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Streiks bei der Bahn
GdL-Chef: Das Management will den kleinen Eisenbahnern die Rente wegnehmen

Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Lokführer, Claus Weselsky, hat im Deutschlandfunk den bundesweiten Bahnstreik verteidigt. Man habe seit über einem halben Jahr eine Auseinandersetzung mit dem Management der DB AG. Man müsse die Wut, die die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner hätten, rauslassen.

Claus Weselsky im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 11.08.2021
Claus Weselsky, Vorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL).
Claus Weselsky, Vorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) (picture alliance/dpa /Arne Dedert)
Der Tarifkonflikt der Deutschen Bahn mit den Lokführern führt zu Ausfällen und Verspätungen. Seit 11. August gibt es Streiks im Regional- und Fernverkehr. Im Güterverkehr haben die Arbeitsniederlegungen bereits am Vorabend begonnen. Die Arbeitsniederlegungen sollen bis Freitagnacht (13. August) zwei Uhr dauern. Laut Lokführer-Gewerkschaft GDL soll es am Wochenende keine Aktionen geben.

GDL fordert Corona-Prämie

Die GDL will eine Nullrunde im laufenden Jahr nicht akzeptieren und verlangt eine deutliche Corona-Prämie und Einkommenssteigerungen von 3,2 Prozent bei einer Laufzeit von 28 Monaten. Die Bahn strebt angesichts von Milliardenverlusten während der Corona-Pandemie und großen Flutschäden einen länger laufenden Tarifvertrag und spätere Erhöhungsstufen bei gleicher Prozentzahl an.
GDL-Chef Claus Weselsky sagte im Dlf, man habe seit über einem halben Jahr eine Auseinandersetzung mit dem Management der DB AG, "das sich selbst die Taschen füllt und den kleinen Eisenbahnern die Renten wegnehmen will. Das kann so nicht sein!" Während das Management Altersversorgungssysteme mit bis zu 20.000 Euro monatlich habe, wolle man den Lokführern die Betriebsrente um 50 Euro auf 100 Euro kürzen.
Mittelalter Mann mit in Hemd und Sakko sitzend, davor ein Strauß roter Blumen
"Es ist ein besonderer Tarifstreit"
Das Tarifeinheitsgesetz befeuere den Bahnstreik zusätzlich, erklärte Matthias Gastel, bahnpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, im Deutschlandfunk.

"Machtkampf ist nicht"

Die kurzfristige Streik-Entscheidung sei notwendig gewesen, betonte Weselsky. Das habe auch mit dem bevorstehenden Wochenende zu tun, wo in einigen Bundesländern die Ferien enden. Weselsky wies den Vorwurf zurück, dass auch ein Machtkampf zwischen den Eisenbahn-Gewerkschaften EVG und GDL den Streik befeuere. "Wir haben es hier mit einer ganz normalen Tarifauseinandersetzung zu tun!". Die GDL kämpfe darum, die Betriebsrenten zu erhalten und um "einen halbwegs vernünftigen Abschluss wie im Öffentlichen Dienst".
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Der Chef der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG, Klaus-Dieter Hommel, hat den Streik der konkurrierenden Lokführer-Gewerkschaft GdL als politischen Arbeitskampf bezeichnet. GdL-Chef Weselsky habe sich verzockt.
Jede Gewerkschaft mache das Nötigste, um Mitglieder zu haben und seine Tarifverträge zu schützen, betonte Weselsky. Das Management der Bahn habe es jetzt in der Hand, weitere Streiks zu verhindern. "Mit einem verbesserten Angebot sind wir auch wieder am Verhandlungstisch."
Die Eisenbahn-Gewerkschaft EVG hatte schon im vergangenen Herbst einen Tarifabschluss mit der Bahn unterschrieben.
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Die Gewerkschaft der Lokführer hat einen Warnstreik bei der Deutschen Bahn angekündigt, um ihre Forderungen in den laufenden Tarifverhandlungen durchzusetzen. Aber es geht der Gewerkschaft um mehr als höhere Löhne.

Das Interview im Wortlaut:
Tobias Armbrüster: Herr Weselsky, Sie machen heute Tausende von Reiseplänen zunichte. Ist es das wert?
Claus Weselsky: Wissen Sie, wir tun uns schwer und sind uns der Verantwortung bewusst. Es gibt im Eisenbahnsystem keinen Zeitpunkt, in dem ein Streik richtig kommt – weder gegenüber Reisenden, noch gegenüber Güterverkehrskunden. Aber wir haben hier über ein halbes Jahr eine Auseinandersetzung mit dem Management der DB AG, das sich selbst die Taschen füllt und den kleinen Eisenbahnern die Renten wegnehmen will. Das kann so nicht sein und dagegen muss man sich wehren. Ungerechtigkeit ist etwas, wogegen man vorgehen muss.

