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Straubhaar: Europa braucht Wachstumsperspektive und Sparpakt

Die Ergebnisse des Wahlsonntags in Frankreich und in Griechenland werden "mittelfristig zur Stabilisierung der Lage beitragen", sagt der Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts. Hollande werde besser mit Merkel zusammenarbeiten, als erwartet, und jetzt werde sich zeigen, wohin sich Griechenland entwickelt, so Thomas Straubhaar.

Thomas Straubhaarim Gespräch mit Birgid Becker |
    Birgid Becker: Machtwechsel in Frankreich und das Ende des 38-jährigen Zwei-Parteien-Systems in Griechenland – ein neues Kräftegefüge, über das der griechische Journalist Tassos Telloglou sagt:

    !"Ja, es wird sicherlich schwieriger, weil wir stehen vor einer Zersplitterung der Allmacht des Zwei-Parteien-Systems. Das wird das Land wahrscheinlich in einer ersten Phase kurzfristig unregierbar machen."

    Becker: Wahlerfolge also in Griechenland für die Kritiker des Euro-Sparkurses, Wahlsieg in Frankreich für den Mann, der den Fiskalpakt nicht will. Der Tag heute nach dem Wahlsonntag in Paris und Athen wurde zum Tag der Mahnungen und Warnungen in der Finanzwelt.
    Mitgehört hat der Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, des HWWI, Thomas Straubhaar. Guten Tag!

    Thomas Straubhaar: Guten Tag, Frau Becker.

    Becker: Herr Straubhaar, was bedeuten die Wahlergebnisse in Frankreich und in Griechenland – Anlass zur Sorge, weil der Sparkurs in Frage gestellt wurde, oder Anlass zur Hoffnung, weil sich ja doch der Eindruck verstärkt hatte, dass der Sparkurs bald mehr Teil der Krise sein würde als Teil der Lösung?

    Straubhaar: Ich bleibe eher optimistisch, dass die Ergebnisse des Wahlsonntags sowohl in Frankreich wie auch in Griechenland mittelfristig zur Stabilisierung der Lage beitragen werden – erstens, weil ich überzeugt bin, dass François Hollande viel besser mit Angela Merkel zusammenarbeiten wird, als das vielleicht viele kritische Stimmen heute erwarten würden, und zweitens, weil in Griechenland früher oder später jetzt eindeutig gesagt werden muss, wohin sich Griechenland entwickeln wird.

    Becker: Betrachten wir die zwei Wahlereignisse einzeln, Frankreich zunächst. François Hollande, ausgewiesener Kritiker des Fiskalpaktes, der ja zumindest nachverhandeln will. Muss sich, obwohl Sie ja glauben, dass er sich schnell mit Angela Merkel zurecht finden wird, muss sich dennoch Europa neu justieren und muss neben dem Sparkurs mehr Gewicht auf Wachstumsförderung gelegt werden?

    Straubhaar: Das wird sicher der Fall sein und ich denke, da haben wir ja schon bereits festgestellt, dass die Bundeskanzlerin in Antizipation, in Vorwegnahme des Ergebnisses vom Sonntag auch ein Signal ausgesendet hat, dass sie durchaus bereit ist, lange von ihr für unverhandelbar angesehene Positionen aufzugeben und sich eben gerade dem Sozialisten François Hollande sozusagen anzunähern und zu sagen, wir brauchen auch einen Wachstumspakt für die Eurozone, ohne deswegen jedoch die Sparbemühungen aufgeben zu wollen.

    Becker: Welches Signal wäre das aber an die Märkte?

    Straubhaar: Ich denke, es darf doch nicht sein, dass die Politik sich nach den Börsenkursen ausrichtet, weil wir wissen alle, dass Börsenkurse ganz anderen Gesetzmäßigkeiten folgen, als es sozusagen rational handelnde Politikerinnen und Politiker tun, und von daher gesehen wäre das ein völlig falsches Signal, jetzt irgendwelche Rücksichtnahme auf Börsenentwicklungen oder Wechselkurse zu nehmen. Was die Politik tun muss ist, hier ganz klar das Signal geben, dass es nicht ein "entweder, oder" ist, also nicht entweder Sparen, oder Wachsen, sondern ein "sowohl als auch". Europa braucht in dieser kritischen Lage sicher beides: es braucht eine Wachstumsperspektive und einen Sparpakt.

    Becker: Wenn aber die Franzosen den Fiskalpakt nicht mehr ernst nehmen, oder einen Fiskalpakt light anstreben, wie sollten es dann Spanier und Italiener tun?

    Straubhaar: Ganz genau, und deshalb, denke ich, ist es eine Frage der Zeit, dass nach den Wahlen zwar der neue französische Staatspräsident sicher in seiner Rhetorik weiterhin eher auf Wachstum setzen dürfte, aber dann doch im Hintergrund die Chance, die sich ihm ja auch bietet, gerade im Konzert mit Brüssel und Berlin eben das zu tun, was die französische Wirtschaft nötig hat, nämlich wettbewerbsfähiger zu werden, die französische Wirtschaft zu modernisieren und damit auch für andere Regierungen Südeuropas ganz klar das Signal zu geben, dass er nicht das tut, was sozusagen der einfachste Weg wäre, sondern dass er die Chance nutzt, genauso übrigens wie der rote Gerhard Schröder ja vor zehn Jahren die "Agenda 2010" als Sozialdemokrat auf den Weg gebracht hat und als Sozialdemokrat Deutschland modernisiert hat in einer Art und Weise, wie man es nicht erwartet hätte. Genau das ist auch die Chance für François Hollande, den Sozialisten, weil Sozialisten haben es einfacher, der Masse der Beschäftigten unangenehme Wahrheiten auch wirklich vermitteln zu können.

