Jürgen Zurheide: Die Polizei macht ernst, und zwar an unterschiedlichen Orten in dieser Republik. Mal hören wir es aus Berlin, dann wieder aus dem Ruhrgebiet, und immer ist das Thema und die Intonation das Gleiche. Die Polizei geht hart vor gegen sogenannte kriminelle Clans, die bekommen immer häufiger Besuch, und zwar nicht nur von der Polizei – das ist das Neue – die Polizei gemeinsam mit der Steuerfahndung, der Gewerbeaufsicht, möglicherweise auch anderen Behörden. Was hat sich da verändert, hat sich da was verändert, darüber wollen wir reden mit Frank Richter, dem Polizeipräsidenten von Essen, den ich jetzt ganz herzlich am Telefon begrüße. Guten Morgen, Herr Richter!
"Wir haben in Essen ein Problem mit Großfamilien"
Frank Richter: Guten Morgen!
Zurheide: Herr Richter, zunächst einmal, Sie haben kürzlich auch einen besonders markanten Einsatz in Essen gefahren, das ist, glaube ich, die Sprachregelung, wie das bei Ihnen heißt. Was für ein Einsatz war das?
Richter: Das war ein Einsatz gegen Großfamilien, vor allen Dingen libanesischer Herkunft. Und diese Einsätze sind nicht besonders markant, weil sie nämlich in der letzten Zeit häufiger gefahren werden – nicht nur alleine von der Polizei, sondern auch gemeinsam mit Stadt, mit Steuerfahndung und aber auch mit der Zollfahndung.
"Wir haben tatsächlich Parallelwelten"
Zurheide: Was ist das Besondere daran, Sie haben gerade die Zusammenarbeit erwähnt. Die anderen Behörden, sage ich jetzt mal, trauen sich wahrscheinlich alleine gar nicht darein, wenn sie zum Beispiel Shisha-Bars kontrollieren müssen. Oder wie ist das?
Richter: Wir haben bei uns festgestellt, wir haben in Essen tatsächlich ein Problem mit Großfamilien. Hier versucht man, gesellschaftliche Parallelstrukturen zu schaffen, man versucht Gewaltbereitschaft zur Schau zu stellen und vieles, vieles mehr. Und wir haben für uns festgestellt, dass zwar polizeiliche Mittel wirksam sind, aber nicht ausreichend und nicht nachhaltig sind. Und deshalb haben wir uns dazu entschlossen, gemeinsam mit den Mitspielern in einem interbehördlichen Koordinierungskreis, gemeinsame Einsätze zu fahren, weil wir festgestellt haben, dass vor allen Dingen Maßnahmen, die sich zum Beispiel an der Frage der Gewinnabschöpfung festmachen, nachhaltiger sind und vor allen Dingen auch weh tun – weil teilweise andere, zum Beispiel Anzeigen, zum Beispiel Verurteilungen, relativ wenig wirksam sind.
Zurheide: Wir haben es gerade gehört in diesem Ausdruck des Rappers, der da sagt, das ist unsere Welt, da habt ihr nichts mit zu suchen. Also am Ende haben wir Parallelwelten, ich will jetzt das Wort von den No-Go-Areas nicht erneut bemühen – was haben wir denn da?
Richter: Wir haben tatsächlich Parallelwelten. Da glauben Gruppen, sie könnten ihre eigenen Gesetze machen, bis hin zur eigenen Justiz mit eigenen Friedensrichtern, mit viel mehr. Man versucht, das auch zur Schau zu stellen, zu sagen, hier hat der Staat nichts zu suchen. Und hier gehen wir sehr konsequent und sehr massiv vor mit einer Nachhaltigkeit und hier auch gemeinsam mit allen staatlichen Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen. Das zeigt erste Erfolge. Wir machen es diesen Menschen so unbequem wie möglich. Wir wollen sehr klar und deutlich sagen, dass wir hier in Deutschland Regeln haben und an diese Regeln muss man sich halten. Da kann man glauben, was man möchte, wir werden keinen Deut zurückstehen, wenn es darum geht, unsere Norm durchzusetzen.
Zurheide: Sie haben gerade ein Stichwort genannt, so etwas wie einen Friedensrichter, wir haben noch eine Stimme, vielleicht hören wir uns die gemeinsam an. Jamal El-Zein, der kommt aus Essen, das ist ein sogenannter Friedensrichter.
