Er ist Autor des Buches "Propaganda 4.0 – wie rechte Populisten Politik machen".
Thielko Grieß: Welche Botschaft will die AfD mit diesem Spot aussenden?
Johannes Hillje: Die Botschaft ist, wir sind die Partei der normalen Leute, und damit folgt dieser Spot übrigens auch der Strategie der Gesamt-Kampagne. Da ist im Grunde dieser strategische Ansatz hinter der Selbstverharmlosung. Der wurde einmal von dem Publizisten Götz Kubitschek aufgeschrieben. Formuliertes Ziel von diesem Ansatz ist, so etwas wie die emotionale Barriere der Normalbürger zur AfD einzureißen, indem man sich deutlich moderater gibt, als man tatsächlich ist. Hintergrund ist: Die AfD weiß, dass sie den rechten Rand mittlerweile ausmobilisiert hat. Um noch wachsen zu können, muss sie dann Richtung gesellschaftliche Mitte Wählerstimmen gewinnen, und dazu dient diese Besetzung des Normalitätsbegriffs. Aber das steht natürlich im offensichtlichen Widerspruch zum deutlich radikaleren Wahlprogramm, das ja auch größtenteils die Handschrift des Flügels trägt.
"Moderater darstellen, als man ist"
Grieß: In dem Wahlprogramm – Sie sagen es – stehen ja Dinge wie zum Beispiel Deutschland solle austreten aus der Europäischen Union. Es wird ein Familienbild gezeichnet, ein sehr klares, Vater, Mutter, Kinder, heterosexuell und weiß. In der Corona-Pandemie wendet sich die AfD gegen eine Maskenpflicht, wendet sich auch gegen das Gendern und verlangt eine deutsche Leitkultur statt Multikulturalismus. Sie glauben diesen Aussagen der Normalität in dem Wahlwerbe-Spot nicht?
Hillje: Nein. Ich glaube, das ist tatsächlich der Versuch, sich moderater nach außen darzustellen, als man tatsächlich ist. Man muss ja auch wirklich sagen, wenn man diesen Wahlparteitag der AfD beobachtet hat, wo das Wahlprogramm beschlossen wurde, da hat Björn Höcke, der als rechtsextremistisch bezeichnet werden kann und auch muss – so hat es der Verfassungsschutz gesagt -, den Wahlprogramm-Parteitag doch deutlich mit in eine bestimmte Richtung, nämlich in eine radikalere Richtung getrieben. Er hat dort immer wieder das Wort ergriffen und Positionen auch im Wahlprogramm verändert. Dieser Normalitätsbegriff in der Kampagne hat mit der programmatischen Realität der Partei wenig zu tun. Das ist wirklich der Versuch, in der gesellschaftlichen Mitte zu mobilisieren. Das ist ein Framing. Aber man sollte sich an den Inhalten orientieren.
"Gemeinschaftsgefühl durch Feindbilder"
Grieß: Es geht in diesem Spot, aber auch in der Kampagne der AfD offenbar sehr häufig und sehr viel um kulturelle Fragen, um die Art zu leben, um das so sein, das deutsch sein, das normal sein, das jedenfalls so genannte. Warum ist dieser Ansatz aus Sicht der AfD für die Partei geeignet?
Hillje: Das ist, würde ich sagen, ein Grundansatz der AfD. Man versucht, mit identitätsstiftenden Botschaften so etwas wie ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen unter der Anhängerschaft. Rechtspopulismus ist ja vor allem auch eine Form von rechter Identitätspolitik. Wir sehen das immer, dass diese Feindbilder nach außen konstruiert werden. Dadurch wird ein Gemeinschaftsgefühl nach innen geschaffen. Das ist auch für den Wahlkampf und die Mobilisierung natürlich ganz wichtig. Interessant ist, dass dieses Feindbild zentral jetzt nicht mehr Angela Merkel ist, sondern das sind eher die Grünen, und da kommen wir auch auf dieses kulturelle Feld, denn die AfD macht Klimaschutz zum Kulturkampf, indem sie die Klimapolitik als Bedrohung für den vermeintlich typisch deutschen Lebensstil an die Wand malt, und diesen typisch deutschen Lebensstil, den buchstabiert sie anhand von Schlagworten wie Diesel, Schnitzel, Billigflug und so weiter aus. Das ist natürlich höchst emotionalisierbar, weil es tief in die persönliche Lebensführung eingreift, und deshalb ist das Thema auch mobilisierungsfähig für die AfD.
