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Streiks in Portugal
Die Macht der neuen Gewerkschaften

Beschäftigte des öffentliche Dienstes streiken heute in Portugal. Die Regierung muss sich mit neu gegründeten Gewerkschaften auseinandersetzen, die ihren Arbeitskampf über Crowdfunding finanzieren. Besonders schmerzhaft sind die Streiks der OP-Schwestern und - Pfleger in den Krankenhäusern.

Von Tilo Wagner |
    Krankenschwestern und Pfleger stehen vor dem Santa Maria Krankenhaus in Lissabon im Streik und halten Plakate hoch - am 8. Februar 2019
    Eigentlich garantiert die portugiesische Verfassung allen Bürgern eine kostenlose Gesundheitsversorgung, aber das System ist seit Jahren unterfinanziert. (AFP/Patricia de Melo Moreira)
    Die Zeichen stehen auf Konfrontation. Als der portugiesische Premierminister António Costa in einem Interview mit dem TV-Sender Sic auf den Streik der Krankenpfleger zu sprechen kommt, wählt er ungewöhnlich harte Worte:
    "Wir unterscheiden ganz klar zwischen den Gewerkschaften, die ihr Recht auf Streik nutzen und sich dabei an die Spielregeln halten, und den Gewerkschaften, die unserer Meinung nach einen illegalen Arbeitskampf führen, der brutale Folgen für die Patienten hat. Gegen diese Streiks werden wir mit allen juristischen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, vorgehen."
    Nach jahrelangem Sparzwang im öffentlichen Dienst haben in jüngster Zeit Lehrer oder Angestellte immer wieder ihre Arbeit niedergelegt. Doch kein Streik hat eine so große Wirkung erzielt wie der Arbeitskampf in den Krankenhäusern. Und das ist durchaus so gewollt, sagt der Krankenpfleger Vitor Marques, der den wilden Streik in den Operationssälen zusammen mit einigen Kolleginnen und Kollegen geplant hat:
    Zwei neue Gewerkschaften
    "Die konventionellen Streiks in den Krankenhäusern haben keinerlei Wirkung erzielt. Wir haben gestreikt und dabei einen Teil unseres Gehaltes verloren, und es hat trotzdem nichts gebracht. Unser Streik in den Operationssälen ist viel öffentlichkeitswirksamer und hat direkte soziale und politische Folgen."
    Ende Januar waren die Verhandlungen zwischen Krankenpflegern und dem Gesundheitsministerium erneut gescheitert, weil die Regierung einer Erhöhung des Einstiegsgehalts um 30 Prozent nicht zustimmen will. Bis Ende Februar streiken nun Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger in den Operationssälen. Unterstützt wird der Streik von zwei neuen Gewerkschaften. Sie seien gegründet worden , weil sich viele Mitglieder von den großen Arbeitnehmerverbänden nicht mehr ausreichend repräsentiert fühlten, so Gorete Pimentel, Gewerkschaftsführerin der 2017 gegründeten Sindepor:
    "Eine der größten, alt eingesessenen Gewerkschaften der Krankenpfleger gehört zum kommunistisch beeinflussten Dachverband CGTP. Die waren immer die Stimme der Arbeiter. Doch jetzt geht es nur noch um Politik. Sie setzen sich nicht mehr für unsere Forderungen ein. Die Kommunisten unterstützen ja die sozialistische Minderheitsregierung. Und deshalb haben sie eine politische Agenda zu verteidigen."
    Wer finanziert die Streiks?
    Der Streik hat schwerwiegende Auswirkungen auf das Gesundheitssystem. Tausende von Operationen mussten verschoben werden. Die Streikenden versichern zwar, dass alle Patienten in Notfallsituationen operiert würden, aber zuverlässige Zahlen hierzu gibt es nicht.
    Ins Visier rückt auch die Finanzierung der Streiks: Über eine Crowdfunding-Plattform haben die Krankenpfleger Hunderttausende von Euro gesammelt und unterstützen mit dem Geld ihre streikenden Kollegen. In der portugiesischen Öffentlichkeit wurde die Vermutung laut, dass private Gesundheitsunternehmen und Krankenhausbetreiber die Streiks versteckt finanziell unterstützen, um das staatliche Gesundheitssystem zu schwächen. Nun wollen die portugiesischen Behörden herausfinden, woher die Spenden stammen.
    Für den Soziologen Manuel Villaverde Cabral ist der Konflikt zwischen Krankenpflegern und Regierung nur ein Symptom für die allgemeine Krise des staatlichen Gesundheitssystems. Eigentlich garantiert die portugiesische Verfassung allen Bürgern eine kostenlose Gesundheitsversorgung. Doch das System ist seit Jahren unterfinanziert und hat an Qualität verloren. Viele Ärzte arbeiten inzwischen für private Unternehmen und Kliniken. Portugiesen, die sich eine private Zusatzkrankenversicherung leisten können, werden dort häufig schneller behandelt.
    "Die Krise hat zum Kahlschlag in den öffentlichen Institutionen des Bildungs- und Gesundheitsbereichs geführt. Unser staatliches Gesundheitssystem steht vor dem Kollaps. Seit der Krise haben die privaten Dienstleister ihren Anteil am Gesamtvolumen im Gesundheitswesen verdreifacht. Der Staat deckt mittlerweile nur noch ein Drittel des Bedarfs ab."