Ralf Krauter: Beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt hat man dieser Tage weitgehend unbemerkt einen Coup gelandet. Vergangene Woche präsentierte die Leitung dieses Forschungsriesen mit 8.000 Mitarbeitern und einem Jahresetat von rund 900 Millionen Euro in Berlin das Strategiepapier 'DLR 2030'. Und da steht nicht nur drin, wie man das DLR fit für die Zukunft machen will, sondern auch, dass dazu sieben neue Forschungsinstitute gegründet werden, für die der Bund jährlich zusätzlich 42 Millionen Euro locker macht. Weil das keine Peanuts sind, sondern Entscheidungen, die die Forschungslandschaft über Jahre prägen werden, haben wir das zum Anlass genommen, mal nachzufragen, welche neuen Akzente da nun gesetzt werden sollen. Klaus Hamacher, stellvertretender Vorsitzender des DLR-Vorstandes, hatte heute vormittag Zeit, mir das zu erklären. "Kernkompetenzen stärken und Synergiepotenzial ausnutzen", das ist das erklärte Ziel der DLR-Strategie 2030. Ich habe Klaus Hamacher gefragt, was das konkret bedeutet.
Klaus Hamacher: Das hat zwei Aspekte. Zum einen wollen wir in den angestammten Forschungsbereichen, Luftfahrt, Raumfahrt, Energie und Verkehr natürlich, die Kräfte noch stärker bündeln auf die Ziele in diesen Forschungsprogrammen. Darüber hinaus wollen wir aber auch die Kompetenzen, die in den verschiedenen Bereichen im DLR vorhanden sind, stärker zusammenbringen, um neue Themenstellungen aufzugreifen. Da ist das Thema Digitalisierung, der Querschnittsbereich Digitalisierung ein ganz wesentlicher Aspekt in dieser Neuausrichtung.
Potenziale durch Digitalisierung integrieren
Krauter: Da soll sozusagen der digitalen Transformation Rechnung getragen werden, da sollen Dinge erforscht und entwickelt werden, die helfen, die zu beschleunigen. Warum fängt das DLR denn damit erst jetzt an, weil dass die digitale Revolution stattfindet, das wissen wir ja schon seit zehn Jahren.
Hamacher: Es erweckt den Eindruck, als würden wir erst jetzt mit dem Thema anfangen. Tatsächlich sind wir in den Forschungsbereichen, in der Luftfahrt, in der Raumfahrt schon länger unterwegs, die Potenziale, die durch Digitalisierung entstehen, entstanden sind, in unsere Forschungsthemen zu integrieren. Das Thema virtuelles Flugzeug, virtuelles Produkt in der Luftfahrt ist ein Ansatz, der wird schon seit vielen Jahren verfolgt. In im Grunde allen Forschungsinstituten im DLR gibt es neben den experimentellen Einheiten, die zum Beispiel Strömungsuntersuchungen an Flugzeugen machen, immer auch einen Bereich, der sich mit numerischer Simulation beschäftigt, also eben gerade mit dem Thema virtuelle Ansätze, mit dem Thema, welche Potenziale hat die Digitalisierung dann eben auch für die Entwicklung von Technologien und Produkten.
Zusammenbringen von Kompetenzen
Krauter: Das heißt, das wurde schon länger gemacht, aber jetzt wird das institutionell in neue Formen gegossen eigentlich.
Hamacher: Genau. Das ist richtig. Das ist der Ansatz, dass wir das eben auch strukturell jetzt noch stärker adressieren, dass wir einen Querschnittsbereich Digitalisierung im DLR etablieren, über den dann auch Ressourcen gesteuert werden für die einzelnen Projekte, die dann unterhalb dieses Querschnittsbereichs definiert sind. Ich nenne nur das Thema Global Connectivity oder Cyber-Sicherheit. Das sind auch Themen, wo das, was ich am Anfang angesprochen habe, nämlich das Zusammenbringen von Kompetenzen aus unterschiedlichen Forschungsbereichen des DLR eine große Rolle spielt.
Sieben neue Institute
Krauter: Das soll auch richtig physisch passieren. Es werden nämlich, wurden schon, neue Institute gegründet, sieben an der Zahl. Das von Ihnen schon erwähnte wird in Dresden aufgemacht. Institut für Softwaremethoden zur Produktvirtualisierung. Da geht es um das virtuelle Flugzeug, das Sie eben schon angesprochen haben. Was genau soll an den sechs anderen neuen Instituten gemacht werden, die Sie schon aufgemacht haben Ende letzten Jahres?
Hamacher: Wir haben ein neues Institut in Bremerhaven, das wird sich noch stärker mit dem schon bestehenden Forschungsschwerpunkt maritime Sicherheit befassen. Es gibt Aktivitäten zur maritimen Sicherheit schon an verschiedenen Instituten des DLR. Aber in Bremerhaven haben wir jetzt einfach mit der Gründung eines neuen Instituts die Chance, das Thema noch mal stärker zu adressieren. Auch hier gilt, dass natürlich Kompetenzen aus anderen Instituten, aus Raumfahrtinstituten zum Beispiel in diese neue Entwicklung eingebracht werden.
