Stefan Heinlein: Satte Verspätungen, komplette Flugausfälle und verschwundenes Gepäck - das gehört mittlerweile zum traurigen Alltag an den meisten deutschen und europäischen Flughäfen. Am Telefon nun Matthias von Randow, früher Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, dann bei Air Berlin und jetzt Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft. Guten Morgen, Herr von Randow!
Matthias von Randow: Guten Morgen, Herr Heinlein!
Heinlein: Man kann also wohl sagen, Sie kennen das Thema Verkehr und Luftfahrt von vielen Seiten. Was ist Ihr Eindruck, Herr von Randow? War das Flugchaos noch nie so groß wie in diesem Sommer?
Randow: Also wir haben sicherlich in diesem Sommer eine besonders angespannte Situation, allerdings hat sie sich in den letzten Jahren auch aufgebaut. Aber vielleicht mal zu den Gründen, die sich jetzt summieren in diesem Sommer: Da war ja zunächst einmal die Aufgabe, die wachsende Nachfrage nach Flügen zu befriedigen. Denn wir haben starke Nachfrage nach Luftverkehr, nicht nur in Deutschland, sondern insgesamt im Weltluftverkehr. Es galt also, diese wachsende Nachfrage nach Flügen zu befriedigen, nachdem mit der Air-Berlin-Insolvenz ja Kapazitäten für rund 30 Millionen Fluggäste jährlich weggebrochen waren. Dafür mussten ja erst einmal alternative Kapazitäten aufgebaut werden, was dann andere Fluggesellschaften gemacht haben. Das ist nicht trivial, das geht auch nicht über Nacht, das braucht Zeit. Und genau in dieser Zeit, nämlich jetzt im ersten Halbjahr 2018, kam es dann auch noch gehäuft zu Streiks in Europa, beispielsweise bei Fluglotsen in Frankreich und an anderen Stellen. Und es kam noch zusätzlich zu ganz ungewöhnlich vielen Schlechtwetterlagen im ersten Halbjahr mit vielen Gewittern. Wenn man das alles zusammentut, das wirbelt natürlich Flugpläne ganz heftig durcheinander.
"Effizienz der Sicherheitskontrollen muss erhöht werden"
Heinlein: Also ein ganzer Strauß an Gründen, haben Sie gerade genannt, vielleicht zum Ersten: die gestiegene Nachfrage. Haben da Fluggesellschaften, die Flughafenbetreiber auch, also diese gesamte Luftverkehrswirtschaft, die Entwicklung, die Folgen dieses Booms unterschätzt?
Randow: Also es ist ja so, dass die Fluggesellschaften, aber auch die anderen Betreiber, also auch Flughäfen, auch Flugsicherung, natürlich Kapazitäten aufbauen sukzessive, aber die Insolvenz der Air Berlin, das war ja immerhin die sechstgrößte Fluggesellschaft in Europa, die war so natürlich zu dem Zeitpunkt auch nicht vorhersehbar. Das sind dann schon besondere Situationen, die Sie nicht planen können. Ich habe ja eben auch dargestellt, es kommen dann noch Wetterlagen und anderes dazu, aber was wir auch wissen: Es gibt natürlich auch Dinge, die auch im Verantwortungsbereich liegen, auch von politischer Gestaltung, verkehrspolitischer Gestaltung, wo andere sich auf diese zusätzlichen Herausforderungen einstellen müssen.
Heinlein: Verkehrspolitische Herausforderung, da gibt es ja Vorschläge von den Grünen, von Umweltschützern insgesamt. Muss Fliegen vielleicht teurer werden, wieder exklusiver werden, damit es am Himmel und am Boden wieder funktioniert?
Randow: Also zunächst einmal gibt es zwei ganz wesentliche Bereiche, in denen politisch gehandelt werden muss, damit tatsächlich auch Luftverkehr auch reibungslos ablaufen kann. Zunächst einmal ist es so, dass die Politik endlich einen einheitlichen Flugsicherungsraum in Europa schaffen muss. Die derzeitige Zersplitterung, die wir haben im europäischen Flugsicherungsraum, die trägt natürlich zu den Kapazitätsproblemen erheblich bei. Und zweitens muss die Effizienz der Sicherheitskontrollen an den Flughäfen deutlich erhöht werden. Dafür ist aber in Deutschland der Staat zuständig. Uns als Unternehmen sind da die Hände auch gebunden.
"Mobilität ist von eminenter Bedeutung"
Heinlein: Was halten Sie denn von dem Vorschlag, Inlandsflüge zu verbieten, also dass Fliegen im Inland einfach nicht mehr erlaubt wird, damit eben dieses Chaos beseitigt wird?
Randow: Also es ist ja erst mal so, mal ganz abgesehen davon, wie man damit umgeht, es ist ja nicht so, dass der Inlandsflug derjenige ist, der zu den Kapazitätsproblemen im Wesentlichen beiträgt, aber ganz grundsätzlich zu Ihrer Frage: Mobilität ist etwas, was für unsere Gesellschaften, glaube ich, von eminenter Bedeutung ist, für die wirtschaftliche Entwicklung, für die individuelle Mobilität der Menschen, aber auch für die touristischen Interessen, die die Menschen haben, und Mobilität zu verbieten, ist sicherlich die falsche Antwort.