"Weidel und Chrupalla sind keine Zugpferde"
Grieß: Mir ist aufgefallen, dass die AfD ihre Spitzenleute nicht in die erste Reihe stellt. Alice Weidel zum Beispiel, die Fraktionschefin, taucht in dem Wahlwerbe-Spot auch gar nicht auf. Tino Chrupalla, der Co-Parteichef, ebenso nicht. Was glauben Sie? Worin liegen die Gründe für diese Entscheidung?
Hillje: Das ist tatsächlich bemerkenswert. Dass Spitzenkandidaten in einem Wahlspot gar nicht gezeigt werden, ist tatsächlich ungewöhnlich. Das hat aber bei der AfD, glaube ich, sehr konkrete Gründe. Die beiden sind keine Zugpferde in diesem Wahlkampf und sie sind auch beide belastet durch Affären. Alice Weidel hat ihre Spendenaffären. Chrupalla hat diese Affäre mit seinem Dienstwagen, wo er auf einen Siebener BMW bestanden hat, was ja nun auch wiederum nicht zu dieser Idee, man ist die Partei der normalen Leute, passt. Die AfD hat keine wirklichen Zugpferde an der Spitze ihrer Kampagne. Man muss aber sagen, sie hatte noch nie besonders charismatisches Führungspersonal, im Gegensatz zu anderen rechtspopulistischen Parteien in Europa übrigens. Von daher kann man davon ausgehen, dass auch ohne starke Führungspersonen sie trotzdem Wähler mobilisieren kann in diesem Wahlkampf.
"Wahlkampf findet in einer Parallel-Öffentlichkeit statt"
Grieß: Die AfD betreibt natürlich ihre sozialen Netzwerke, ihre Kanäle in den sozialen Netzwerken. Ist sie dort erfolgreich?
Hillje: Ja, das ist sie, und das ist, glaube ich, auch mit ein Grund, warum die AfD trotz der Abwesenheit eines zündenden Mobilisierungsthemas jetzt so stabil in den Umfragen ist. Die AfD macht eigentlich ihren Wahlkampf in einer Parallel-Öffentlichkeit. Sie kommt ja im breiten öffentlichen Diskurs derzeit erstaunlich wenig vor, aber der Wahlkampf der AfD findet in einer Parallel-Öffentlichkeit statt, nämlich in ihrer eigenen digitalen Echokammer. Die AfD ist selbst zum Massenmedium geworden in den sozialen Medien. Sie erzielt da insbesondere über Facebook und YouTube sehr hohe Reichweiten, hat sich damit ein Stück weit unabhängig gemacht von den journalistischen Medien, und schafft es, da tatsächlich so etwas wie eine Stammwählerschaft zu formen, und das ist auch noch mal ein ganz wichtiger Punkt. Die AfD ist auch deswegen so stabil in den Umfragen, weil sie eine gefestigte Stammwählerschaft hat. Studien zeigen, dass etwa 50 Prozent der AfD-Wähler sich nicht vorstellen können, irgendeine andere Partei zu wählen, und damit hat die AfD unter den Parteien tatsächlich auch den größten Anteil von Stammwählern.
Grieß: Wir haben jetzt nur noch eine halbe Minute, aber die Nachfrage würde ich doch gerne noch stellen. Sie haben das Stichwort Echokammern genannt. Die anderen Parteien haben doch auch ihre Echokammern, die Grünen zum Beispiel, und wer da drin ist, der fühlt sich wohl womöglich und kommt da aber auch erst mal nicht raus.
Hillje: Es ist tatsächlich so, dass alle Parteien natürlich die Social Media Kanäle für den Wahlkampf nutzen. Bei der AfD ist es aber so, dass wir tatsächlich sehen, dass die Nutzer der AfD-Kanäle wirklich in einer Echokammer stecken, tatsächlich auch vor allem mit AfD-Sympathisanten vernetzt sind, und das ist bei anderen Parteien anders. Da sind die Anhänger*innen tatsächlich auch etwas pluralistischer vernetzt in den digitalen Medien und AfD-Anhänger informieren sich doch dann sehr einseitig über AfD-Kanäle oder andere rechtspopulistische Alternativmedien. Das ist dann tatsächlich eine Echokammer.
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