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Streit in der AfD
"Der Inner-AfD-Streit wird einfach weitergehen"

"Solange Empörung über insbesondere die Union das vorherrschende Motiv von AfD-Wählern ist, kann sich die AfD aufführen wie sie will", so der Politologe Werner Patzelt im Dlf. Welcher Kurs sich in der Partei durchsetzen werde - eher rechtsradikal oder eher "realpolitisch" - sei von außen noch nicht zu erkennen.

Werner Patzelt im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Symbolbild zur drohenden Aufspaltung der Partei und Bundestagsfraktion Alternative für Deutschland AfD: Ein Riss geht durch das Parteilogo
    Nach längerem internen Machtkampf tritt der AfD-Politiker André Poggenburg als Landes- und Fraktionschef in Sachsen-Anhalt zurück - ändert sich damit der Kurs der Partei? (imago / Ralph Peters)
    Sandra Schulz: Als "Kümmelhändler und Kameltreiber" hatte André Poggenburg in Deutschland lebende Türken ja bezeichnet in seiner Rede beim politischen Aschermittwoch. Und damit, dass es ein Aschermittwoch-Auftritt war, da hat der Fraktionschef der AfD in Sachsen-Anhalt sich dann auch gegen Kritik verteidigt und dafür geworben, diese Wortwahl jetzt nicht unbedingt auf die Goldwaage zu legen. Trotzdem hat der Auftritt jetzt Folgen.
    Am Telefon ist Werner Patzelt, Professor für politische Systeme und Systemvergleiche an der TU Dresden. Schönen guten Tag!
    Werner Patzelt: Schönen guten Tag.
    "Innerparteilicher Streit, untaugliches Führungspersonal"
    Schulz: Welches Signal geht aus Ihrer Sicht aus von diesem angekündigten Rücktritt Poggenburgs?
    Patzelt: Zum einen ist es das Signal, dass die AfD tatsächlich das ist, was Alexander Gauland bezeichnet hat als eine obergärige Partei. Hier wabert es und die und die Blasen kommen an die Oberfläche. Gezeugt wird von innerparteilichem Streit, von untauglichem Führungspersonal. Und obendrein ist das wohl das Signal, dass man in der AfD doch allmählich begreift, dass nicht jede Äußerung eines rechtsdemagogischen Lautsprechers der AfD Wähler zutreibt, sondern eher welche verschreckt. Hier wird man die Reaktionen auf die Aschermittwoch-Rede von Poggenburg in der gleichen Reihe sehen müssen wie die Disziplinierung des Dresdener Richters Maier, oder früher den Versuch, den gescheiterten Versuch von Frau Petry, Herrn Höcke ausschließen zu lassen.
    Schulz: Aber stimmt diese Gleichung denn so, dass man jetzt ein bisschen auf Distanz geht zu dieser Polemik? Ist es nicht einfach die Fortsetzung der Strategie, sich erst sehr polemisch, sehr drastisch zu äußern und dann zu relativieren oder zurück zu rudern?
    Patzelt: Es ist wohl eher der Versuch, in einem innerparteilichen Streitprozess Kritik des politischen Gegners zu funktionalisieren. Wer in der AfD obsiegen wird, ob jene, die sich diese Partei lediglich als eine rechtsdemagogische Krawallpartei vorstellen können und glauben, das würde große Wählermassen an die Partei binden, oder jene, die eine seriöse bundesweite rechte Alternative zur Union aufbauen wollen, wer da obsiegen wird, scheint immer noch offen zu sein. Auf Bundesebene, im Bundestag scheinen es eher, mit altertümlichen Begriffen ausgedrückt, die Realisten zu sein; auf Landesebene insbesondere im Osten die Fundis, die sich immer wieder verrennen und auf dieser Weise den westdeutschen Parteiteilen großen Schaden zufügen.
    "Warten, dass der rechtsdemagogische Flügel sich blamiert"
    Schulz: Aber es wird ja immer wieder gesagt, dass die AfD sich jetzt langsam mal entscheiden müsse. Kann es sein, dass die AfD sich überhaupt nicht entscheiden muss, sondern dass es für sie einfach die beste Strategie ist, das weiterhin offenzuhalten?
    Patzelt: Das werden die nächsten Landtagswahlen zeigen. Nachdem die aber im Westen und nicht im Osten anstehen, ist das in Bezug auf den Kurs der ostdeutschen Landesverbände, die klar rechter und radikaler sind als die westdeutschen Landesverbände, nicht aussagekräftig. Die AfD hat in der Tat profitiert von Fehlern der politischen Konkurrenz, insbesondere von Fehlern der Union, den rechten Rand nicht integrieren zu wollen, und von den Fehlern der Einwanderungspolitik. Und weil diese Migrations- und Integrationsthematik das Signum der nächsten Wahlperiode sein wird, ist nicht auszuschließen, dass die AfD sich anstellen kann so fehlerhaft und so furchtbar wie nur vorstellbar und gleichwohl von einer großen Empörung über die etablierte politische Führung weiterhin profitiert. Damit ist die AfD in der Vergangenheit gut gefahren und viele glauben, das wäre auch ein guter Kurs für die Zukunft, und das ist der innerparteiliche Streit.
