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Streiks bei Ryanair
"Fliegen ist definitiv viel zu billig"

Am Freitag wollen die Piloten von Ryanair erneut streiken. Luftfahrtexperte Andreas Spaeth hält die aktuelle Streikwelle für überfällig. Die Airline müsse ihr Geschäftsmodell anpassen und Mitarbeitern mehr Rechte einräumen, sagte er im Dlf. Dadurch könnte Fliegen teurer werden - das sei gut so.

Andreas Spaeth im Gespräch mit Ann-Kathrin Büssker |
    Maschinen des irischen Billigfliegers Ryanair sind am Dienstag (20.04.2010) auf dem Vorfeld des Flughafens Frankfurt/Hahn geparkt. Aufgrund der wegen der Vulkanaschewolke bestehenden Flugverbote hat die Airline alle Flüge von Hahn bis einschliesslich Mittwoch storniert. Der Flughafenbetreiber nutzt die Zwangspause für Reparaturarbeiten an der Start- und Landebahn. Foto: Thomas Frey dpa/lrs | Verwendung weltweit
    Das Fluggastaufkommen wächst von Jahr zu Jahr - ein künstliches Wachstum, befeuert durch zu niedrige Flugpreise, so Andreas Spaeth (dpa)
    Ann-Kathrin Büüsker: Es hatte sich ja bereits abgezeichnet, nun ist es offiziell: Auch die Ryanair-Piloten streiken an diesem Freitag. Sie tun es damit ihren Kolleginnen und Kollegen in Irland, Schweden und Belgien gleich. Es wird der größte Streik, den das Unternehmen bisher erlebt.
    Und auf die Situation bei diesem Unternehmen und im Luftfahrtsektor allgemein möchte ich jetzt noch einmal vertieft schauen mit Andreas Spaeth, Journalist mit Schwerpunkt Luftfahrt. Guten Tag, Herr Spaeth!
    Andreas Spaeth: Hallo, guten Tag!
    Büüsker: Herr Spaeth, unsere Korrespondentin hat es eben auf den Punkt gebracht und gesagt, die Gewerkschaft Cockpit ist stinksauer. Können Sie das nachvollziehen?
    Spaeth: Absolut. Die jetzt anstehende Streikwelle bei Ryanair ist absolut überfällig, denn, wie auch die Korrespondentin schon angedeutet hat, ist sozusagen die Arbeitsweise und auch die Behandlung der Mitarbeiter intern ein Anachronismus, der so eigentlich in einem mitteleuropäischen Unternehmen im Jahr 2018 nicht mehr vorhanden sein sollte. Und jetzt hat sich einfach generell die Lage in der Branche geändert, weil nämlich jetzt Personalknappheit herrscht, vor allen Dingen bei Piloten. Deswegen haben die jetzt sozusagen eine Alternative, und deswegen können sie auch aufs Ganze gehen und sagen, also jetzt, liebe Ryanair, möchten wir mit euch Bedingungen einführen für unsere Mitarbeiter, die auch eben den üblichen Branchengepflogenheiten entsprechen und nicht auf einem derartig auf Druck und – also wirklich auf der Ausübung von Druck basiert, der jetzt vor allem bei Ryanair herrscht, wo sich viele Mitarbeiter extrem schlecht behandelt fühlen aus den Gründen, die eben auch schon genannt wurden.
    Flugbegleiter und Piloten "werden massiv unter Druck gesetzt"
    Büüsker: Haben Sie vielleicht ein paar Beispiele für diesen Druck für uns?
    Spaeth: Zum Beispiel ist es bei Flugbegleitern so, dass die eben ganz massiv gedrängt werden, dass sie an Bord Dinge verkaufen müssen, zum Beispiel Rubbellose, die wirklich kein Mensch braucht im Prinzip. Warum muss ich beim Fliegen Rubbellose kaufen, verstehe ich als Passagier ohnehin nicht, kaufe ich auch nie, wenn ich mit Ryanair fliege. Aber die kriegen wirklich internen Druck, und die kriegen auch so ein geringes Gehalt, die Gewerkschaften sprechen davon, dass Flugbegleiter etwa, die in Polen stationiert sind, dass deren Jahresgehalt teilweise bei 8.000 Euro im Jahr liegt. Natürlich ist es auch da wieder unterschiedlich, je nachdem, in welchem Land Ryanair die entsprechenden Crews stationiert hat. Aber es zeigt sich eben schon, es ist zum einen eben – es geht ums Geld, das ist ganz klar, natürlich auch ein wichtiges Thema vom Piloten bis hin zu Flugbegleitern, aber es geht eben auch wirklich um diese internen Bedingungen. Auch die Piloten werden sehr massiv unter Druck gesetzt, dass sie zum Beispiel möglichst nicht mehr Sprit als wirklich nötig mitnehmen. Und alle Beschäftigten bekommen nur das bezahlt, was sie wirklich an Zeit im Flugzeug verbringen, also wirklich fliegen. Wenn Flüge gestrichen werden, wenn andere Verspätungen auftreten oder auch Berufsfortbildung am Boden irgendwie nötig ist, kriegt man das nicht bezahlt. Das ist ja ein völliges Unding, was bei keiner anderen Airline so läuft.
