Christine Heuer: Die Bahn fährt langsam wieder an, dafür streiken jetzt bundesweit die Erzieher in den kommunalen Kindertagesstätten. Verdi fordert für die notorisch unterbezahlten Arbeitnehmer eine höhere Gehaltsgruppe; de facto entspricht das dann einer Lohnerhöhung von etwa zehn Prozent. Und was tun die Eltern? Vorerst üben sie sich in Geduld, aber vielleicht geht da ja ein bisschen mehr. Meine Kollegin Christiane Kaess hat gestern Abend mit Norbert Hocke von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft über die Rolle der Eltern von Kita-Kindern gesprochen.
Christiane Kaess: Der Kita-Streik strapaziert ja gerade die Nerven von etlichen Eltern, aber die Gewerkschaften hätten gern deren Verständnis und Solidarität. Wie soll denn das zusammen gehen?
Norbert Hocke: Das geht erst mal insofern zusammen, dass wir die Eltern sehr genau informieren, wann und warum wir streiken, und haben bisher die Erfahrung gemacht, dass die Eltern sehr großes Verständnis für die Erzieherinnen und Erzieher in den Einrichtungen haben, weil sie feststellen, dass die Arbeit, die vor Ort geleistet wird, eine Aufwertung verdient.
Kaess: Aber aus den Elternbeiräten kommt trotzdem der Vorwurf, der Tarifkonflikt wird auf Rücken der Familien ausgetragen.
Hocke: Die Problematik ist natürlich, dass ein Streik immer auf Kosten anderer durchgeführt wird. Das ist das Merkmal eines Streiks. Wir haben uns es nicht einfach gemacht, beide Gewerkschaften, GEW und Verdi nicht. Wir haben versucht, in fünf Verhandlungsrunden die Arbeitgeber zu einem Angebot zu bringen, aber es ist nichts passiert und an der Stelle müssen dann einmal die Erzieherinnen und die Sozialarbeiter für sich auch auf die Straße gehen. Das ist eine schwierige Situation für die Eltern und die Kinder, das ist uns sehr bewusst.
"Arbeitgeber müssen sich endlich bewegen"
Kaess: Sie haben es gesagt, Herr Hocke. Im Moment bekommen Sie noch relativ viel Solidarität von den Eltern. Aber was machen Sie denn, wenn die Stimmung kippt? Ab welchem Punkt fühlen Sie sich denn den Eltern so verpflichtet, auch zu sagen, das ist jetzt eine Motivation, den Arbeitskampf abzubrechen, weil wir können ihnen diese Belastung einfach nicht mehr zumuten?
Hocke: Wenn wir ein verhandlungsfähiges Angebot der Arbeitgeber bekommen, werden die Streiks dann auch ausgesetzt. Aber die Arbeitgeber müssen sich endlich jetzt einmal bewegen und wir müssen schauen, dass wir, wenn wir als Erzieherinnen und Erzieher immer für andere da sind, jetzt auch einmal für uns selber da sein müssen.
Kaess: Aber die Gewerkschaften haben ja von Anfang an diesen Konflikt zugespitzt auf die Frage, was ist uns die Erziehung unserer Kinder wert. Da könnte man natürlich umgekehrt genauso fragen, was ist uns die Versorgung Kranker und Alter wert, denn der Verdienst von Krankenschwestern, der ist im Vergleich zu den Erziehern mindestens gleich oder sogar weniger.
Hocke: Ja. Wir müssen schauen, dass wir mit dieser Berufsgruppe, die nun in den Streik getreten ist, nicht gegen eine andere Berufsgruppe, die vielleicht genauso viel oder wenig verdient, agieren, sondern jetzt sind die 210.000 Kolleginnen, die tagtäglich eine Bildungsarbeit leisten, aufgerufen, ihre Prinzipien erst einmal umzusetzen. Das ist eine schwierige Sache, dessen sind wir uns bewusst, aber wir machen dies auch nicht aus Jux und Tollerei, sondern als letztes Mittel. Wir haben seit 2009 eine Situation, wo sich vieles in den Einrichtungen verändert hat, und wir müssen schauen, dass die Arbeitgeber dieses jetzt endlich auch honorieren.
"Gesellschaftliche Diskussion um Entgelt der Arbeit notwendig"
Kaess: Es geht ja auch nicht darum, eine andere Berufsgruppe auszuspielen, sondern es geht ja mehr um die Verhältnismäßigkeit und die Durchschnittsgehälter im öffentlichen Dienst, die sind eben so wie sie sind, und der Verdienst ist ja auch bekannt. Das weiß ja jemand, der den Beruf zum Beispiel des Erziehers wählt.
Hocke: Nach einer fünfjährigen Ausbildung ist es, glaube ich, wichtig, wobei zum Teil die Ausbildung auch noch von einigen Kollegen bezahlt werden muss, dass diese Gesellschaft begreift, dass man nicht Bildung, Erziehung und Betreuung zu einem Gehalt bekommt, was später in die Altersarmut führt. Diese Gesellschaft muss eine Diskussion führen, ob bei Pflege, bei Krankenschwestern, bei Erzieherinnen diese Arbeit nicht mehr wert ist als das, wenn ich ein Auto herstelle oder als Bankkauffrau am Schalter sitze. Das muss endlich einmal in dieser Gesellschaft neu bewertet werden. Wir hatten die Zeit dazu, die Arbeitgeber haben uns in fünf Runden nichts Konkretes vorgelegt, sondern nur Vorschläge gemacht, aber keine Angebote vorgelegt, die verbindlich wären. Von daher bleibt den Kolleginnen jetzt nichts anderes übrig.
Es ist im Übrigen auch so, dass wir mit dieser Berufsgruppe eine der Berufsgruppen haben, die die höchsten Burn-out-Raten haben, und der Arbeitgeber ist auch in der Verpflichtung, diese Kolleginnen und Kollegen jetzt so besser zu bewerten, damit diese Kollegen auch dann später im Alter nicht in die Altersarmut rutschen.
"Eltern könne Solidarität mit Streikenden üben"
Kaess: Welche konkrete Unterstützung würden Sie sich denn von den Eltern noch wünschen?
Hocke: Einmal werden die Eltern durch Aufrufe entsprechend auch in der Öffentlichkeit sichtbar machen können, dass sie natürlich unter diesen Streiks leiden, aber gleichzeitig auch Solidarität üben. Sie können die Kinder mit zu den Bürgermeistern bringen, sie können die Kinder mit zu ihrem Arbeitgeber bringen und dort signalisieren, wir wollen eine anständige Betreuung unserer Kinder auf Dauer gewährleistet haben.
Heuer: Norbert Hocke von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im Gespräch mit meiner Kollegen Christiane Kaess. Thema der beiden waren die flächendeckenden Kita-Streiks.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.