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Streik der Lufthansa-Piloten
Vereinigung Cockpit: "Unsere Forderung ist sehr moderat"

Nach Ansicht der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit ist das Tarifangebot der Lufthansa weiterhin nicht verhandelbar. Es sei kein Angebot, sondern eigentlich ein Forderungskatalog, sagte Alexander Gerhard-Madjidi von Cockpit im Deutschlandfunk. Die Piloten sind seit heute früh wieder im Streik.

Alexander Gerhard-Madjidi im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Zwei Piloten sitzen in Hamburg im Cockpit eines Lufthansa-Airbus A380.
    Die Leistung der Piloten, die korrespondiere mit dem Gehalt, erklärte Alexander Gerhard-Madjidi von der Vereinigung Cockpit. (picture-alliance / dpa / Daniel Reinhardt)
    Wenn die Lufthansa ein verhandlungsfähiges Angebot vorlege, werde man sich einer Schlichtung nicht verweigern, betonte Alexander Gerhard-Madjidi im DLF. Die Gewerkschaft geht davon aus, dass das aktuelle Angebot der Lufthansa für die Piloten unter dem Strich zu einem Verlust führt. "Die gebotenen 4,4 Prozent und 1,8 Monatsgehälter sollen an anderer Stelle überkompensiert werden", so Gerhard-Madjidi. Im Ergebnis würde dies zu einem Minus von über 15 Prozent führen, was natürlich nicht akzeptabel sei.
    Die eigene Forderung von 3,66 Prozent Gehaltserhöhung pro Jahr, rückwirkend bis 2012, bewertete er als "sehr moderat". Die Lufthansa habe im vergangenen Jahr so viel verdient, wie noch nie in ihrer Unternehmensgeschichte. Diese Gewinne seien erwirtschaftet worden von den angeblich nicht wettbewerbsfähigen Mitarbeitern.
    Piloten der Lufthansa sind heute früh erneut in den Streik getreten. Wie das Unternehmen in Frankfurt am Main mitteilte, wurden auf der Kurzstrecke rund 800 Flüge gestrichen. Morgen fallen 900 Flüge aus, darunter auch Langstreckenverbindungen. In dem seit mehreren Jahren andauernden Tarifkonflikt geht es um Gehaltserhöhungen und Altersbezüge der Piloten. Die Lufthansa hält den Streik für rechtswidrig. Einen Antrag auf einstweilige Verfügung zog sie gestern Abend jedoch zurück.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Wieder einmal bleiben heute Maschinen der Lufthansa auf dem Boden. Allein an diesem Streiktag sollen 800 Flüge ausfallen. Auch der erneute Versuch von Lufthansa, mit einer einstweiligen Verfügung die Streiks der Pilotengewerkschaft-Vereinigung Cockpit doch noch zu verhindern, der scheiterte gestern. Die Piloten der Lufthansa werden ihrer Forderung nach mehr Geld wieder einmal auf diesem Weg Ausdruck verleihen. Mitgehört am Telefon hat Alexander Gerhard-Madjidi von der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit. Er ist selbst Pilot. Guten Morgen!
    Alexander Gerhard-Madjedi: Einen schönen guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Herr Gerhard-Madjidi, die Piloten bei der Lufthansa verdienen bis zu 250.000 Euro im Jahr. Inklusive der Nachzahlungen kommen Ihre momentanen Forderungen auf 22 Prozent mehr Gehalt. Hat Cockpit den Bezug zur Realität verloren?
    Gerhard-Madjidi: Es geht uns nicht um die absolute Höhe der Gehälter. Wir orientieren uns da im internationalen Vergleich im Mittelfeld bei anderen Airlines. Wir sind dort bei weitem nicht Spitzenverdiener, aber darum geht es auch nicht, sondern es geht um die allgemeine Lohnentwicklung im Konzern selber und auch in Deutschland. Deswegen haben wir eine sehr moderate Forderung mit 3,66 Prozent aufgestellt. Das ist ja nur eine Forderung und kein Abschluss. Der Abschluss, der dürfte ja deutlich darunter liegen. Und da können Sie sich selber ausrechnen. Andere Berufsgruppen in anderen Bereichen der Wirtschaft auch, die werden sicherlich in einem ähnlichen Bereich abgeschlossen haben.
    "Die Leistung der Piloten, die korrespondiert auch mit dem Gehalt"
    Kaess: Mit den verschiedenen Prozenten könnte man jetzt hin und herrechnen. Aber feststeht ja, dass die Piloten zu den Höchstverdienern gehören, die auch noch besondere Rechte haben. Steht das noch im Verhältnis zur Leistung der Piloten?
