Jörni hat heute schlechte Laune, und Kimo möchte am liebsten keinen Schritt mehr gehen. Die beiden Graffiti-Künstler sitzen schlaff in ihren Liegestühlen, im Hinterhof von "The Haus".
Fleißige Berliner Jungs
In der Nachmittagssonne entspannen – geht nicht. Ständig klingeln ihre Telefone. The Haus macht Arbeit, Arbeit und noch mehr Arbeit: ein ehemaliges Bürogebäude, fünf Stockwerke, 78 Räume. Nun voller Graffiti und Street Art. Das zieht selbst in Berlin. Touristen, Werber, Journalisten, alle wollen noch einmal rein, bevor das ehemalige Bank-Gebäude in der Nähe des Kuhdamms abgerissen wird und hier Luxus-Apartments entstehen.
"Im Grunde genommen war das zusätzlich zum Tagesbusiness ein zweiter 16-, 17-Stunden-Job, wo wir beschäftigt waren, um beide Sachen unter einen Hut zu kriegen. - Und, ja, der Fleiß zahlt sich dann am Ende aus. Und wir sind fleißige Berliner Jungs".
Die "fleißigen Berliner Jungs", das sind Kimo von Rekowski, Jörn Reiners – kurz Jörni - und Marco Bollenbach – alias Bolle. Die Dixons nennen sich die drei.
Früher, als Jugendliche haben sie auf der Straße gemeinsam gesprayt. Nun arbeiten sie zusammen, vermarkten ihre handwerklichen Fähigkeiten und ihre Kontakte in die Szene mit der Firma XI-Design.
"Wir sind halt ein paar Jungs aus der Szene, die ihr Geschäft aufgebaut haben mit der Bemalung von Brandwänden. Wir haben unsere eigenen Wände, die wir bespielen, deutschlandweit. Und mit den Moneten gönnen wir uns halt freie Zeit und malen Projekte, die nichts mit kommerziellem Hintergrund zu tun haben. Und das haben wir auch mit The Haus getan."
Die drei Freunde haben sich selbst quasi zur Marke gemacht, weil sie genau das sind, was sich die Unternehmen unter "coolen Street-Artists" vorstellen - inklusive Tattoos, Käppi, Hipsterbart und Berliner Schnauze. Schließlich rafft sich Kimo auf: zu einer kleinen Tour durch The Haus.
Vor dem Gebäude hat sich eine Schlange gebildet: eine Gruppe junger Spanierinnen, einige chinesische Touristen, Studenten und kunstbeflissene Kuhdamm-Berlinerinnen.
Kimo öffnet die Tür zu einem der Büroflure. Etliche Büro-Türen entlang des Flurs, an jeder Tür steht der Name eines Künstlers. In einem der Räume ragen zwei riesige Gipsbeine durch die Decke. Durch das Büro nebenan rauscht ein Zug. Während Kimo von Raum zu Raum geht, erzählt der 31-Jährige, wie er selbst zur Street Art gekommen ist.
"Ich war ein Schlüsselkind, bin irgendwie Teil von Straße, bin da aufgewachsen, viel Scheiße natürlich auch gebaut. Auf der Straße geht es dann eben um Graffiti, Breakdance, Drogen, verschiedenste Sachen, die einem da begegnen auf der Reise. Und es war immer ein Teil von mir, Subkultur, Atzen treffen, was zusammen machen, Dinge erleben, frei sein".
"Und daraus entstehen geile Sachen, wenn man sich nicht von Druck oder Stress leiten lässt, nur um noch mehr Moneten zu machen. Die Moneten kommen von alleine".
Steigende Nachfrage nach gesprühter Kunst
Einige Wochen später – The Haus ist mittlerweile Vergangenheit, leer geräumt und soll bald abgerissen werden – ist Jörni wieder in Sachen XI-Design unterwegs. Gerade wurde eine Hotel-Wand neu gestaltet - in der Nähe der Oberbaumbrücke:
"Berlin ist schon ein prädestinierter Ort für solche Ideen und solche Standortgeschickten. Das funktioniert in jeder Stadt im Kleinen so. Aber gerade Berlin als Zentrum für Street Art und Urban Art – das musste ja kommen. Wenn nicht hier, wo denn dann?"
Jörni holt Wasser und Kaffee aus der Lobby, setzt sich draußen an einen Plastiktisch. Über Jörni an der Hotelwand tanzen Grinsemännchen, Berliner Bären, Gettoblaster in einer Explosion aus Orange und Rosa. In der Mitte des Chaos steht eine mehrere Stockwerke hohe Bierflasche – so echt, als könne man sie greifen: Kondenswasser-Perlen am Flaschenhals versprechen Erfrischung. Die Hotelfassade ist eine von insgesamt etwa 100 Wänden in Deutschland, die XI-Design für Werbezwecke vermietet – und gestalten.
"Kunden sind die großen Unternehmen, Big Player, die Medien. So Filmwerbung, zum Beispiel. Von dem 'Star Wars', dem neuen, haben wir ein interaktives Projekt gemacht".
Jörnis Telefon klingelt. Die Firma ist gut im Geschäft, könne es sich leisten, Aufträge auch mal abzulehnen. Richtige Konkurrenz gebe es kaum. Und so steigt die Anzahl der Aufträge von Jahr zu Jahr. Etwa 70 Bilder haben sie im vergangenen Jahr auf Fassaden in ganz Deutschland gesprüht: Luxuslimousinen, Sportwerbung oder Adele landen als Graffiti auf den Wänden.
Rückgriff auf ein großes Netzwerk
Um die Aufträge umzusetzen, nutzen die Jungs ihre Kontakte in die Street-Art-Szene, beauftragen freie Künstler.
"Wir haben so 150, 200 Künstler, die weit zerstreut agieren, aber auf Zuruf zu aktivieren sind. Aber in einer permanenten Rotation haben wir so 30, 40 Leute, die permanent für Projekte von uns unterwegs sind."
Wie viel so ein Graffiti kostet, hängt unter anderem vom Aufwand ab: Größe, Farben, dem Künstlerhonorar. Aber allein die Wand-Miete an einem Top-Platz wie hier liegt schon im fünfstelligen Bereich. Wenn es aber um konkrete Zahlen zu Umsatz und Gewinn geht, gibt sich der lockere Jörni dann aber etwas zurückhaltend.
"Wir gegeben uns jeden Monat wie jedes Unternehmen größte Mühe, unsere Brötchen zu bezahlen. Und nicht nur für uns, sondern alle andere in unserem Dunstkreis auch."
Das Gerüst vor der Graffiti-Werbung ist abgebaut. Jörni schnappt sich sein Smartphone, ruft seinen Hund Sissy. Er muss noch ins Büro. In wenigen Wochen, spätestens in drei Monaten werden Bierflasche und bunte Grinsemännchen wieder überstrichen. Um Platz zu machen für neue Werbung.