"Wir waren ein bisschen in der Zwickmühle"

Armbrüster: War das denn nötig, den Reisenden jetzt wirklich nur wenige Stunden Zeit zu geben, um neu zu planen?
Weselsky: Ja, da waren wir ein bisschen in der Zwickmühle. Wir haben vor uns ein Wochenende, in dem noch mal Ferienzeit endet, und wir wollten das Wochenende nicht beeinflussen. Nach so einer Urabstimmung mit 95 Prozent Zustimmung muss man auch die Wut, die unsere Kolleginnen und Kollegen, die die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner draußen haben, rauslassen können. Die warten schon lange auf eine Auseinandersetzung. Hier befindet sich nämlich nicht Herr Weselsky oder die GdL in einer Auseinandersetzung mit der DB, sondern hier befindet sich ein Management in der Auseinandersetzung mit seinen eigenen Mitarbeitern.
Armbrüster: Darüber können wir gleich noch sprechen. Ich will mal so sagen: Wir haben hier in der Redaktion gestern viele Reaktionen bekommen, als diese Streiks bekannt geworden sind, viele wütende Reaktionen. Aufgefallen ist mir vor allem eine Anmerkung von einem Mediziner, der sich viel um Behinderte kümmert und sie behandelt, und der hat uns erzählt, dass jetzt viele von denen nicht in ihre Einrichtungen kommen. Viele müssen Therapien absagen, und das ist nicht nur bei ihm in der Praxis so, sondern überall in Deutschland – gerade in einer Zeit, in der sich viele von diesen Menschen gerade wieder auf Therapien einstellen können. Was sagen Sie heute Morgen solchen Fahrgästen und deren Familien?
Weselsky: Da sage ich ganz offen: Es gibt auch Alternativen. Es ist nicht so, dass man das ganze Leben nur mit der Eisenbahn als Transportmittel verbringen kann und muss. Es gibt Alternativen dazu. Wir bestreiken das Eisenbahnsystem.

"Ganz normale Tarifauseinandersetzung "

Armbrüster: Das heißt, die sollen sich heute ein Taxi nehmen?
Weselsky: Wir bestreiken zum Beispiel auch nicht Eisenbahnen, mit denen wir Tarifverträge abgeschlossen haben, wie die des Dransdev-Konzerns oder der Netinera. Da sind wir in der Friedenspflicht. Wir bestreiken die Deutsche Bahn AG. Odeg oder andere Unternehmungen, die fahren alle und fahren meistens sogar planmäßig, so dass man auch wirklich auf Alternativen zurückgreifen kann.
Armbrüster: Und notfalls ein Taxi?
Weselsky: Ob das ein Taxi ist, das will ich so nicht beantworten, weil das löst auch eine andere Kostensituation aus.
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Lokführerstreik - Ein Arbeitskampf zur rechten Zeit?
Die Lokführer machen Ernst: Am 11. und 12. August stehen im Fern- und Regionalverkehr viele Züge still. Und das in der Ferienzeit. Richtig so, findet Christoph Richter. Reiner Egoismus der Gewerkschaft GDL, sagt dagegen Dieter Nürnberger.
Armbrüster: Herr Weselsky, es geht natürlich für Sie auch um mehr als um einen Tarifvertrag. Sie müssen ein besseres Verhandlungsergebnis mit der Bahn erzielen als Ihre Konkurrenzgewerkschaft, die EVG. Es ist deshalb vor allen Dingen ein Machtkampf, der da tobt zwischen zwei Gewerkschaften, und Sie sind einer der Hauptakteure. Ist so ein Streik nicht die falsche Methode, um so einen Kampf um die Vorherrschaft auszutragen?
Weselsky: Das ist das Märchen, das Lügenbaron Seiler erzählt, was Sie hier gerade auftischen. Wir haben es hier mit einer ganz normalen Tarifauseinandersetzung zu tun. Ich habe eine Gewerkschaft oder eine Gesellschaft, die im vorigen Jahr einen Tarifabschluss macht, den kein Eisenbahner wollte, nämlich 1,5 Prozent über mehr als zwei Jahre, und am Ende des Tages hat diese Gewerkschaft auch zugesagt, die kleinen Betriebsrenten unserer4 Kolleginnen und Kollegen einzukürzen. Und wer das tut als Gewerkschaft, der muss sich nicht wundern, wenn eine andere Gewerkschaft sagt, das ist mit uns und unseren Kolleginnen und Kollegen nicht zu machen. Genau das ist der Nukleus. Das ist der Punkt, über den erstens der Streik verläuft und zweitens auch die sogenannte Auseinandersetzung. Das ist der Kern des Problems. Wenn Sie jemanden haben, der am Ende des Tages meint, weil er wenig Mitglieder hat und schwach ist, hier Zugeständnisse machen zu müssen, der die Verwaltung schützt, obwohl wir fast ersticken an Overhead, derjenige muss auch wissen, dass das nicht von seinen eigenen Mitgliedern und auch von einer anderen Gewerkschaft einfach nur gutgeheißen wird. Wir kämpfen darum, die Betriebsrenten zu erhalten, und wir kämpfen um einen halbwegs vernünftigen Abschluss wie im öffentlichen Dienst.

