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Streit mit der EU
Polen will Justizreform nachbessern

In Polen tritt heute der erste Teil der umstrittenen Justizreform in Kraft, mit der die nationalkonservative Regierung ihren Einfluss auf die Gerichte massiv erhöhen will. Warschau liegt deswegen im Streit mit der EU. Nun gibt es Anzeichen dafür, dass Polens Regierung nach einem späten Kompromiss sucht.

Von Florian Kellermann |
    Eine Statue der Justitia vor blauem Himmel
    Wird ein Kompromiss im Streit um die Justizreform in Polen gefunden? (dpa / picture alliance / David Ebener)
    Die Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs Małgorzata Gersdorf ist seit vier Jahren im Amt. Laut polnischer Verfassung stehen ihr eigentlich noch zwei Jahre zu. Trotzdem muss sie bald ihren Posten räumen. Sie ist 66 Jahre alt - dem neuen Gesetz über den Obersten Gerichtshof zufolge hat sie damit die Altersgrenze überschritten.
    Schon vor zwei Wochen verabschiedete sie sich von ihren Richtern - bei der jährlichen Hauptversammlung:
    "Es ist fast sicher, dass dies die letzte Versammlung dieser Art ist. Das Gesetz, das in Kraft tritt, führt zu einer Gestalt des Obersten Gerichtshofs, die der Verfassung widerspricht. Aber schon im vergangenen Jahr war es kaum mehr möglich, das Gericht ordentlich zu führen.
    Parlament nominiert Richter
    Wie Małgorzata Gersdorf wird die Mehrzahl der Richter die Robe ablegen. Die Lücken soll der Landesjustizrat füllen. Er wurde ebenfalls neu gestaltet - dies war das zweite Gesetz der Reform, das von der EU-Kommission beanstandet wurde.
    Es hat dazu geführt, dass seit kurzem im Landesjustizrat Richter dominieren, die vom Parlament bestimmt wurden, nicht mehr von den Richtern selber. So schließt sich der Kreis: Juristen, die ihre Karriere vor allem der Regierungspartei PiS verdanken, gelangen in höchste Richterposten.
    Die PiS verteidigt die Reform - und doch hat sie zuletzt versöhnliche Töne gegenüber der EU-Kommission angeschlagen.
    Kompromiss gesucht
    Krzysztof Szczerski, Kanzleichef von Staatspräsident Andrzej Duda: "Wir haben einen Kompromissvorschlag auf den Tisch gelegt. Die EU-Kommission steht jetzt vor der Wahl, ob sie auf die demokratisch gewählte Regierung eines Mitgliedstaats zugehen will. Oder ob sie diesen Streit fortsetzen will, der die Europäische Union schwächt."
    PiS-Abgeordneten haben das Kompromissangebot schon in Gesetzesform gegossen und ins Parlament eingebracht. Die wichtigsten Änderungen betreffen das dritte Gesetz der Justizreform. Es handelt von der Organisation der ordentlichen Gerichte. Die polnische Regierung schlägt vor, dass der Justizminister künftig zwei Gremien fragen muss, bevor er einen Gerichtspräsidenten austauschen kann - den Landesjustizrat und das Kollegium des jeweiligen Gerichts. Außerdem sollen auch Richterinnen, wie ihre männlichen Kollegen, mit 65 Jahren in den Ruhestand gehen - nicht mit 60 Jahren.
    Blockade des Verfassungsgerichts aufgehoben
    Das dritte Zugeständnis: Die Regierung veröffentlicht drei Urteile des Verfassungsgerichts, die sie bisher blockierte. Der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński bezeichnete den Preis, den Polen so für einen Kompromiss bezahle, als bitter. Etwas anders formuliert es Konrad Szymański, Staatssekretär im Außenministerium:
    "Wir machen hier einen Schritt zur Seite in Fragen, die im Justizsystem keine zentrale Rolle spielen. Ein Kompromiss ist möglich, weil die Gegenseite reifer geworden ist. Unser Druck hat dazu geführt, dass zumindest einige Mitgliedsstaaten zur Einsicht gekommen sind, dass man den Streit beenden sollte, weil Polen einem Diktat nicht nachgibt."
    Die polnische Regierung macht ihren Vorschlag aus einem Gefühl der Stärke heraus. Schließlich haben mehrere EU-Länder signalisiert, dass sie das Verfahren gegen Polen nicht unterstützen.
    Juncker: "Große Sympathie"
    Kritiker der polnischen Regierung sehen in deren Angebot allerdings keine echten Zugeständnisse. Der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident Andrzej Rzepliński:
    "Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber den Rechtsstaat stellt er noch lange nicht wieder her. Ein Rechtssystem kann nicht ein bisschen gegen die Verfassung verstoßen und ihr ein bisschen entsprechen. Und an diesem Punkt sind wir nach zwei Jahren dieses hybriden Kriegs, den die Regierung gegen die Justiz führt."
    Dennoch gibt es erste positive Signale aus Brüssel. Er blicke "mit großer Sympathie" auf die Änderungsvorschläge, sagte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.