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Streit in der Union
"Was mich aufregt, ist dieses Herumgeeiere"

Der Politikwissenschaftler und CSU-Kenner Heinrich Oberreuter glaubt nicht, dass es zu einer Trennung von CDU und CSU kommt. Beide Parteien könnten sich das nicht leisten, sagte er im DLF. Genervt zeigte sich Oberreuter zudem über das "Herumgeeiere" der CSU. Hinter all dem stecke schlicht der Versuch, der AfD "das Wasser abzugraben".

Heinrich Oberreuter im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker |
    Der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter.
    Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter im DLF: "Natürlich hat die CSU Angst vor der AfD". (dpa / picture-alliance / Andreas Gebert)
    Ann-Kathrin Büüsker: Möchte die CSU die AfD rechts überholen? Den Eindruck, den könnte man bekommen, wenn man sich gerade die Forderungen zur Flüchtlingspolitik anschaut. Nach der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern, da hatte man ja in Bayern einen Kurswechsel in dieser Thematik verlangt. Den hat die Kanzlerin nun aber abgelehnt, was die CSU nicht daran hindert, weiterhin für ihre Ideen zu trommeln. Wie weit ist die CSU tatsächlich bereit zu gehen? Darüber möchte ich jetzt mit Professor Heinrich Oberreuter sprechen, Politikwissenschaftler und CSU-Kenner. Guten Tag, Herr Oberreuter.
    Heinrich Oberreuter: Ja, guten Tag!
    Büüsker: Herr Oberreuter, droht da in der Union tatsächlich die Scheidung?
    Oberreuter: Das glaube ich überhaupt nicht. Es droht oder es ist im Gange eine intensive Auseinandersetzung um eine erträgliche Lösung und vor allen Dingen um eine ja doch sehr erprobte Nähe zur Bevölkerung und zu den kritischen Sichtweisen dort. Es wäre ja schon ganz gut, wenn man begrifflich präzise argumentieren würde, wenn man endlich mal dazu käme, intern und auch gegenüber der Öffentlichkeit zwischen Flüchtlingen, Asylbewerbern und Zuwanderern zu entscheiden. Allein da wäre schon ein erheblicher Positionsgewinn und Realitätsgewinn möglich.
    Büüsker: Aber genau das tut die CSU ja gerade nicht. In diesem Papier, was ich erwähnt habe, da wird im Moment alles zusammengeworfen.
    Oberreuter: Na ja. Sie spricht von einer Obergrenze bei der Zuwanderung, und da muss man Herrn Spahn ja recht geben. Die Zuwanderung betrifft nicht die Flüchtlinge und die Asylbewerber, da können wir grundrechtlich, grundgesetzlich gar nichts dagegen unternehmen, weil hier ein Rechtsanspruch besteht, oder auch nach der Genfer Flüchtlingskonvention verfahren werden muss.
    Bei Zuwanderung kann man das durchaus und es gibt kein Land der Welt, das jeden rein lässt, der auch nur rein will, um sein Leben hier zu gestalten.
    Es ist in der Tat ein Papier, das vieles zusammenrührt, vieles, was rechtlich unterschiedlich betrachtet werden muss, was im politisch-kulturellen Bereich, im auch religiös-kulturellen Bereich liegt, und was in gewisser Weise so verschwommen ist wie manches Unbehagen in der Bevölkerung.
    "Hinter all dem steht der Versuch, der AfD das Wasser abzugraben"
    Büüsker: Aber, Herr Oberreuter, warum tut die CSU das? Warum ist sie so unpräzise?
    Oberreuter: Die CSU hat diese Positionen, die sie jetzt vertritt, seit September letzten Jahres vertreten und ich will mal so sagen: Sie ist sehr geübt im Versuch, engen Schulterschluss mit der Mentalität der Bevölkerung herzustellen. Und da ist vielleicht gelegentlich ein Übermaß an Präzision hinderlich. Hinter all dem steht der Versuch, der AfD das Wasser abzugraben, ohne dass man ihr nachläuft, denn die Positionen sind ja eigentlich schon sehr viel älter als der AfD-Erfolg. Das Interessante dabei ist aber, dass ein erheblicher Teil der Wählerschaft der AfD (in Rheinland-Pfalz waren das 72 Prozent) sagen, hätte die CSU kandidiert, dann hätten wir uns überlegt, die zu wählen. - Wie soll ich sagen? Die Präzision der Politik, die Präzision der Themenauffassung und auch die Rechtssicherheit der Diskussion ist äußerst schwammig, und zwar bei allen Beteiligten. Ich habe den Eindruck, nicht nur bei der CSU, sondern auch bei der Bevölkerung, bei den Medien und auch bei den konkurrierenden Parteien.
    Büüsker: Wenn man jetzt in der CSU versucht, potenzielle AfD-Wähler abzugreifen, indem man ähnliche Positionen offen kommuniziert, verleiht man damit aber den Positionen der AfD nicht auch in gewisser Weise zusätzliche Geltung, was dann vielleicht auch gefährlich werden könnte?