Heinlein: Aber zeigen die Streiks bei Ryanair, die wir jetzt erlebt haben Ende letzter Woche gegen die schlechten Arbeitsbedingungen und eben die miese Bezahlung, dass Fliegen einfach insgesamt zu billig ist und eben dieses Billigticket erkauft wird auf dem Rücken der Mitarbeiter?
Randow: Also es ist ja so, dass Luftverkehr insgesamt in einem internationalen Wettbewerb stattfindet und natürlich die Unternehmen ihre Kosten in Preisen auf den Markt bringen müssen, da findet Wettbewerb statt, aber was wir doch auch feststellen, ist, dass es eben ganz unterschiedliche Unternehmen gibt, die auch unterschiedliche Qualität und Leistungen anbieten, und die Kunden haben die Freiheit, nachzufragen, welche Flugleistungen sie tatsächlich sich wünschen und für welche Flugleistung sie welchen Preis bezahlen wollen. Es ist ja nicht so, dass wir im internationalen oder auch im deutschen Luftverkehr Einheitspreise haben und Einheitsleistungen.
"Im Ausland läuft es besser"
Heinlein: Reden wir, Herr von Randow, noch über die Situation am Boden, das haben Sie in Ihren Antworten bislang gar nicht erwähnt. Dort sorgten zuletzt Pannen bei den Sicherheitskontrollen für Chaos in Bremen und an anderen Flughäfen. Funktioniert das in Deutschland schlechter als in vielen anderen europäischen Ländern?
Randow: Also was wir feststellen müssen, ist, und auch feststellen können, ist, dass wir weder in Deutschland noch in Europa wirklich ein Sicherheitsproblem haben. Es kann immer mal wieder in Einzelfällen sicherlich zu einem Fehler kommen, das kann nie ganz ausgeschlossen werden, aber generell sind die Sicherheitskontrollen natürlich auf einem sehr hohen Niveau. Allerdings, wir müssen feststellen, in Deutschland ist es ja so, dass für die Sicherheitskontrollen hier in Deutschland der Staat zuständig ist, das ist das eine, und was wir auch feststellen, ist, dass in einer ganzen Reihe von Flughäfen im europäischen Ausland es deutlich besser läuft, was die Effizienz der Abwicklung anbelangt. Dort schaffen es die Verantwortlichen, dass pro Kontrollspur fast doppelt so viele Fluggäste durchgebracht werden, als das hier in Deutschland der Fall ist. Es ist einfach so, die Art und Weise, wie dort, etwa in Amsterdam, Brüssel oder auch London, die Sicherheitskontrollen organisiert werden, es eben deutlich effizienter läuft.
Heinlein: Wie kann man das ändern, dass es in Frankfurt genauso gut läuft wie in London, Paris oder Brüssel?
Randow: Da gibt es jetzt keine einfache Antwort. Zunächst einmal muss man feststellen, in diesen anderen Ländern lässt der Staat schneller und flexibler deutlich effizientere und innovativere Kontrolltechnik und auch Kontrollverfahren zu, aber es ist eben so, dass auch die Koalition in Deutschland und auch die Bundesregierung sich ja vorgenommen hat, genau an dem System der Luftsicherheitskontrollen heranzugehen und eben aus den Erfahrungen im europäischen Ausland, aber auch aus Pilotprojekten, die wir hier in Deutschland gemacht haben, zu lernen und zu überlegen, wie man das besser organisieren kann. Wir begrüßen das sehr.
Flugpassagiere sollten mehr Zeit einplanen
Heinlein: Sehen Sie Anzeichen, dass sich da etwas ändern wird in absehbarer Zeit an deutschen Flughäfen?
Randow: Also wir glauben schon. Die Einsicht ist jetzt auch da, dass etwas getan werden muss, dass das effizienter organisiert werden kann. Wir haben auch angeboten, da auch ganz engagiert mitzuwirken, auch selber in Durchführungsverantwortung mitzugehen als Flughafenbetreiber beispielsweise. Von daher hoffe ich, setze ich darauf, dass da zügig an alternativen Lösungen gearbeitet werden kann.
Heinlein: Was können Sie uns abschließend, Herr von Randow, aktuell uns Fluggästen raten, um nicht in diesen Strudel der Flugausfälle und Verspätungen zu geraten? Starke Nerven ganz einfach oder das Auto nehmen und die Bahn?
Randow: Also ich glaube, es ist schon richtig, dass die Unternehmen gesagt haben, Fluggesellschaften und auch die Flughäfen, dass die Kunden ein bisschen mehr Zeit einplanen, wenn sie zum Flughafen kommen, um eben rechtzeitig durch die ganzen Abwicklungsverfahren zu gehen. Das ist in diesem Sommer ganz besonders erforderlich gewesen, und was wir feststellen, ist, dass die Fluggäste das auch machen. Das ist sicherlich dauerhaft kein Zustand, und von daher, wenn die Situation sich wieder entspannt, kann man da auch in andere Verfahren gehen, aber etwas Geduld mitzubringen und etwas mehr Zeit einzuplanen ist sinnvoll.
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