Schwierige Wochen liegen hinter ihm, doch an diesem Morgen trägt Andreas Arnold ein entspanntes Lächeln im Gesicht. Soeben hat er seine Tochter Marlene zur Kita gebracht. Mit großen, fragenden Augen folgt die Fünfjährige dem Vater in den modernen, Licht durchfluteten Flachbau in der Röntgenstraße im gutbürgerlichen Hannoveraner Stadtteil List.
"Sie haben so ein mulmiges Gefühl: Sie sind natürlich gern zuhause auch, aber es fällt ihnen natürlich auch schnell die Decke auf den Kopf, weil sie da eben begrenzt nur Spielkameraden haben – also, es ist schon eine Erleichterung für die Kinder, dass da mehr Remmidemmi ist", sagt der gestandene Vater zärtlich. „Auf die Großeltern hatten wir keinen Zugriff", schmunzelt Arnold. Um die Tochter daheim zu betreuen, mussten beide Elternteile auf das Verständnis ihrer Vorgesetzten hoffen, und ihre Arbeitszeit verkürzen. Wie Zahnräder mussten alle Termine ineinandergreifen, ihre schon fast erwachsene Tochter haben die beiden eingespannt.
Nach einigen Wochen des duldsamen Zuwartens nahmen die Väter und Mütter das Heft in die Hand: Sie baten die Stadt, die Räumlichkeiten in der Röntgenstraße nutzen zu dürfen, um ihre Kinder fortan in Eigenregie zu betreuen. Allerlei Bedenken standen dem Vorhaben entgegen, doch die Eltern blieben hartnäckig, sorgten selbst für Haftung und Versicherung.
"Und jeder hat dann seine Zeit eingebracht. Es war eine Herausforderung! Das Organisieren war eben sehr wichtig, dass wir uns unter den Eltern einig geworden sind, wie wir denn diese Kita so überwachen mit den Kindern, dass es funktioniert. Das hat ganz gut geklappt, da war ich sehr erstaunt, dass es so gut hingehauen hat!"
Auch Doreen Berthold schwang sich adlergleich zu pädagogischen Höhenflügen auf, blätterte mit den Kleinsten in Bilderbüchern, trocknete Tränen, grub im Garten. Ein Netzwerk ist entstanden, das alle Beteiligten bereichert. Doch vier Wochen Ausstand haben ihre Spuren hinterlassen, sagt sie: "Ich fand die Zeit sehr anstrengend. Marie konnte in der ersten Woche gar nicht damit umgehen, dass sie jetzt den ganzen Tag zuhause ist. Sie hat ganz doll ihre Freunde vermisst und hat auch jeden Tag wieder gefragt: 'Wann hat die Kita denn wieder geöffnet?'"
Heike Großmann steht am Eingang. Über Bluse und Faltenrock trägt sie eine signalrote Weste der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Für tiefere Reflexion hat die Heilpädagogin gerade keine Zeit.
"Naja, wieder einstiegen in den Kita-Alltag, ankommen, die Kinder gut ankommen lassen, die Eltern gut ankommen lassen, da zu sein, wenn Fragen sind, wenn man noch mal einen Austausch braucht: Das ist, glaube ich, heute und in den nächsten Tagen noch das Wichtigste!"
Vier Wochen sind die Erzieherinnen und Erzieher auf die Straße gegangen, in Fußgängerzonen und an Tapetentischen haben sie um Verständnis für ihre Anliegen geworben. Bewegt hat sich bislang wenig. Nun sollen der ehemalige Hannoveraner Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg (SPD) und der frühere sächsische Ministerpräsident Milbradt (CDU) als Schlichter für neue Bewegung im festgefahrenen Tarifkonflikt sorgen. Die Stimmung unter den Mitarbeitern könnte besser sein, lässt Großmann durchblicken.
"Einerseits freue ich mich, wieder an den Arbeitsplatz zu kommen, die Kinder wiederzusehen, wieder Kontakt zu den Eltern zu haben. Auf der anderen Seite ist es ja noch ein Schwebezustand. Und nichtsdestotrotz bin ich der Meinung, die Forderungen, die wir aufgestellt haben im Sozialen- und Erziehungsbereich, die sind berechtigt!"
Die Gewerkschaften verlangen für die kommunalen Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst im Schnitt zehn Prozent mehr Geld. Im Grunde aber, geht es ihnen um Anerkennung, um eine Aufwertung des ganzen Berufsfeldes. Zumindest Letzteres sei eine berechtigte Forderung, stellt Sebastian Drüppel vom Gesamtelternbeirat der städtischen Kitas fest:
"Nur leider ist mit zunehmender Streikdauer die Empathie und die Solidarität geschwunden! Mittlerweile ist das Primärziel in der Elternschaft: Die Kitas müssen wieder öffnen, die Kinder müssen zurück in ihr gewohntes Umfeld! Der Hauptdruck lastet auf den Eltern. Die Eltern müssen gucken, wie sie die Betreuung ihrer Kinder organisiert kriegen."
"Dass die Eltern immer noch auf unserer Seite sind", ist Heike Großmann wichtig anzumerken. Und in der Tat bekunden die allermeisten Eltern, derer der Reporter an diesem Morgen in Hannover habhaft wird, noch immer fest an der Seite der Erzieher zu stehen.
Auch Eike Müller sagt, es sei lohnend den Konflikt jetzt durchzustehen, weil es um grundsätzliche Fragen geht. Der derzeit studierende Familienvater prophezeit: "Im Endeffekt ist es die Frage: Wollen Eltern jetzt mehr bezahlen an Kita-Beitrag, oder nicht? Weil darauf wird es ja dann hinauslaufen. Das können die Kommunen ja gar nicht auffangen. Auch da denke ich wieder, dass Elternteile wahrscheinlich durchaus auch dazu bereit sind, 30 Euro oder mehr zusätzlich im Monat zu zahlen!"