    Schulz: Das heißt, was die AfD jetzt in Sachsen-Anhalt macht, das steht und fällt jetzt auch wirklich damit, wer als Nachfolger kommt, ob vielleicht eine Gesamtarithmetik ins Rutschen kommt, oder sich vielleicht gerade noch stabilisiert, wenn das wahr wird, was unser Korrespondent gerade schildert, nämlich dass dort eine noch detailliertere, drastischere Besetzung folgt?
    Patzelt: Ja. Dann werden die Streitigkeiten, was denn ein für die AfD tauglicher Kurs wäre, natürlich weitergehen, und man wird im Grunde darauf warten müssen, dass sich der rechtsdemagogische Flügel öffentlich so blamiert, dass es den AfD-Verantwortlichen dämmert, dass eine rechtsdemagogische, rechtsradikale Partei in Deutschland Gott lob nicht sonderlich viele Stimmen an sich binden kann, zumindest nicht auf Dauer.
    "Je östlicher, je rechtsradikaler"
    Schulz: Aber wie soll denn dieses Szenario aussehen, dass die sich, wie Sie sagen, so blamieren? Es scheint ja nicht auszureichen, dass es diese wirklich sehr drastischen, sehr weit rechts zu verortenden Äußerungen gibt.
    Patzelt: Es geht immer wieder im Anschluss an solche rechtsradikalen Äußerungen um Parteiaustritte, Austritte von Mandatsträgern, zurechtweisende Worte der Parteiführung. Das alles hat noch nicht zu einer klaren Linie in der AfD geführt und wann sie kommt, wenn sie überhaupt kommt, ist auch unabsehbar. Es gehen einfach die innerparteilichen Gärungsprozesse weiter und von außen kann ich noch nicht erkennen, wer sich da durchsetzen will. Es scheint so zu sein: Je östlicher, desto rechtsradikaler, je westlicher, desto realpolitischer. Aber auch das ist nur eine Pi mal Daumen Gleichung.
    Schulz: Wenn wir jetzt noch mal bei der Personalie in Sachsen-Anhalt bleiben. Was ist denn bis auf weiteres Ihre Interpretation, warum Poggenburg jetzt gehen muss, wegen seiner Äußerungen am Aschermittwoch, oder wirklich wegen seines Führungsstils?
    Patzelt: Mir scheint, dass es eher der innerparteiliche Führungsstil ist, der ihn für manche in der Fraktion untragbar gemacht hat, und dass er jetzt ersetzt wird durch jemanden, der nicht minder rechtsdemagogisch auftritt als Poggenburg selbst, verweist ja darauf, dass es hier nicht um einen innerparteilichen Richtungsstreit geht in dieser ostdeutschen landesverbandlichen Gliederung, sondern um persönliche Rechnungen, die beglichen werden.
    "Abstrafekreuz gegenüber Union, SPD, Großer Koalition"
    Schulz: Das heißt, diese wichtige inhaltliche politische Stütze, die der Thüringer Björn Höcke ja bisher hat aus Sachsen-Anhalt, die wird er sehr wahrscheinlich künftig auch nicht missen müssen?
    Patzelt: Na ja. Wenn der Nachfolger von Poggenburg, was mein Informationsstand ist, selber zu dieser patriotischen Front gehört und da fleißig am Kyffhäuser sich mit Höcke und anderen betut, wird es an innerparteilicher Unterstützung für Höcke bis auf weiteres nicht fehlen. Und der Inner-AfD-Streit wird einfach weitergehen und uns alle teils erfreuen, teils besorgt machen.
    Schulz: Jetzt haben die Wähler bei der Bundestagswahl die AfD ja so gewählt, wie sie bisher in Erscheinung getreten ist, nämlich (Sie haben das Wort von Alexander Gauland zitiert) als gäriger Haufen. Es scheint, bis auf weiteres ja viele Wähler dieses Erscheinungsbild überhaupt nicht gestört zu haben. Gerade in Bayern waren die AfD-Ergebnisse bei der Bundestagswahl ganz ausgezeichnet. Sortieren Sie uns das noch mal. Sie haben es ja gesagt: In Bayern und in Hessen stehen die nächsten Landtagswahlen an. Das heißt, dass bis auf weiteres die AfD wahrscheinlich sich so behaupten wird wie bisher auch?
    Patzelt: Man muss einfach begreifen, dass das Wahlkreuz für die AfD in der Regel kein Kreuz für die AfD ist, weil sie so tolle Politiker hat und eine so wunderbare Politik in Aussicht stellt, sondern einfach ein Protestkreuz, ein Abstrafekreuz gegenüber Union, SPD, der Großen Koalition, aber insbesondere in Bezug auf die Union. Das zeigen die Wahlergebnisse in Sachsen und in Bayern und in Teilen von Hessen und in Teilen von Baden-Württemberg bei der Bundestagswahl. Gerade jene, die ihre Hoffnung auf vernünftige Politik immer in die Union gesetzt haben, fühlen sich von der Union verlassen und protestieren nun durch das Kreuz bei der AfD in der Hoffnung, dass die Union ihren Kurs verändert. Das ist das Muster, das man die ganze Zeit sieht, und solange Empörung über insbesondere die Union auf Bundesebene das vorherrschende Motiv von AfD-Wählern ist, kann sich die AfD aufführen wie sie will. Solange der Protesteffekt erzielt wird, stört das die Wähler nicht.
    Schulz: Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt heute Mittag hier bei uns im Deutschlandfunk. Danke dafür.
    Patzelt: Gerne geschehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.