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Streit über Innenpolitik
"Die CSU wird mit Sicherheit nicht aus der Koalition aussteigen"

Die CSU würde es noch nicht einmal erwägen, aus der Koalition auszusteigen, sagte der Politologe Jürgen Falter im DLF. Denn so würde die Partei ihren bundespolitischen Einfluss verlieren. Noch bestehe eine gemeinsame Line der Koalitionäre in der außenpolitischen, internationalen Strategie, eine europäische Kontingentregelung zu finden. Strittig sei aber alles Innenpolitische, so Falter.

Jürgen Falter im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unterhält sich am 20.11.2015 auf dem CSU-Parteitag in München (Bayern) mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU).
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unterhält sich am 20.11.2015 auf dem CSU-Parteitag in München (Bayern) mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU). (picture alliance / dpa / Matthias Balk)
    Mario Dobovisek: Alles dreht sich um Flüchtlinge. Die Spitzen der Regierungskoalition sowie der Länder treffen sich in Berlin zu Gesprächen über das Asylpaket II um den Kurs in der Flüchtlingspolitik. Nach den erbitterten öffentlichen Streitereien in der Koalition wollen die Parteispitzen heute Entscheidungsfähigkeit beweisen. Die Frage ist nur, ob sie das überhaupt noch können.
    Am Telefon begrüße ich Jürgen Falter, Politikwissenschaftler an der Universität in Mainz. Guten Tag, Herr Falter.
    Jürgen Falter: Guten Tag.
    Falter: Wird Angela Merkel am Ende des Jahres noch Bundeskanzlerin sein?
    Falter: Oh, das ist die große Frage, die ich beim besten Willen nicht beantworten kann. Aber wir wissen, dass die Frage von sehr vielen verschiedenen Dingen abhängt, die Antwort auf die Frage, und zwar Dingen, die die Bundeskanzlerin nur sehr begrenzt wirklich beeinflussen kann, Dinge, die in der Hand unserer europäischen Partner liegen, die in der Hand der Türkei liegen, die in der Hand natürlich auch derer liegen, die in Syrien Krieg führen und Bürgerkrieg führen.
    Dobovisek: Die auch in der Hand der CSU liegen?
    Falter: Die CSU wird mit Sicherheit nicht aus der Koalition aussteigen, denn da kann sie kein Interesse dran haben. Das würde ihren bundespolitischen Einfluss eindeutig zunichtemachen. Es würde gleichzeitig diesen Anspruch, bayerische Staatspartei zu sein und bundespolitischer Mitspieler, zunichtemachen. Nein, ich glaube nicht, dass die CSU überhaupt nur erwägt, aus der Koalition auszusteigen. Die Drohung ist ja auch noch nicht gekommen, wenn ich es richtig sehe.
    Prof. Jürgen Falter, Politikwissenschaftler, Universität Mainz
    Prof. Jürgen Falter, Politikwissenschaftler, Universität Mainz (picture alliance / Erwin Elsner)
    Dobovisek: Na ja. Teil der bayerischen Drohkulisse ist ja auch, die CSU-Minister aus dem Bundeskabinett abzuziehen. Haben wir immer wieder mal gehört, zwar am Rande nur, aber es ist im Raume. Sind die beiden Unions-Schwestern denn auf Gedeih und Verderb, sozusagen auf immer und ewig aneinander gekettet?
    Falter: Ich glaube, die CSU stärker an die CDU als umgekehrt, denn die CSU ist darauf angewiesen, dass sie in Bayern das Monopol hat, als einzige christdemokratische oder christsoziale Kraft anzutreten. Wenn die CDU auf die Idee käme, dann in Bayern auch zu kandidieren, dann wäre das das Ende der bayerischen Staatspartei CSU, und das kann niemand wirklich ernsthaft wollen. Und würde die CSU außerhalb Bayerns kandidieren, verlöre sie ihren spezifischen bayerischen Charakter. Das kann sie auch nicht wollen. Das heißt, ich glaube schon, dass die CSU weiß, dass sie stärker auf diese Koalition mit der CDU angewiesen ist als umgekehrt.