"Man kann sich wehren gegen Ungerechtigkeit"

Armbrüster: Aber von dem, wie Sie jetzt über die EVG, über Ihre Konkurrenzgewerkschaft sprechen, merkt man ja schon, das ist tatsächlich ein Machtkampf, der da tobt.
Weselsky: Nein! – Das lehne ich ab! – Wir haben ein TEG, das auf uns alle wirkt, und im TEG verankert ist die These, wer die meisten Mitglieder im Betrieb hat, dessen Tarifverträge bleiben erhalten.
Armbrüster: Und Sie müssen jetzt versuchen, möglichst viele Mitglieder von der EVG abzuwerben?
Weselsky: Wissen Sie, man kann niemandem was wegnehmen, der nichts hat. Wir haben mittlerweile in den letzten zwölf Monaten 3000 Neumitglieder begrüßt in unserer Gewerkschaft. Davon sind lediglich 25 Prozent aus der EVG. Die anderen sind organisationslos gewesen. Das heißt, wir stärken den gewerkschaftlichen Organisationsgrad, und wir tun das, was uns der Gesetzgeber in Auftrag gegeben hat, nämlich dafür Sorge zu tragen, dass wir mehr Mitglieder haben und unsere Tarifverträge nicht untergehen. Das ist nichts anderes als legitimes Recht von Gewerkschaften und deswegen lasse ich mir nicht ans Bein binden, wenn wir für uns, für unsere Tarifverträge werben und auch dafür streiken und kämpfen, dass das abgestempelt wird als etwas, was man nicht tut. Das tut man sehr wohl. Man kann sich wehren gegen Ungerechtigkeit.

"Mit einem verbesserten Angebot sind wir auch wieder am Verhandlungstisch"

Armbrüster: Fest steht aber auch, Herr Weselsky, dass Sie ja mit Ihren Forderungen der Bahn gegenüber, dem Management gegenüber nicht so besonders weit auseinanderliegen. Da geht es ja noch nicht mal um Prozentpunkte; da geht es um die Frage, wann ein Tarifvertrag, ein neuer in Kraft tritt, mit welcher Verzögerung möglicherweise und um eine Einmalzahlung – alles sicher Dinge, die sich am Verhandlungstisch lösen ließen. Deshalb bleibt der Verdacht, dass Sie es gerne auf diesen Streik, auf diesen ganz offen ausgetragenen Machtkampf ankommen lassen.
Weselsky: Herr Armbrüster, ganz klar und deutlich: Machtkampf ist nicht. Jeder tut das Möglichste, um Mitglieder zu haben und seine Tarifverträge zu schützen.
Zweitens: Wenn Sie einen Tarif bewerten und über ein Jahr, zwölf Monate lang ein oder drei Prozent Abschluss haben, dann wissen Sie, wieviel der wert ist. Wenn Sie 28 Monate Laufzeit haben und 3,2 Prozent, liegen Sie gemittelt unter 1,5 Prozent für das jeweilige Jahr. Wenn Sie den Weg beschreiten, den das Management der DB will, nämlich 40 Monate, dann liegen Sie weit unter einem Prozent, und das ist mit uns nicht zu machen – nicht mit Managern, die sich selbst Altersversorgungssysteme bis 20.000 Euro zuschanzen, und dem Lokführer, der ein ganzes Leben in diesem Betrieb arbeitet, 50 Euro von 150 einkürzen wollen, die Betriebsrente.
Armbrüster: Herr Weselsky, kann das jetzt noch ein richtiger Streiksommer, ein Streikherbst werden bei der Bahn?
Weselsky: Fragen Sie das Management der Bahn. Die haben es in der Hand. Mit einem verbesserten Angebot sind wir auch wieder am Verhandlungstisch und dann lässt sich das vielleicht auch lösen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.