Die Expressbahn RER A ist eine der meistgenutzten Bahnlinien Europas. Auf den Bahnsteigen der Station Charles de Gaulle - Étoile herrscht dichtes Gedränge. Nur jeder zweite Zug soll heute fahren.
"Ich hab heute anderthalb Stunden statt 40 Minuten gebraucht. Ich verstehe, dass die Eisenbahner streiken, aber sie sind ja auf die Regierung sauer und wir müssen es ausbaden. Wir haben nichts damit zu tun", findet ein Pendler. Eine anderer schimpft:
"Ein Großteil der Pariser hat die Schnauze sowas von voll. Es gibt Leute, die verdienen viel weniger und beschweren sich nicht."
Gewerkschaften verteidigt Streik
Es ist für die Pendler ein Tag, an dem die Streiks bei den Expressbahn-Linien zusammenfallen mit denen bei der Staatsbahn, die sie auch betreffen, weil sie Anschlüsse verpassen. Ein "Tag ohne Eisenbahner" ist es nicht, aber es sind wieder mehr, die im ganzen Land streiken oder, wie in Marseille Saint-Charles, die Gleise besetzen. Eric Meyer von SUD Rail verteidigt den Kurs der Gewerkschaften:
"Die Regierung und die Transportministerin tragen die Verantwortung für die Streiks. Die Eisenbahner zeigen ihre Unzufriedenheit, weil sich nichts bewegt, im Gegenteil!"
Denn ein Dokument, über das die Zeitung "Le Parisien" gestern berichtete, hat den Zorn der Bahngewerkschaften neu entfacht: Es geht um die Pläne, die Staatsbahn SNCF in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln - die SNCF-Gruppe, SNCF Réseau (für das Schienennetz) und SNCF Mobilités (für den Fahrbetrieb). Alle sollen zu 100 Prozent dem Staat gehören – das war das Versprechen.
In dem Dokument wird nun vorgeschlagen, dass dies nur für die Holding gelten soll – sodass einzelne Teile doch privatisiert werden könnten, zürnen die Gewerkschaften. Die SNCF dementiert, auch im Reformgesetz ist es anders vorgesehen.
Nicht der einzige Streitpunkt
Doch das ist nicht der einzige Streitpunkt der Eisenbahner. Es geht auch darum, die Bahn gemäß einer EU-Direktive für die Konkurrenz zu öffnen und um den Verzicht auf Privilegien für neue Bahnangestellte, wie regelmäßige Lohnerhöhungen oder einen frühen Renteneintritt. Für die Gewerkschaften besteht kein Zusammenhang zwischen ihren Privilegien und den hohen Schulden der SNCF von 47 Milliarden Euro, der Staat solle einspringen.
Legitimieren wollen sie ihren Streikkurs, der vor diesem Montag zuletzt immer weniger Eisenbahner mobilisieren konnte, durch eine Art Referendum. 147.000 SNCF-Angestellte sollen abstimmen, ob sie für oder gegen die Reform sind, erklärt CGT-Vertreter Michaël Albin:
"Wir haben keine Angst vor der Demokratie. Wenn die Mehrheit am Ende dafür ist, ziehen wir unsere Lehren daraus."
Die SNCF betont, dass die Befragung keine rechtliche Grundlage habe und antwortet mit einer Charmeoffensive: Vergrätzte Pendler und Reisende sollen durch vergünstigte Tickets wiedergewonnen werden, kündigte SNCF-Chef Guillaume Pepy an. Sie hätten sehr unter den Streiks gelitten und hätten ein Anrecht auf eine entsprechende Entschädigung. Auch Arbeitsministerin Muriel Pénicaud betont, dass die interne Abstimmung nichts daran ändere, wer die Entscheidungen trifft:
"Diese Reform betrifft nicht nur die SNCF, intern, sondern alle Franzosen. Die Entscheidungen werden im Parlament getroffen, mit der Regierung."
Die Nationalversammlung hat der Reform bereits in erster Lesung zugestimmt, die Streiks sollen noch bis Juni tageweise fortgesetzt werden.