"Schwierig, in diese Strukturen einzudringen"
O-Ton Jamal El-Zein: Weil wir die Angelegenheiten regeln können, die der Staat nicht lösen kann. Wenn ein, zwei Leichen auf den Boden fallen, klären wir das innerhalb von zwei Wochen. Zwei, drei, vier Wochen und wir lösen das. Wir sind doch eine Sippe, wir sind als Großfamilien unter uns.
Zurheide: Ist das genau das, was Sie dann erleben, dass auch die Menschen mit Ihnen nicht reden wollen, das höre und lese ich immer wieder, oder ist das überzogen, sind das mediale Darstellungen, die zu weit gehen?
Richter: Nein, das ist nicht überzogen. Wir haben in Essen so einen Fall gehabt. Hier wird Recht gesprochen, es ist ausgesprochen schwierig, in diese Strukturen einzudringen, das ist so, weil es eben Familienclans sind. Da kann man nicht hingehen und kann einen V-Mann oder irgendjemand anderes dort einsetzen. Man kennt sich, man traut nur den Familien, eventuell befreundeten Familien. Und wenn es dann zu Streitigkeiten kommt, gibt es dann wirklich die Friedensrichter – sicherlich in einer Art und Weise, die von uns nicht zu akzeptieren ist. Wir haben selbst Todesurteile, die von Friedensrichtern gesprochen werden. Wir haben kleine Erfolge insofern, dass wir feststellen, da, wo Opfer vorhanden sind, die wirklich dann auch ärgsten Repressalien unterworfen sind, die sich dann wirklich an die Polizei wenden. Sicherlich dauern staatliche Verfahren länger, aber sie sind auch gerecht und nicht von einem Friedensrichter, der glaubt, über Gelder, über viele, viele andere Punkte, über Körperverletzungsdelikte Recht sprechen zu können.
Gefängnisstrafen schrecken nicht ab
Zurheide: Was ist aus Ihrer Sicht das Erfolgsgeheimnis, wenn man das bricht. Ich glaube, wir können beide festhalten, das fängt reichlich spät an, aber lieber zu spät, als gar nicht. Was ist das Erfolgsrezept, von dem Sie glauben, da können wir etwas bewegen?
Richter: Also die Bündelung ist ein ganz entscheidender Punkt. Es muss eine gewisse Nachhaltigkeit vorhanden sein. Man darf hierbei nicht vergessen, dass es natürlich auch Straftaten gibt – angefangen vom Sozialbetrug über Tabakschmuggel, unverzollter Tabak, Körperverletzungsdelikte, Steuervergehen und viel mehr – dass hier eine Bündelung vorgenommen wird. Man darf nicht vergessen, dass viele Clanmitglieder zum Beispiel eine Gefängnisstrafe überhaupt nicht abschreckt, sondern ganz im Gegenteil, man fällt wieder zurück in den Schoß der Familie. Was wirklich wehtut sind Maßnahmen, wenn es um finanzielle Abschöpfung geht, wenn es um Beschlagnahmung von Fahrzeugen geht, da zum Beispiel die Kolleginnen und Kollegen der Steuerfahndung. Das sind Bereiche, die den Clans wehtun, wir wollen ihnen den wirtschaftlichen Boden entziehen, wollen aber auch sehr, sehr klar und deutlich sagen, wir werden keine Parallelstrukturen zulassen. Sie sollen sehr eindeutig verstehen, dass wir der Staat sind und wir kontrollieren die Straße. Und wir dulden nicht im Ansatz irgendwelche Parallelstrukturen, die da sind. Momentan stören wir sie, wir haben die ersten Erfolge, das merken wir sehr stark an gewissen Verhaltensweisen, aber auch an heftigen Reaktionen, die kommen. Das hilft auf jeden Fall weiter. Und dieser Weg ist ein richtiger Weg, hier nachhaltig etwas zu bewirken. Man muss natürlich auch sagen, was passiert im Grunde genommen danach, wir brauchen auch hiernach, das heißt, Gesellschaft braucht hiernach natürlich auch Möglichkeiten, den ganz jungen Leuten auch zu zeigen, dass solche Strukturen keine Zukunft haben, und hier müssen wir natürlich auch präventiv etwas tun.