    Büüsker: Aber halten Sie das denn tatsächlich für möglich, dass es der Belegschaft jetzt gelingt, diesen Druck auszuüben. Es gibt ja bereits die Ankündigung von Konzernchef O'Leary, dass er zum Beispiel Jobs aus Irland abziehen und nach Irland und nach Polen verlagern möchte. Da ist die Rede von 300 Jobs. Weil die Streiks in Irland so teuer für ihn und sein Unternehmen gewesen sein könnten. Das könnte jetzt ja auch dann unter Umständen auch Jobs in Deutschland drohen, oder?
    Ryanair muss sich "anpassen an Bedingungen, die heute herrschen"
    Spaeth: Die Antwort von Ryanair auf diese Streiks ist höchst seltsam, weil sie in jedem Land anders agieren. Sie haben in der Tat in Irland, ihrem Heimatland, wo sie nur relativ wenige Flüge überhaupt haben, mit dieser Verlegung gedroht und werden sie wohl auch umsetzen, auch gerade als Reaktion auf die Streiks. Aber sie haben zum Beispiel bereits angekündigt, dass sie, auch wenn hier in Deutschland Streiks ausbrechen sollten, hier dasselbe nicht tun werden. Es gibt auch innerhalb der Ryanair zwei Fraktionen. Die einen sind eben die um Konzernchef O'Leary. Ich kenne ihn sehr gut, ich kenne ihn auch schon 20 Jahre. Ein brillanter Mann, der im Grunde ja die Billigfliegerei erfunden hat in Europa. Aber jetzt eben irgendwie nicht einsehen will, dass in der heutigen Zeit einfach andere Bedingungen nötig sind, um als Unternehmen erfolgreich zu sein. Sie brauchen sich ja nur andere Firmen wie EasyJet anzusehen, da klappt das viel besser. Und da sind eben alle selbstverständlichen Arbeitnehmerrechte auch vorhanden. Das hat sich bei Ryanair bisher nicht ergeben, und da haben sie sich standhaft geweigert. Aber es gibt eben auch innerhalb der Ryanair eine Fraktion von Führungskräften, die eben auch sagen im Gegensatz zu O'Leary, wir müssen uns hier anpassen, wir müssen den Weg der Zeit mitgehen, und das wird so oder so unvermeidlich sein.
    Büüsker: Sie sagen jetzt, O'Leary ist eigentlich ein brillanter Mann, ein brillanter Geschäftsmann – aber seine Mitarbeiter sind ihm eigentlich egal?
    Spaeth: Er hat einfach gelernt, dass er mit seiner ja lange Jahre sehr brutalen Art und Weise, auch nach außen ist er ja immer sehr als Rabauke aufgetreten, dass das lange funktioniert hat. Aber jetzt ist halt Ryanair schon 25 Jahre alt, und wir haben schon andere Fluggesellschaften, ich denke da nur an Branchengrößen wie PanAm zum Beispiel pleite gehen sehen, wo das nie jemand erwarten konnte ursprünglich, die einfach nicht in der Lage waren, sich der Zeit anzupassen. Und deswegen wird es für Ryanair und auch für ihr Geschäftsmodell entscheidend sein, dass sie eben sich hier auch adaptiert und anpasst an die Bedingungen, die heute herrschen. Und das wird unvermeidlich sein, so oder so.
    Flugpreise "werden zwangsläufig steigen"
    Büüsker: Müssen sich dann auch die Kundinnen und Kunden daran anpassen, dass die Preise steigen werden?
    Spaeth: Ja, und das ist auch gut so, weil Fliegen ist definitiv viel zu billig. Wir sehen im Moment ja gerade an deutschen Flughäfen auch das ziemliche Chaos, das hier aus verschiedenen Gründen in den letzten Tagen herrschte. Daran ist auch schuld, dass halt sehr viele Menschen fliegen, die vielleicht sonst gar nicht ins Flugzeug gestiegen wären, und die nur deswegen fliegen, weil eben das Fliegen, und dafür ist Ryanair wirklich ein Synonym, so billig sind, dass wir auch letztlich alle als Menschheit dafür die Zeche zahlen. Denn Fliegen belastet die Umwelt, das ist unbestritten. Und wenn viele Leute nur deswegen fliegen, nicht, weil sie jetzt unbedingt zu einem gewissen Ziel wollen, sondern weil sie gerade einen extrem billigen Flug gefunden haben, dann ist das zum einen zwar Sache der Airline, wie sie damit umgeht und damit ihr Geld verdient. Aber es ist eben auch eine Sache, die uns alle betrifft, weil eben das Fliegen die Umwelt belastet. Und je mehr geflogen wird, desto mehr auch von dieser Belastung wir alle aushalten müssen.
