Der Bahnhof Lichtenberg im Osten Berlins. Obwohl die meisten Lokführer streiken und damit nicht zuletzt auch Fußballfans die Logistik entziehen wollen, fährt hier gestern wie an jedem Auswärtsspiel der Fanzug der Hertha ab. Es geht nach Gelsenkirchen – zum Kick auf Schalke. Die kürzeste Route mit dem Auto: gut 500 Kilometer, eine Tortur und für viele auch ganz einfach viel zu teuer.
Der Fanbeauftragte des Vereins, Donato Melillo, bucht deshalb schon länger für Auswärtsspiele einen ganzen Zug – er ist regelmäßig ausgebucht. Als die Meldung die Runde machte, dass die Lokführer den Spieltag bestreiken wollen, hat deshalb auch er mit dem Schlimmsten gerechnet.
„Na klar, das hat glaube ich jeder, der auch ein Ticket hat für den Zug hat gedacht, dass wir auch betroffen sind. Da merkt man mal, wie wichtig die Deutsch Bahn für den Fußball ist und wie viele Leute sie an einem Spieltag transportieren."
Diesmal sind es fast 800 Hertha-Fans, die sich morgens ins „Revier" aufmachen, um spät in der Nacht schon wieder zurück zu fahren. Sie können sich weiter zuverlässig auf der Schiene bewegen. Warum? Das Pikante ist der Sponsor der Hertha: Es ist – ausgerechnet – die Deutsche Bahn. Schlicht der richtige Sponsor für so eine Lage?
„Klar, das ist ein naheliegender Schluss, dass wir nur deshalb fahren, weil wir das Logo auf der Brust haben. Aber es ist halt einfach eine andere Situation: Das ist ein Sonderzug. Das haben ganz, ganz viele andere nicht."
Dabei ist die Bahn für viele Fußballfans das Transportmittel Nummer eins. 100.000 Fans sollen jeden Spieltag auf der Schiene unterwegs sein. Warum auch nicht? Hier muss niemand ans Steuer, keiner steht genervt im Stau. Doch wer keinen Sonderzug gebucht hat, sondern sich wie üblich auf reguläre Verbindungen verteilen wollte, hat jetzt das Nachsehen. Fußballfans wie hier in Köln sind gereizt.
„Ist ja blöd für die ganzen Fans. Vor allen Dingen ja nicht nur in Köln, sondern auch in Schalke und – sehr doof!"
Gut organisiert, aber nicht einverstanden
„Die GDL kann streiken wann sie will, aber nicht an so einem Wochenende. Schon gar nicht stundenlang, wenn die Bundesliga spielt 50 Stunden lang – das ist die absolute Katastrophe. "
Auf die „absolute Katastrophe" haben die Lokführer gewiss spekuliert – Fußballfans als Geisel der Tarifverhandlungen. Fußballfans aber scheinen Meister der Logistik zu sein. Wo ein Wille, da auch ein Weg oder viel mehr: eine Alternative.
„Ja, eigentlich wollten wir auch mit der Bahn reisen. Aber unser Fanclub hat einen Bus gemacht. Und da sind wir halt direkt mit dem Fanclub gefahren."
Busse und Fahrgemeinschaften – Fußballfans haben improvisiert, organisiert teils auch in den Fan-Foren der Vereine. Die Stadien waren prall gefüllt, Gästeblocks inklusive. Erleichterung bei den Vereinsbossen wie Hannover-Präsident Martin Kind.
„Es waren praktisch alle da, an die wir Karten verkauft haben. Sie sind vielleicht ausgewichen auf Autos oder andere Verkehrsmittel. Auf jeden Fall: Sie waren da und haben auch eine super Stimmung hier gemacht."
Stimmung mit Erfolg – Gladbach-Fans trieben ihre Mannschaft zum Sieg. Doch was wenn sich Bahn und Lokführer so schnell nicht einig werden? Diesmal haben Fußballfans der GDL gezeigt, dass sie sich nicht so einfach zur Geisel für Tarif-Verhandlungen machen lassen. Aber ob sie das auch länger durchhalten? Beim nächsten Mal müssten sich etwa Hannover-Fans bis nach Dortmund durschlagen –ohne Sonderzug. Vereinspräsident Kind appelliert an die Lokführer und hofft...
„...dass sie wirklich diesen Arbeitskampf nicht zulasten Dritter in dieser Form fortsetzen. Das ist nicht vertretbar. Das hat zwar eine große Wirkung, aber es wird die Stimmung sicher gegen die Verantwortlichen auch richten."
Die GDL wiederum hatte schon im Vorfeld bedauert, dass ausgerechnet Sportfans unter ihrem Streik leiden müssten – Fußball verbindende schließlich die Gesellschaft. Ihren Ausstand haben die Lokführer dennoch durchgezogen.