    Oberreuter: Na ja, ich kenne dieses Argument. Der Punkt ist aber eigentlich eher umgekehrt. Wenn ich Unbehaglichkeit in der Bevölkerung zum Gegenstand meiner Betrachtungen und meiner politischen Entscheidungen mir vornehme, dann baue ich eigentlich eher Brandmauern gegen solche, die diese Unbehaglichkeiten benützen, um vielleicht demokratisch zweifelhafte Wege zu beschreiten. Das ist ja nun das, was man der CSU nicht vorwerfen kann. Da liegt eigentlich eher der Hase im Pfeffer.
    Büüsker: Aber um diese Brandmauer tatsächlich aufzubauen, müsste man gerade da nicht präzise und differenziert argumentieren?
    Oberreuter: Da muss ich Ihnen recht geben. Das gilt aber auch für alle Beteiligten. Was mich aufregt, ist in der Tat dieses wolkenhafte Herumgeeiere und nicht präzise Aussprechen dessen, auch nicht präzise hinhören. Es sind ja reflexartige Artikulationen. Es braucht nur ein Begriff wie Obergrenze genannt zu werden, schon kommen alle aus den Startlöchern und bellen in diese oder in jene Richtung, ohne zum Beispiel, um es zu wiederholen, noch mal darüber nachzudenken, was ist eigentlich gemeint. Und der Hauptpunkt der Unbehaglichkeit ist natürlich, wie schaffen wir die Integration derer, die mit anderen kulturellen Hintergründen, mit für unseren Arbeitsmarkt nicht tauglichen Qualifikationen und mit großen sozialen Kosten auf uns zukommen. Das ist die Herausforderung, die die Bevölkerung sieht, und darauf sollte die Politik präzise Antworten geben.
    Büüsker: Um mal kurz zusammenzufassen. Ich habe Sie jetzt so verstanden, dass die CSU durchaus ins Populistische abdriftet. Schürt sie damit vielleicht auch zusätzlich noch Fremdenfeindlichkeit und schürt die Ängste, die die Menschen gerade bewegen?
    Oberreuter: Ich bin mir nicht sicher, wenn man, wie Franz-Josef Strauß immer gesagt hat, dem Volk aufs Maul schaut, ohne ihm nach dem Mund zu reden, ob man das schon als populistisch bezeichnen kann. Der CSU kann man ja nicht nachsagen, dass sie wie Populisten üblicherweise einfach nur daherreden und Klartext für sich reklamieren, ohne wirklich Problemlösungen zu präsentieren. Das kann man einer jahrzehntelangen regierungsverantwortlichen Partei nicht unterstellen. Es ist in der Tat so, dass es eine gewisse Nähe gibt, die von der AfD ausgenutzt werden könnte, aber ich habe nicht den Eindruck, dass die AfD im Augenblick großes Interesse daran hat, sich hinter der CSU zu verstecken, sondern eher befürchtet, dass die CSU ihr das Wasser abgraben könnte, und das ist dann die eigentliche Schlachtordnung, um die es aus meiner Sicht geht.
    "Natürlich hat die CSU Angst vor der AfD"
    Büüsker: Hat die CSU Angst vor der AfD?
    Oberreuter: Natürlich hat sie Angst vor der AfD, jetzt nicht nur aus demokratiepolitischen Gründen, um den alten Satz, rechts von der Union dürfe keine demokratisch legitimierte Partei existieren, noch mal zu zitieren, der ja auch immer opportunistisch war, weil es um die Verteidigung der eigenen Steige geht.
    Es geht natürlich ganz klar auch darum, dass die CSU höchstes Interesse daran hat, ihre hegemoniale Position im Freistaat Bayern zu verteidigen, und wenn in Bayern eine 15 oder 16 oder 17 Prozent AfD aufträte, dann wäre die Gefahr sehr groß, dass die CSU sich auf einmal wieder in Koalitionen wiederfindet, die sie eigentlich nicht will, weil zu ihrem Markenzeichen die Beherrschung des Freistaates gehört, von dem aus oder von der aus sie dann auch in Berlin ihre starke Position wahrnehmen kann.
    "CSU kann sich eine Trennung von der CDU nicht leisten"
    Büüsker: Um dann sozusagen noch mal auf meine Einstiegsfrage nach der möglichen Scheidung zurückzukommen. Das heißt, die CSU kann es sich auch gar nicht leisten, sich von der CDU zu trennen?
    Oberreuter: Ich halte das für ziemlich unsinnig. Sie kann es sich nicht leisten, sie wird es sich nicht leisten und beide werden es sich nicht leisten, was nichts damit zu tun hat, dass man in einer Spezialfrage bis zuletzt ganz unterschiedliche Meinungen haben kann, und was auch damit nichts zu tun haben muss, wie personelle Konstellationen aussehen.
    Die Frage politischer Lösungen, die adäquat sind und zukunftsweisend, hängt nicht davon ab, wer welche Ämter innehat. Das werden aber dann die Zukunftsdiskussionen uns zeigen.
    Büüsker: ... sagt Professor Heinrich Oberreuter, Politikwissenschaftler und CSU-Kenner. Herr Oberreuter, vielen Dank für das Gespräch heute hier im Deutschlandfunk.
    Oberreuter: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.