Archiv

Streetart
Wandgemälde im Problemviertel

Murals sind Wandgemälde, die - im Gegensatz zum Graffiti - meistens legal als Auftragsarbeiten in US-Großstädten platziert werden. Sie entstammen dem Civil Rights Movement der USA und enthalten häufig politische Botschaften. Die niederländische Historikerin Elke Weesjes hat die Murals des New Yorker Stadtteils Bedford-Stuyvesant erforscht.

Von Christian Lehner |
    Wenn man in Brooklyn bei der U-Bahnstation "Bedford-Nostrand Ave" aussteigt und zwei Blocks Richtung Süden spaziert, wird man von 90 Frauen gegrüßt. Eine sitzt in einer Ritterrüstung auf einem gelben Pferd. Eine andere wird von einer Art Heiligenschein gekrönt. Eine dritte reckt eine Faust in die Höhe. Wir haben es hier allerdings nicht mit einem echten Demonstrationszug für Frauenrechte zu tun. Die Damen sind alle in Form eines riesigen Gemäldes auf einer Hauswand versammelt.
    "Dieses Gemälde heißt 'When Women pursue Justice'. Es zeigt 90 Frauen, die sich für mehr soziale Gerechtigkeit in den USA eingesetzt haben. Auffällig sind die grellen Farben. Das Gemälde ist sehr lebhaft und wirkt fast wie ein Wandteppich."
    Die aus Holland stammende Historikerin Elke Weesjes lebt seit drei Jahren im Stadtteil Bedford-Stuyvesant. Hier schlägt das Herz der afroamerikanischen Community Brooklyns. "Murals" lautet das englische Wort für Wandgemälde. Nirgendwo in New York sieht man so viele dieser Murals wie in Bedford-Stuyvesant. Elke Weesjes hat zu diesem Thema eine Ausstellung kuratiert.
    "Diese Wandgemälde dokumentieren die Geschichte des Viertels. Sie geben uns die Möglichkeit zu verstehen, was in der Community passiert und was sie bewegt. Die Themen reichen von Rassismus bis zur Gesundheits- oder Wohnbaupolitik."
    Politische Botschaften, gesellschaftliche Missstände
    Bereits die Römer bemalten Häuserwände, um auf gesellschaftliche Anliegen aufmerksam zu machen. Mit dem Aufkommen der US-Bürgerrechtsbewegung in den frühen sechziger Jahren wurden Murals in den afroamerikanischen Gemeinden ein Mittel zum Kampf für Gleichberechtigung. Noch heute trifft man in Bedford-Stuyvesant auf Porträts von Dr. Martin Luther King Jr. oder Malcom X.
    "Begonnen hat es 1967 in der Southside von Chicago. William Walker war ein politischer Aktivist. Er hat 20 afroamerikanische Künstler versammelt und sie haben das Mural 'Wall of Respect' gemalt. Es war so populär, dass andere Großstädte folgten. Murals sind ein sehr effektiver Weg, Geschichten zu erzählen."
    Diese Geschichten wurden im Lauf der Zeit düsterer. Besonders in den Achtziger- und Neunzigerjahren drohten die afroamerikanischen Communities zu zerfallen. Während sich einerseits nach und nach eine Mittelschicht etablierte, rutschten viele Jugendliche ab in Drogensucht und Bandenkriminalität. Bedford-Stuyvesant wurde zum Hauptumschlagplatz für die berüchtigte Droge Crack.
    "Bei einem meiner Erkundungszüge tiefer ins Viertel sind mir diese speziellen Murals aufgefallen. Man nennt sie 'Urban Gravestones', also 'Urbane Grabsteine'. Sie erinnern an die Toten der Community. Viele davon waren Gangmitglieder. Die meisten davon sehr jung."
    Gentrifizierung hält Einzug
    Im Gegensatz zu den Graffitis, den Sprühbildern an Häuserwänden oder U-Bahn-Zügen, sind Murals meist legale Auftragsarbeiten, die von einem Künstlerkollektiv ausgeführt werden. In Bedford-Stuyvesant sind etwa Gruppen wie Justice Corps oder Artmakers Inc. aktiv. Mittlerweile ist das Viertel zu einem Mittelpunkt der Gentrifizierung geworden. Die Kriminalitätsrate sinkt. Immer mehr Weiße ziehen hierher. Dass das Viertel einen Imagewechsel erfahren hat, ist laut Elke Weesjes auch auf eine lokale Kampagne zurückzuführen:
    "Im Jahr 2005 hat die Nachbarschaftsorganisation Restoration Corporation die 'Icons Campaign' initiiert. Lokale Rapper wie Biggie Smalls oder Lil Kim hatten zuvor den Slogan geprägt 'Do Or Die – Bed-Stuy', was eine sehr negative Konnotation hatte. Der neue Slogan heißt: 'Bed-Stuy, and Proud of It'. Man zeigt Stolz."
    Ein Stadtteil im Wandel. Noch kann man Dutzende Murals in Brooklyn bewundern. Doch wie lange noch? Die größte Herausforderung ist mittlerweile nicht mehr die Kriminalität, sondern die Verdrängung der angestammten Bevölkerung durch Immobilienspekulanten und betuchte Neuankömmlinge. Sollten die Wandmalereien aus dem Stadtbild verschwinden, würde New York ein weiteres Stück Straßenkultur verlieren. Mögen die Bewohner also noch lange von den 90 Damen an der Nostrand Avenue gegrüßt werden.