    Büüsker: Die deutsche Flugsicherung meldet ja auch gerade wieder absolute Rekordanflüge. 1,59 Millionen Flüge, die sich natürlich auf alle Airlines verteilen, aber eben den deutschen Luftraum betreffen. Also, die Branche boomt, Sie haben das gesagt. Und wird Ryanair tatsächlich hier ein Opfer des Erfolgs dieser Branche?
    Spaeth: Ryanair ist ein Vorreiter, und ich würde auch erwarten, dass Ryanair in gewisser Weise ein Vorreiter bleibt, indem sie sozusagen jetzt sich darauf konzentriert, ihr bisheriges Geschäftsmodell einfach zu modernisieren und auch mehr Harmonie herzustellen mit ihren Mitarbeitern. Das wird zwangsläufig bedeuten, dass auch die Flugpreise ein wenig steigen. Ich denke, sie werden trotzdem immer noch im Schnitt unter den sonst üblichen Preisen in der Branche liegen, aber Ryanair muss definitiv ihr Geschäftsmodell einfach anpassen, sonst werden sie ein Problem bekommen, eher früher als später.
    Büüsker: Wenn Sie sagen, anpassen, wenn Sie sagen modernisieren, was meinen Sie damit genau?
    Spaeth: Damit meine ich eben vor allen Dingen, dass die Arbeitnehmer die in der Branche und überhaupt in der Wirtschaft üblichen Rechte bekommen, die sie bisher eben nicht haben.
    Bedarf an Flügen künstlich erzeugt durch "Ultrabilligtarife"
    Büüsker: Wenn wir noch mal insgesamt auf die Branche gucken, Sie haben es eben angesprochen, es gab Flugausfälle in den vergangenen Wochen, es gab zahlreiche Verspätungen, wir haben jetzt an den Flughäfen in München und Frankfurt auch Chaos im Sicherheitsbereich gesehen. Ist die Branche auch mit ihrem eigenen Erfolg gerade so ein bisschen überfordert?
    Spaeth: Ja, ein wenig. Fliegen ist eben eine Wachstumsbranche, war es immer und wird es auch nach heutigen Vorhersagen immer bleiben. Etwa alle 20 Jahre verdoppelt sich das Fluggastaufkommen. Die weltweite Wachstumsrate liegt bei etwa fünf Prozent im Jahr. Es ist hierzulande eher mehr im Moment. Wir wissen alle gerade in Deutschland, wie extrem schwer es ist, hier etwa neue Flughäfen zu bauen oder auch nur eine neue Piste zu bauen. Also, die Infrastruktur wächst aus politischen Gründen nicht mit. Es dauert extrem lange, bis hier Infrastruktur überhaupt entsteht, siehe das Problem BER, das ist das beste Beispiel dafür. Aber die Luftfahrtbranche wächst stürmisch, so oder so. Und dann ergeben sich einfach Engpässe, wie wir sie jetzt gerade aktuell sehen.
    Büüsker: Jetzt haben Sie aber eben gesagt, dass wir eigentlich sowieso zu viel fliegen. Also können wir es uns eigentlich gar nicht wünschen, dass die Infrastruktur wächst, weil dann fliegen wir ja am Ende noch mehr.
    Spaeth: Da muss man differenzieren. Wie gesagt, generell ist es im Prinzip auch eine gute Sache, wenn der Luftverkehr in gesunder Weise wächst. Aber das hier ist eine Art von künstlichem Wachstum teilweise, was eben Ultrabilligtarife erzeugt wie bei Ryanair, wo einfach Bedarf erzeugt wird an Verkehrsleistung, der eigentlich gar nicht da war und da ist und der nur stimuliert wird durch so extrem billige Preise. Das war mein Punkt.
    Büüsker: Sagt Andreas Spaeth. Er ist Journalist mit Schwerpunkt Luftfahrt und Mitglied des Luftfahrtpresseclubs. Ich danke Ihnen ganz herzlich für das Interview heute hier im Deutschlandfunk, Herr Spaeth!
    Spaeth: Vielen Dank, viele Grüße!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.