    Gerhard-Madjedi: Die Leistung der Piloten, die korrespondiert auch mit dem Gehalt. Dieser Beruf steht ja auch jedem frei. Es wird ja jetzt in der Presse sehr häufig auf eine reine Neiddebatte zurückgeführt. Das wird der Situation nicht gerecht. Der Pilotenmarkt ist relativ leergefegt. Überall steigen die Pilotengehälter drastisch. In Amerika um bis zu 30 Prozent, in Asien werden Gehälter gezahlt von über 400.000 Euro im Jahr. Von daher liegt die Lufthansa im absoluten Mittelfeld. Wie gesagt, es geht uns auch nicht um die absolute Höhe, sondern mehr oder weniger um einen Inflationsausgleich, der dem Jahresgewinn von 1,7 Milliarden Euro - das ist so viel, wie Lufthansa noch nie verdient hat in ihrer Unternehmensgeschichte - gerecht wird.
    Kaess: Sie sprechen jetzt von einer Neiddebatte. Aber diese Privilegien müssen ja trotzdem berechtigt sein. Was unterscheidet Sie denn von anderen Berufsgruppen mit hoher Arbeitsbelastung und Verantwortung, zum Beispiel dem Arzt im Schichtdienst?
    Gerhard-Madjedi: Na ja, das ist auch eine reine Neiddebatte. Wenn wir jetzt den Arzt im Schichtdienst angucken, da gibt es auch den Professor der Radiologie, der ein Gehalt hat, da können die Piloten bei Lufthansa nur von träumen. Und dann gibt es den Landarzt, der wahrscheinlich deutlich darunter liegt. Womit ist das denn gerechtfertigt? Der eine ist Radiologe, der andere ist Allgemeinarzt, beide sind sie Doktoren und haben ganz unterschiedliche Gehälter.
    Kaess: Aber, Herr Gerhard-Madjedi, Sie haben ja ohnehin schon eine jährliche Gehaltssteigerung von drei Prozent, die automatisch zieht. Wo rechnen Sie die denn eigentlich ein?
    Gerhard-Madjedi: Das ist wie bei anderen Tarifbeschäftigten, wie bei Lufthansa auch in Kabine und Boden, wie in anderen Bereichen, bei Beamten, im Krankenhaus beispielsweise Krankenschwestern.
    Kaess: Aber das gibt es sonst in der freien Wirtschaft nicht.
    Gerhard-Madjedi: Ja. Aber in der freien Wirtschaft, da fangen Sie mit einem Einstiegsgehalt an, und je mehr Berufserfahrung Sie sammeln, werden Sie dann in Ihren jährlichen Gehaltsgesprächen entsprechend auch hochgestuft, oder Sie wechseln den Arbeitgeber. Diese Möglichkeit haben Piloten nicht. Sie sind mit ihrem Unternehmen bis zur Rente verbunden, weil sie nicht woanders einfach so anfangen können. Ich glaube, die Lufthansa wäre sehr entsetzt, wenn wir statt der Stufensteigerung gleich das Endgehalt fordern würden. Irgendwie müssen Sie ja von dem Einstiegsgehalt auch irgendwann mal in das Endgehalt kommen, und das geht über die Stufensteigerungen. Die dienen nicht dem Inflationsausgleich.
    Kaess: Die Lufthansa sagt auf der anderen Seite, wir müssen runter von diesen hohen Personalkosten, sonst sind wir nicht wettbewerbsfähig. Warum lassen Sie dieses Argument nicht gelten?
    Gerhard-Madjedi: Weil es schlichtweg falsch ist. Die Lufthansa hat im letzten Jahr so viel verdient wie noch nie in ihrer Unternehmensgeschichte. Der Hauptteil des Gewinnes hat die Lufthansa-Passage, die Lufthansa selber mit ihren angeblich nicht wettbewerbsfähigen Tarifbedingungen in Kabine, Boden und im Cockpit erwirtschaftet. Das Argument der Lufthansa ist schlichtweg falsch.
    Kaess: Aber auf der anderen Seite stimmt auch, dass die Buchungen zurückgehen und die Geschäftsreisenden mittlerweile Lufthansa meiden. Machen Sie sich keine Sorgen, dass Sie das Unternehmen kaputt streiken?
    Gerhard-Madjedi: Die Frage würde ich Sie bitten, an den Vorstandsvorsitzenden der Lufthansa zu richten, weil …
    Kaess: Warum? Sie streiken doch.
    Gerhard-Madjedi: Ja, natürlich streiken wir, weil wir keine andere Wahl haben. Wenn wir am Tariftisch nicht mehr zu Lösungen kommen, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als Ultima Ratio in den Arbeitskampf zu gehen.
    Kaess: Und um das Unternehmen machen Sie sich keine Sorgen?
    Gerhard-Madjedi: Die Lufthansa ist wirtschaftlich so gut aufgestellt, dass wir uns zum derzeitigen Zeitpunkt weit davon entfernt befinden, uns Sorgen machen zu müssen.
    "Cockpit ist jetzt in einer reinen Vergütungsrunde"
    Kaess: Cockpit will ja auch verhindern, dass die Lufthansa Flüge in Billiggesellschaften auslagert. Da ist doch diese harte Forderung von Ihnen kontraproduktiv.