    Becker: Hat man denn die Zeit dazu? Sie haben zwar gesagt, dass sich die Märkte nicht zum Tonangeber oder Taktgeber der Politik entwickeln dürften, aber genau das war ja in der Vergangenheit so.

    Straubhaar: Ja genau, aber das war ja auch genau der historische Fehler, dass man sich dann von den Märkten hat treiben lassen. Europa hat die Möglichkeit, wenn es das will, und es hat ja immer diese politische Absicht auch bestanden, nämlich indem das durch die jetzt beschlossenen Rettungsschirme diese Refinanzierung von Staaten, deren Kreditkosten sonst auf privaten Märkten zu hoch werden würden, realisiert werden kann. Das heißt, es bestehen ja jetzt diese Rettungsschirme und die Europäische Zentralbank kann immer und immer wieder auch den privaten Märkten drohen, dass die Europäische Zentralbank ja Herrin des Verfahrens in dem Sinne ist, dass sie jederzeit entsprechend auch die Staaten mit Geld alimentieren kann.
    Becker: Dann blicken wir auf Griechenland. Ist das Risiko, dass Griechenland den Euro verlassen muss, gestiegen nach dem Wahlergebnis gestern, dass ja die linksgerichtete "SYRIZA" zur zweitstärksten Kraft gemacht hat, und diese Partei spricht sich explizit gegen eine Begleichung der Staatsschulden aus. Also ist das Risiko gestiegen, dass Griechenland dem Euro einen Abschiedsgruß gibt?

    Straubhaar: Ich denke, ja, und ich denke, dass das auch an sich ein durchaus stabilisierendes Signal sein kann, weil was neu ist, ist, dass jetzt aus Griechenland selber ja ganz klare Stimmen kommen, dass große Teile der Bevölkerung sozusagen einen Austritt aus dem Euro wünschen, ein Aufbrechen und ein Aufkündigen europäischer Verträge aus griechischer Sicht wünschenswert ist, und ich denke, das ist jetzt genau der Punkt, an dem sich die griechische Bevölkerung letztlich wird entscheiden müssen: wollen sie dieses immense Risiko eingehen und tatsächlich nicht einhalten, was sie versprochen haben, dann, denke ich, wird kein Weg mehr daran vorbeiführen, dass Griechenland dann auch großenteils letztlich aus freier Entscheidung die Eurozone verlässt – das ist juristisch nicht einfach, aber lassen wir mal das bei Seite – und dann wird es rausgehen, oder die Vernunft wird siegen und es ist bereit, einen Großteil seiner nationalen Autonomie an die Troika, an Brüssel, an das Ausland abzutreten und dann praktisch sich von außen verwalten zu lassen.

    Becker: Und diese Variante sehen Sie nicht als realistisch an?

    Straubhaar: Die halte ich nach dem letzten Sonntag von gestern für vergleichsweise weniger wahrscheinlich geworden und damit, denke ich, ist das Risiko oder auch die Gefahr aus griechischer Sicht, nicht mehr aus europäischer Sicht, aus griechischer Sicht größer geworden, dass es zu einem Alleingang führt, weil wenn Griechenland sozusagen freiwillig rausgeht, dann habe ich auch keine Sorge vor einem Domino- oder Ansteckungseffekt für Portugal oder Spanier. Ganz im Gegenteil: Ich denke, die Erfahrung Griechenlands wird für die anderen Drohung mehr als genug sein, nicht diesen Weg des Alleingangs zu gehen, weil das wird Griechenland über Jahre ins Abseits befördern.

    Becker: Wir werden gleich noch näher auf diesen Punkt des freiwilligen Austritts kommen, denn Klaus Regling, der Chef des vorläufigen Rettungsschirmes EFSF, der hat ja – darüber gleich der Bericht – ganz entschieden vor solch einer Variante gewarnt und gerade diesen Dominoeffekt als realistisch dargestellt und auch ganz starke Zweifel angemeldet, dass solch ein freiwilliger Ausstieg überhaupt praktikabel sein wird. Solche Bedenken lassen Sie nicht gelten?

    Straubhaar: Doch, doch! Ich sehe das genauso, dass das alles andere als einfach ist. Es gibt juristisch diese Möglichkeit ja überhaupt nicht. Juristisch ist eigentlich nur der indirekte Weg möglich, dass Griechenland aus der Europäischen Union austritt, und dann könnten sie auch aus dem Euro austreten. Das heißt, dann würde Griechenland praktisch in einen Zustand kommen, den andere Länder beispielsweise aus dem ehemaligen Jugoslawien, auf dem Balkan, schmerzhaft genug erfahren, wie schwer und wie hart es ist, als Außenseiter dann alleine dazustehen. Deshalb bin ich ganz der Meinung von Herrn Regling, dass das überhaupt keine Option ist für Griechenland. Andererseits: Wenn Griechenland sich total verweigern sollte, wenn das griechische Volk sagt, wir sind nicht bereit, uns dem Diktat Brüssels oder der Troika zu beugen, dann wird es früher oder später zu diesem Bruch kommen. Der Dominoeffekt wird deshalb nicht stattfinden, weil das ja dann nicht eine einseitige Aktion der Europäischen Union gegenüber Griechenland ist, sondern weil Griechenland genau diesen Bruch provoziert, und da sind wir ja in Portugal oder Spanien oder Italien weit, weit weg von einem solchen Szenario.
    Becker: Professor Thomas Straubhaar war das, der Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts. Ich danke Ihnen.

    Straubhaar: Gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.