    "Da muss nicht gleich die Koalition platzen"
    Dobovisek: Und was, wenn, wie Sie sagen, die bayerische Staatspartei aus München gegen die Große Koalition in Berlin klagt in Sachen Flüchtlingen?
    Falter: Ach, solche Sachen hat es ja schon gegeben. Hamburg hat ja auch schon mal wegen des Betreuungsgeldes geklagt. Da muss nicht gleich die Koalition platzen. Da verschiebt man einfach eine Auseinandersetzung, was man ja sehr gerne tut in der deutschen Politik, von der politischen Ebene auf die verfassungsgerichtliche Ebene und hofft, dass die irgendwann mal eine Entscheidung fällen, die einem Recht gibt. Aber sofort wird die Entscheidung ja auch nicht fallen.
    Dobovisek: Wir bewegen uns zwischen der Politik offener Arme, Kontingenten und der Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen in diesem Jahr. Sehen Sie eine gemeinsame Linie, auf der die Koalitionäre gemeinsam werden weitertanzen können nach dem Spitzentreffen heute?
    Falter: Ja, die gemeinsame Linie besteht in der außenpolitischen, internationalen Strategie. Da gibt es eigentlich gar keine große Uneinigkeit, dass man versuchen muss, eine europäische Kontingentregelung zu finden, dass man versuchen muss, eine gemeinsame europäische Finanzierung für den Nahen Osten zu finden, und dass man vor allen Dingen versuchen muss, Frieden in Syrien, im Nahen Osten herzustellen, um die Hauptursache der Flüchtlingstrecks zu beseitigen. Das ist relativ unstrittig.
    Streitig ist alles, was innenpolitisch ist, also die Frage der Obergrenze, die Frage von Auffangzentren an den Außengrenzen der Bundesrepublik, die Frage, ob man überhaupt die Bundesrepublik zernieren soll, mit anderen Worten schließen soll gegenüber den Flüchtlingstrecks. Da sind die eigentlichen Auseinandersetzungen. Aber da sind auch noch, sagen wir, kurzfristig bestimmte Kompromisse denkbar, die heute Abend vielleicht geschlossen werden, damit das Asylpaket II wenigstens durchkommt.
    "Das Hauptproblem von Angela Merkels Kurs"
    Dobovisek: Ansonsten stehen beide ziemlich gemeinsam einsam da in der Europäischen Union, denn viele Unterstützer gibt es nicht mehr um uns herum.
    Falter: Das ist ja das Hauptproblem von Angela Merkels Kurs. Sie hat sich damit vollständig in die Hand anderer begeben. Sie kann relativ wenig Einfluss ausüben. Sie ist sozusagen auf das Wohlwollen, auf ihre starken Argumente angewiesen, und wenn die anderen nicht mitmachen wollen, dann scheitert ihre Strategie. Dann wäre sie gezwungen, am Ende doch eine innenpolitische Strategie zu fahren, die nur bestehen kann darin, dass sie dann sich über das eine oder andere Recht hinwegsetzt und die Grenzen bei uns zumacht, oder zumindest sie sehr stark kontrolliert. Das wäre ein Eingeständnis des Scheiterns ihrer Politik und dann würde ich erwarten, dass Angela Merkel am Ende des Jahres nicht mehr im Amt ist.
    Dobovisek: Wird Angela Merkel zumindest ihr "Wir schaffen das"-Mantra bis zum Sommer revidieren müssen?
    Falter: Ich glaube, sie wird es nicht durchhalten, wenn die europäischen Partner nicht mitmachen, und es sieht nichts danach aus, dass sie wirklich mitmachen. Niemand ist bereit, in ähnlichem Maße wie wir Flüchtlingskontingente aufzunehmen, die beispielsweise an Fläche und Bevölkerung orientiert sind. Das würde ja bedeuten, dass Frankreich dann auch fast eine Million aufnehmen müsste und dass Polen beispielsweise eine halbe Million aufnehmen müsste, und und und.