In Oldenburg haben wir ein bestehendes Institut übernommen, Next Energy, das sehr stark das Thema Energiesysteme adressiert, und zwar auf der technologischen Seite. Das ist für das DLR insofern neu, als wir in der Vergangenheit sehr stark natürlich Einzeltechnologien erforscht und entwickelt haben, hier aber gerade der systemische Ansatz dann nochmal mit dazu kommt. Da geht es jetzt auch nicht um Systemstudien. Das macht das DLR schon lange, also zum Beispiel welche gesellschaftlichen, volkswirtschaftlichen, technologischen Randbedingungen zu beachten sind, wenn wir 2050 die Energieversorgung in Deutschland nur noch auf Basis von erneuerbaren Energien zum Beispiel als politisches Ziel haben, sondern da geht es wirklich um technologische Systeme, die da stärker vorangetrieben werden. Und das ist einfach eine Ergänzung des Portfolios von Einzeltechnologien hin zu Gesamtbetrachtungen.
Dann gibt es in Hamburg zwei neue Institute, die sich zum einen mit Wartung und Instandhaltung von Luftfahrzeugen befassen, und ein Institut, das sich mit Luftfahrtsystemen auch eher auf der Ebene von Einzelsystemen wie Bordelektronik zum Beispiel befasst. Und in Augsburg wird es ein Institut geben, dass sich mit Triebwerkskomponenten und -technologien befasst. Auch hier Elemente, die wir bisher in der Form nicht gehabt haben. Und auch Augsburg wird sehr stark zum Thema Virtualisierung beitragen, weil hier im Grunde das Thema virtuelles Triebwerk im Gesamtsystem des virtuellen Flugzeugs dann entwickelt werden soll. Last but not least ein Institut in Jena, das sich mit dem Thema große Datenmenge, Analyse, Auswertung, neue Algorithmen et cetera beschäftigen soll.
Technologie in Produkte und Dienstleistungen überführen
Krauter: Das DLR will ja, auch das ist ein erklärtes Ziel dieser Strategie DLR 2030, als Innovationstreiber wirken. Erklärtes Ziel ist, den Technologietransfer in die Wirtschaft zu stärken, zum Beispiel auch, indem man Unternehmensgründungen aus den eigenen Reihen ermutigt. Wie soll das gelingen?
Hamacher: Wir haben im DLR schon länger den Anspruch, sehr stark unsere Technologieentwicklungen auch in Produkte und Dienstleistungen zu überführen, aber in einer Forschungseinrichtung muss man schon sehen, dass man das nur bis zu einem bestimmten Punkt vorantreibt und irgendwann dann eben die Wirtschaft, die Industrie ins Boot geholt werden muss, um dann tatsächlich Produkte zu entwickeln. Das ist nicht Aufgabe des DLR oder von staatlich geförderten Forschungseinrichtungen generell.
Und dazu gibt es verschiedene Instrumente, die wir in der Zukunft noch stärker forcieren wollen. Unternehmensgründungen oder -ausgründungen aus dem DLR ist ein Weg, der insbesondere dann zum Zuge kommt, wenn wir für unsere Technologien, für unser Know-how dann am Ende auch keine industriellen Partner finden, die bereit sind, diese Technologien in Produkte umzuwandeln. Da kann es ganz unterschiedliche Gründe dafür geben. Weil die Industrie einfach national oder international für diese Themen nicht aufgestellt ist, sicher auch andere Gründe. Und deswegen ist Ausgründung ein Ansatz.
Krauter: Aber nochmal gefragt, mit welchen konkreten Maßnahmen will man denn diese Rolle des Innovationstreibers nun stärker ausfüllen?
Mit Industrieunternehmen in einem Boot
Hamacher: Das sind noch mehr kooperative Projekte mit industriellen Partnern. Das sind Instrumente wie kooperative Labore, wo wir also mit Industrieunternehmen gemeinsam in Laboren an Technologien forschen. Da findet dann auch ein Stück weit Transfer über Köpfe statt, nämlich durch die Zusammenarbeit zwischen Teams. Das findet statt über die erwähnten Ausgründungen, das wird verstärkt forciert werden dadurch, dass wir insbesondere jenseits der klassischen Forschungsbereiche auch Technologien über Entwicklungsförderung aus dem DLR heraus, in Anwendungsreife oder in Anwendungsnähe bringen.
Gerade im Bereich der Robotik ist das ein Thema, wo eben Robotik klassisch im DLR ausgerichtet ist auf die Anforderungen der Raumfahrt, teilweise auch der Luftfahrt. Aber sehr viel an Transfer inzwischen ja insbesondere in den Gesundheitsbereich erfolgt, was zum Beispiel Roboterassistenzsysteme für den Menschen angeht, was robotische Operationssysteme angeht. Da ist das DLR dann auch mit finanziellen Ressourcen dabei, diese Entwicklungen insbesondere am Markt oder produktgetrieben aus den klassischen Anforderungen der Luft- und Raumfahrt heraus in die entsprechende Richtung zu entwickeln.
Krauter: Welche Rolle wird das DLR künftig noch als Raumfahrtagentur spielen, die es ja auch ist? Gibt es denn da Tendenzen, vielleicht einige bisherige Aufgaben künftig eher kommerziellen Dienstleistern zu überlassen, die ja gezeigt haben, dass sie das zum Teil auch ganz gut können?
Hamacher: Also die Strategie selbst sieht in diesem Kontext keine Änderungen vor. Das Thema New Space auf der Agenda ist auch im nationalen Umfeld, und die stärkere Privatisierung von Raumfahrtaktivitäten, das zielt ja eher in die Richtung der produzierenden Industrie, nicht so sehr in die Funktion des DLR als die Organisation, die Raumfahrttechnologien im staatlichen Interesse fördert.
Krauter: Das heißt, da bleibt bis auf Weiteres erstmal alles beim Alten.
Hamacher: Davon gehen wir aus.
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