Musik: Mendelssohn, Streichquartett Nr. 4
"Das großartige Abenteuer, dabei sein zu dürfen, wenn vier Musiker im Grunde genommen eine ganze Welt entfalten."
So bringt Thorsten Schmidt, Intendant des Festivals "Heidelberger Frühling" und damit auch des Streichquartettfestes auf den Punkt, was den Reiz des Genres ausmacht. Und wie zum Beweis seiner These fanden sich am vergangenen Samstag, vormittags um 10 Uhr, rund 400 Konzertbesucher ein, um Felix Mendelssohn Bartholdys viertes Quartett in e-Moll live zu hören. Im dritten Satz greift der Komponist eine von ihm selbst kreierte musikalische Gattung auf, das "Lied ohne Worte".
Bekannte Stars und neue Ensembles
Mendelssohns e-Moll-Quartett wurde dargeboten von einer profilierten Nachwuchsformation. Das Arod Quartett mit Musiker aus vier verschiedenen Nationen hat im vergangenen Jahr beim ARD-Wettbewerb in München einen ersten Preis gewonnen. Die Planung für die Saison 2017 beim Heidelberger Streichquartettfest, betont Intendant Thorsten Schmidt, war aber vorher schon abgeschlossen:
"Wir haben glücklicherweise – das sind wir auch ein bisschen stolz darauf - das Arod Quartett engagiert, bevor sie den Wettbewerb gewonnen haben. Und das ist auch, glaube ich, für das Publikum das Reizvolle: Ich kann hier eventuell Quartette entdecken, die auf dem Weg zu einer großen Karriere sind."
Eine Entdeckung in diesem Jahr war zweifelsohne das "Abel Quartett" aus Südkorea, das vor drei Jahren gegründet wurde und aus je zwei Damen und zwei Herren besteht. In Heidelberg demonstrierten sie ihr Können mit Robert Schumanns Quartett Nr. 2 in F-Dur, das in einer der wenigen glücklichen Lebensphasen des Komponisten entstanden ist.
Vor 12 Jahren hat Thorsten Schmidt innerhalb des "Heidelberger Frühlings" zwei Streichquartett-Tage veranstaltet, damals noch mit wenig Resonanz:
"Da sind wir ungefähr, ich glaube, vierzig bis fünfzig Personen gewesen. Aber das war atmosphärisch so großartig und für uns alle so großartig, dass ich damals entschieden hab, wir machen das weiter. Die Menschen sind begeistert gewesen und jeder hat im Folgejahr jemanden mitgebracht und davon erzählt. Es ist eigentlich ganz kontinuierlich und sukzessive gewachsen. Und das macht, glaub ich die Atmosphäre des Festivals auch aus, dass es eine Gemeinde ist, die sich hier jedes Jahr trifft. Und dadurch, dass sie aus ganz Deutschland und der ganzen Welt kommt, ist es ein bisschen wie ein Familientreffen der Streichquartettfans!"
Workshops mit Profis
"Ich glaub, man kann immer irgendwas mitnehmen, irgendwelche Ideen, sei es was Neues, sei es was Bekanntes, was sich bestätigt."
Christof Becker ist von Beruf evangelischer Stadtkantor im hessischen Lich. In seiner Freizeit spielt er Bratsche in einem gehobenen Amateur-Quartett. Beim Festival reizten ihn nicht nur die Auftritte der Profis, sondern auch die Workshops, die traditionsgemäß zum Programm gehören. Vor allem eine Frage bewegte ihn.
"Wie kriegt man die vier Individuen unter einen Nenner? Also ich hab das schon erlebt, dass das natürlich auch nicht ohne Malaisen ausgeht. Ich glaub, man muss sich da in der Persönlichkeit zurücknehmen, dass man es weg von der persönlichen auf die sachliche Ebene bringt, im Diskutieren um die Interpretation."