    Dobovisek: Wir sehen, wenn Sie sagen, das Außenpolitische, das Internationale ist mehr oder weniger momentan noch das einzige, das beide miteinander verbindet, und da stehen sie in der Tat sehr einsam da. Wie soll es dann weitergehen?
    Falter: Ja, das ist die ganz große Frage, und die CSU hat bereits eine Antwort gegeben, nämlich die der Obergrenzen und die Grenzen mehr oder minder zuzumachen. Die SPD gibt eine andere Antwort, weiter so mit Merkel zusammen. Aber wenn das scheitert, werden alle Parteien vor der Frage stehen, was ist der Plan B, was ist dann zu tun, denn es ist allen klar, dass sie gegenüber der Bevölkerung und der öffentlichen Meinung nicht durchsetzen können, dass noch einmal, sagen wir, dieses Jahr anderthalb Millionen, nächstes Jahr noch mal eine Million zusätzliche Flüchtlinge ins Land kommen. Das würde unsere Gesellschaft auch praktisch nicht bewältigen, was die Integration angeht.
    Dobovisek: Stichwort Plan B. Es gibt ja auch einen Plan A2. Da sind wir ganz schnell bei den Landtagswahlen, also wieder in der Innenpolitik. Welche Rolle werden die Landtagswahlen jetzt spielen für die Kanzlerin, für die Koalition, für ihre Flüchtlingspolitik?
    Falter: Angela Merkel kann sogar, wenn sie Glück hat, eine gewisse Entlastung von den Landtagswahlen erwarten, denn wenn die AfD zweistellig in die Parlamente einzieht - das wird sie mit Sicherheit in Sachsen-Anhalt tun, mit ziemlicher Sicherheit in Baden-Württemberg, vielleicht hoch einstellig in Rheinland-Pfalz nach heutigem Stand, und es geht ja noch um sechs weitere Wochen -, wenn das der Fall sein wird, dann wird kaum eine Koalition gegen die Union zu schließen sein, gegen die CDU, und dann könnte es sein, dass tatsächlich sowohl Baden-Württemberg als auch Rheinland-Pfalz wieder, was das Ministerpräsidentenamt angeht, in CDU-Hand sind, dass wir weitere Große Koalitionen bekommen. Angela Merkel hätte eine gewisse Entlastung auf dieser Ebene, aber das Gesamtproblem würde dadurch natürlich in gar keiner Weise gelöst.
    "Die AfD könnte politisch-taktisch ganz ungewollt Angela Merkel helfen"
    Dobovisek: Hilft die AfD am Ende Angela Merkel?
    Falter: Die AfD könnte politisch-taktisch ganz ungewollt Angela Merkel helfen, auch wenn Angela Merkel sich möglicherweise bedanken würde für diese Hilfe, aber das ist das Szenario, von dem wir im Augenblick mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgehen müssen.
    Dobovisek: Nun scheint es aber im Moment fast so, als wünschte sich München eine Wahlschlappe der CDU bei den anstehenden Landtagswahlen, um die Kanzlerin zu schwächen.
    Falter: Die Wahlschlappe wird ja stattfinden. Die CDU muss ja stärkere Rückgänge hinnehmen. Sie ist ja bundespolitisch in der Zwischenzeit so etwa bei 35 Prozent angelangt; vor Kurzem waren es noch 41 Prozent. In den Ländern, in denen gewählt wird, sieht es nicht viel besser aus. Das heißt, eine Wahlschlappe wird es geben, aber diese Wahlschlappe muss nicht unbedingt in einer Regierungsniederlage münden, sondern kann wie gesagt zwei neue Ministerpräsidenten der CDU schaffen, und damit könnte Angela Merkel sagen, jetzt haben wir wieder ein bisschen Luft gewonnen. Aber bis zum Sommer hält das kaum an.
    Dobovisek: Der Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen Falter bei uns im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen, Herr Falter.
    Falter: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.