    Gerhard-Madjedi: Cockpit ist jetzt in einer reinen Vergütungsrunde. Wir haben da auch keine versteckte Agenda oder irgendetwas, wie in der Presse immer kolportiert wird. Seit viereinhalb Jahren ist der Tarifvertrag offen. Die letzte Gehaltserhöhung, die liegt jetzt inzwischen fünfeinhalb Jahre zurück. Und wie gesagt, wir möchten einen Ausgleich haben, der dem Unternehmensgewinn Rechnung trägt.
    Kaess: Und eine mögliche Auslagerung in Billiggesellschaften ist Ihnen egal?
    Gerhard-Madjedi: Wir haben natürlich als Gewerkschaft eine Meinung dazu, wenn tarifierte Arbeitsplätze in Kabine, Boden und im Cockpit zu anderen Gesellschaften ausgelagert werden.
    Kaess: Aber das wird ja kommen, wenn Sie bei Ihren hohen Forderungen bleiben.
    Gerhard-Madjedi:! Na ja. Dazu braucht die Lufthansa auch erst mal Piloten und das ist nicht so einfach. Wie gesagt, der internationale Pilotenmarkt ist leergefegt. Es gibt keine Piloten auf dem Markt.
    Kaess: Aber andere sind vielleicht billiger. Denn wenn Cockpit jetzt seine Forderungen durchsetzt, dann hieße das, dass ein Pilot mit einem Jahresgehalt von 180.000 Euro dann 36.000 Euro mehr bekommt. Das entspricht einem Jahresgehalt, allein dieser Zuschlag, eines jungen Piloten bei Ryanair. Machen Ihre Kollegen bei Ryanair einen schlechteren Job?
    Gerhard-Madjedi: Wir vergleichen uns nicht mit Ryanair, weil Ryanair, haben Sie ja vielleicht in der Presse auch die letzten Wochen verfolgen können, ein Geschäftsmodell hat, was mit den sozialen Standards in der Europäischen Union überhaupt nicht vereinbar ist. Da werden Kollegen nicht angestellt, sondern als Scheinselbständige beschäftigt. Das hat ja entsprechend zu Hausdurchsuchungen geführt und zu Anzeigen geführt und das kann ja wohl kein Maßstab für die Tarifentwicklung in Deutschland sein.
    Kaess: Sie vergleichen sich nur nach oben?
    Gerhard-Madjedi: Wir vergleichen uns nicht nach oben. Wir haben sehr wohl auch andere Mitbewerber auf dem Schirm, eine EasyJet beispielsweise. Da kommen die Piloten, wenn man sie vergleicht, auf der Kurzstrecke auf einen relativ ähnlichen Stundensatz.
    Kaess: Was ist so schlimm, sich jetzt mit einem Schlichter zusammenzusetzen?
    Gerhard-Madjedi: Für eine Schlichtung braucht man erst mal ein verhandlungsfähiges Angebot des Arbeitgebers.
    Kaess: Das hat Lufthansa vorgelegt?
    Gerhard-Madjedi: Nein, das hat die Lufthansa nicht vorgelegt. Das Angebot der Lufthansa ist ein Forderungspaket, weil die in diesem Angebot beinhalteten 4,4 Prozent und 1,8 Monatsgehälter sollen an anderer Stelle überkompensiert werden. Das heißt, insgesamt, wenn man das Angebot gesamtheitlich betrachtet, käme ein Minus von über 15 Prozent dabei heraus, und da werden Sie mir bestimmt zustimmen, dass man das nicht als Angebot bezeichnen kann.
    Kaess: Machen Sie sich eigentlich Sorge, dass die Fluggäste kein Verständnis mehr haben für Ihre Forderungen? Die Weihnachtszeit steht jetzt vor der Tür.
    Gerhard-Madjedi: Ich habe durchaus Verständnis für den Unmut der Gäste. Aber ich muss ganz ehrlich sagen: Dann sind die Gäste auch gefordert, das an Lufthansa direkt zu adressieren. Wenn der Arbeitgeber nicht willens ist, sich mit dem Tarifpartner am Tariftisch zu einigen, sondern lieber versucht, über juristische Winkelzüge mit abenteuerlichen Begründungen versucht, Arbeitskämpfe zu verhindern, ohne selber an einer Lösung beteiligt zu sein, dann sehen wir die Verantwortung allein beim Arbeitgeber.
    "Wir verweigern uns nicht einer Schlichtung"
    Kaess: Und Sie verweigern sich einer Schlichtung?
    Gerhard-Madjedi: Wir verweigern uns nicht einer Schlichtung. Wenn der Arbeitgeber herkommt und sagt, okay, die Vergütungsforderung, wir machen ein Angebot, die 4,4 Prozent und 1,8 Monatsgehälter, das ist das, worüber wir reden, dann wäre für uns auf jeden Fall eine Schlichtung auch denkbar. Aber es ist nicht akzeptabel, dass die Erhöhung an anderer Stelle wieder kompensiert werden soll.
    Kaess: … sagt Alexander Gerhard-Madjedi von der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit. Er ist selbst Pilot. Danke schön für Ihre Zeit heute Morgen.
    Gerhard-Madjedi: Bitte schön, Frau Kaess.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.