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Street-Art in Jordanien
Mit viel Farbe gegen die Unterdrückung der Frau

In Amman gab es das erste Street-Art-Festival im Nahen Osten. Dabei ging es vor allem um die Rolle der Frau in der arabischen Welt. Die Künstler verwandelten eine graue Betonmauer in ein Kunstwerk der Freiheit - das prompt zensiert wurde.

Von Stephanie Rohde |
    Eine weiße Leinwand steht normalerweise als Sinnbild für all die Ideen, die Künstler auf sie projizieren könnten. Mitten in der Innenstadt von Amman steht aber keine weiße Leinwand, sondern eine erdrückend riesige Betonwand in traurigem Grau. Die 25 Künstlerinnen und Künstler sollen sie in ein circa 50 Meter langes Kunstwerk der Freiheit verwandeln.
    Einige erste Zeichen der Verwandlung sind schon sichtbar: Weiße Grundierungen oder Umrisse von Zeichnungen an der Mauer, Spraydosen auf dem Boden und Künstler, deren Hände und Kleider mit Farbspritzern bedeckt sind. Immer wieder bleiben Passanten stehen und sprechen die Künstlerinnen an. Eine von ihnen ist Noor Qussini, sie malt gerade ein Gewirr aus unendlich feinen Haaren mit brauner und beiger Farbe an die Wand. In der Mitte der Zeichnung sitzt eine junge Frau, an einen Stuhl gefesselt und den Mund mit einem Tuch verbunden. Ihre Haare strömen in alle Himmelsrichtungen und in ihren Spitzen verfangen sich Stühle. Für Noor Qussini symbolisieren die Stühle die Traditionen der Kultur, in die man hineingeboren wird. Die gefesselte Frau stehe auch für sie selbst, erzählt Noor, die in Katar lebt.
    "Sie hat immer Angst davor, 100-prozentig sie selbst zu sein. Denn die Gesellschaft und deine Familie erlauben es nicht, dass du ganz du selbst bist. Wenn du es bist, bist du ein schlechtes Mädchen. Und Frauen auf der ganzen Welt haben das schon einmal gehört: Du bist ein Mädchen, du darfst dies nicht und das nicht!"
    Frauen sollen sichtbarer werden
    Deshalb schreibt Noor über ihr Gemälde auf Arabisch: "La anti bint! - Nein, du bist ein Mädchen!" Um dieses Thema kreisten auch die Workshops und Vorträge, die als Begleitprogramm zum ersten Street-Art-Festival im Nahen Osten stattgefunden haben. Die Teilnehmerinnen diskutierten fünf Tage lang darüber, wie Frauen in der arabischen Welt sichtbarer werden können - beispielsweise mit Festivals wie diesem.
    Eine Künstlerin, die schon vor diesem Festival in der internationalen Kunstwelt sichtbar war, ist Mariam Haji. Die 29-Jährige hat ihr Heimatland Bahrain im vergangenen Jahr auf der Biennale in Venedig repräsentiert - aber mit Street-Art hat sie sich bislang noch nicht beschäftigt. Mariam packt ihre fünf mal fünf Meter lange Zeichnung auf weißem Papier aus, die sie an die noch graue Betonwand kleistern will. Auf der detailreichen Zeichnung sieht man Mariam selbst, wie sie mit ihrem muskulösen und fast männlich anmutenden Körper gegen einen Löwen kämpft.
    "Ich habe bemerkt, dass arabische Frauen es schwierig finden, sich mit ihren Körpern zu identifizieren. Und Bilder wie diese sollen arabische Frauen inspirieren und motivieren, sich mit ihrem Körper auszudrücken und Geschichten damit zu erzählen, denn unsere Körper werden oft versteckt."
    Mariam hat die Zeichnung bewusst auf dünnes Papier gedruckt, um auch mit dem Material zu verdeutlichen, wie verletzlich Frauen noch immer sind in ihrem Kampf für mehr Rechte.
    Künstler sind angreifbar
    Und beim Festival wurde deutlich, dass auch die Künstlerinnen und Künstler angreifbar sind - vor allem wenn es darum geht, Körper in der Öffentlichkeit darzustellen. Das Motto "Von der Angst zur Freiheit" wirkte plötzlich sehr greifbar, als einer der Street-Artists seine überdimensionale Malerei zensieren musste, berichtet Mariam.
    "Die Frauen waren nackt in pornografischen Positionen, und sie haben ihm gesagt, er solle es bitte zensieren. Und während er es zensiert hat, wurde es noch viel pornografischer, weil er es mit Farbklecksen beschmiert hat - und da habe ich gemerkt, dass es diese Interaktion zwischen Künstlern, den Passanten auf der Straße und den staatlichen Autoritäten so nicht geben kann in einer Galerie für Bildende Kunst."
    Auch deshalb hat Mariam Haji, die in Schottland und Australien studiert hat, sich vorgenommen, nach diesem Street-Art-Festival weniger in den sterilen, abgeschlossenen Räumen der Kunstwelt auszustellen, sondern Menschen mit ihrer Kunst auf der Straße zu konfrontieren. Auch so will sie Frauen ermutigen, sich freier auszudrücken.
    "Ich kann einfach sein, wer ich bin mit meinen arabischen Freunden hier. Und wir können gemeinsam entdecken, was es bedeutet, unsere Kreativität auszudrücken in unserem eigenen kulturellen Rahmen auf unseren Straßen mit unseren Leuten."