Zurheide: Woran messen Sie den Erfolg, bevor wir gleich noch mal zur Prävention kommen. Woran messen Sie den Erfolg?
Richter: Also wir messen Erfolg daran, dass wir nicht nur große Bereiche an Gewinnabschöpfung haben. Wir messen Erfolg daran, dass Sozialbetrug, das heißt, viele Familien leben ja nur von Sozialleistungen, fahren in der Regel Fahrzeuge, die jenseits der 100.000-Euro-Grenze liegen, besitzen eine Masse von Bargeld in der Regel immer, die sie mit sich führen. Wenn das entzogen wird, wenn man sieht, dass auch da Familienclans nicht dazu in der Lage sind, dieses Leben weiterhin zu unterstützen, dann kommen da wirklich Nachfragen. Wenn wir gerade in diesem Bereich vorgehen, inklusive von Haftbefehlen, von vielen anderen Maßnahmen, die wir gemeinsam treffen, merken wir, dass natürlich auch Reaktionen darauf kommen, und wir stören diese Kreise.
Zurheide: Sie haben gerade von Prävention gesprochen. Wie kann man Prävention ins Werk setzen, vor allem brauchen Sie Personal, ist das der Schlüssel?
Richter: Personal ist ein Schlüssel. Wir müssen also durchaus mit einer sehr, sehr großen Anzahl, wir gehen immer davon aus, dass wenn wir... Wir machen das in unterschiedlichen Phasen, bei einer Großrazzia sind Minimum 300 Kolleginnen und Kollegen eingesetzt nur von der Polizei, da kommen Mitarbeiter der Stadt dazu, da kommen Zollfahnder dazu, da kommen Finanzfahnder dazu. Das muss auch so weiterlaufen, es ist ja nicht nur ein Objekt, was zum Beispiel kontrolliert wird, sondern das sind schon groß angelegte Aktionen. Das kann ich nur machen, indem sich Staat zeigt, indem sich Polizei zeigt, und das funktioniert halt einfach nur mit Personal. Dieses Personal können wir nicht nur alleine aus Essen rekrutieren, sondern wir brauchen hier an diesen Brennpunkten auch die Unterstützung des Landes, das wird auch gewährt, das muss aber auch dauerhaft gewährt werden.
Zurheide: Ich habe jetzt gerade gelesen, ab 1. September haben Sie dreißig Beamte weniger in Essen. Wie gehen Sie dann damit um, das sind alles dann, Entschuldigung, schöne Sprüche.
Richter: Ja, wir werden auf jeden Fall diese Maßnahmen weiterhin durchführen. Es ist natürlich schwierig, das weiterhin so aufrecht zu erhalten, aber es ist von unserer Strategie einer der Hauptpunkte. Und sicherlich muss man dann in anderen Bereichen etwas kürzer treten.
Jungen Leuten eine Alternative zeigen
Zurheide: Prävention, lassen wir das mal jenseits der Repression und des Zeigens von Polizei. Was müsste da eigentlich in der Gesellschaft passieren?
Richter: Also wir müssen natürlich vor allem den jungen Leuten, ich glaube, da gibt es sicherlich auch verlorene Generationen, aber den ganz jungen Leuten zeigen, dass es zu diesen Familienclans, zu diesen Familienstrukturen eine Alternative gibt. Das ist nicht mit polizeilichen Mitteln zu regeln. Es ist ja nicht so, dass vor allen Dingen diese libanesischen Familienclans von heute auf morgen entstanden sind. Das ist ein soziales Problem, das in Essen seit dreißig Jahren existiert. Das heißt, man hat keinen festen Aufenthaltsstatus und vieles mehr, da fühlen sich Menschen vom Staat alleingelassen. Und wir müssen hier sagen, ja, wer sich an unsere Regeln hält, wird auch gefördert. Das halte ich für einen entscheidenden Punkt, das ist aber keine polizeiliche Maßnahme, die wir führen können, sondern hier ist – und da sind wir auch in guten Verhandlungen mit der Stadt Essen – hier müssen auch Alternativen aufgezeigt werden.
Zurheide: Der Essener Polizeipräsident Frank Richter zu der Frage, wie umgehen mit kriminellen Clanstrukturen. Herr Richter, ich bedanke mich für das Gespräch, Dankeschön!
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