Dass Sachlichkeit im Umgang sinnvoll ist, bestätigt William Coleman, Bratscher im renommierten Kuss-Quartett. Das Zurücknehmen der eigenen Persönlichkeit hält er jedoch auf Dauer für wenig sinnvoll.
"Ich finde, es ist ein 'Gespräch zu viert'. Und wie jedes vernünftige Gespräch unter vernünftigen Leuten muss man auch den anderen zuhören. Und dann sagt man auch seine Meinung. Und manchmal bilden sich Streite und manchmal ist man ganz einverstanden."
Dass durch Kommunikation der Mitglieder eines Streichquartetts nicht nur packende Interpretationen entstehen können, sondern auch neue Dramaturgien, stellte das Kuss-Quartett in Heidelberg eindrücklich unter Beweis. In einem angenehm kleinteiligen Konzert verband es Sätze aus Joseph Haydns "Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuz" mit Stücken aus dem Zyklus "Pulse Shadows" vom englischen Komponisten Harrison Birtwistle.
"Das dauert lang, bevor man ein so schlüssiges Programm findet, denn das ist schon sehr kompliziert und sehr gewagt, die Schritte zwischen den Stücken, und trotzdem muss das schlüssig sein und einen Sinn haben."
William Coleman und seine drei Kollegen vom Kuss Quartett probieren solch neue Konzertformate gerne vor jungem Publikum in einem Club in Berlin aus. Ist die Resonanz positiv, gehen sie damit auf Tournee.
Die Kunst der Probe
Nicht nur aktive Musiker wie die Mitglieder des Kuss-Quartetts, sondern auch in Anführungszeichen "Ruheständler" waren beim Streichquartettfest in Heidelberg zu Gast. Der mit Sicherheit prominenteste: Günter Pichler. Er hing dereinst seinen Posten als Erster Konzertmeister der Wiener Philharmoniker an den Nagel, um das Alban-Berg-Quartett zu gründen, das dann über dreißig Jahre lang auf allen wichtigen Konzertpodien der Welt Erfolge feiern konnte. Thema seines Vortrags. "Die Kunst der Probe".
"Die Kunst der Probe beginnt bei der individuellen Vorbereitung! Die Probe funktioniert nur, wenn jeder dementsprechend gut vorbereitet ist. Die Kunst der Probe besteht in einem musikalischen Konsens, zu dem man finden muss und möglichst rasch finden sollte. Die Kunst der Probe erfordert unglaubliche Geduld, Selbstdisziplin und Respekt vor den Anderen."
Für das Gelingen eines Auftritts, so Günther Pichler augenzwinkernd, ist unendlich viel konzentrierte Arbeit nötig und möglichst wenig Spontaneität oder gar Impulsivität.
"Vier Leute, von denen jeder sich eine Freiheit erlaubt, ohne sie entsprechend vorbereitet zu haben, würde zu einem Chaos führen."
Die Diskussion, die sich im Anschluss an den Vortrag ergab, zeigte einmal mehr, dass das Heidelberger Streichquartettfest ein äußerst sachverständiges Publikum hat, zum großen Teil bestehend aus verhinderten Musikern, die dann doch lieber die Laufbahn eines Chefarztes, Rechtsanwalts oder Mathematikprofessors eingeschlagen haben.
Es ging da z.B. um Artikulationsfragen in Schubert-Quartetten oder wie bei Mozart die Tempi zu wählen sind. Mit dem Satz "Für Laienmusiker ist langsamer im Zweifel immer besser" sorgte Günther Pichler für große Heiterkeit im Saal. So nahmen wohl alle Besucher des Festivals am Ende irgendetwas mit nach Hause. Bei Maria Lith, die als Konzertmanagerin im schwedischen Göteborg eine Kammermusikreihe verantwortet, sind es konkrete Ideen.
"Ich habe in den letzten Tagen einige Quartette gehört, die ich einladen werde. Das ist ganz wunderbar. Dafür hat es sich unbedingt gelohnt, hierher zu kommen!"