Eine Einigung der Bundesregierung wäre im Vorfeld der UNO-Klimakonferenz in Marrakesch ein wichtiges Signal gewesen, sagte Lucht. Er habe den Eindruck, dass die Dramatik des Klimawandels vielen Menschen bewusst sei, aber die Konsequenzen verdrängt werden. "Es muss ein Aufwachen durch die Länder gehen. Wir müssen zukunftsfähige Lebensweisen etablieren, und das geht nicht mit den Methoden des 20. Jahrhunderts."
Der Ausstieg aus der Kohle sei unvermeidlich, Gas dürfe zudem nicht der Ersatz werden. "Man muss das heute feststellen, damit das vorbereitet wird. Das Ziel muss hundert Prozent Erneuerbare sein", sagte Lucht. "Das Klima wartet nicht. Die Zeit läuft weg."
Das Interview in voller Länge:
Ann-Kathrin Büüsker: Ein Machtwort, das hat Bundesumweltministerin Barbara Hendricks von der Bundeskanzlerin gefordert, und zwar in Sachen Klimaschutz. Die Bundesregierung hat nach wie vor kein klares Konzept, und das, obwohl morgen das Pariser Klimaabkommen in Kraft tritt und nächste Woche Klimakonferenz im marokkanischen Marrakesch ist.
Das könnte ziemlich peinlich werden, wenn Deutschland da tatsächlich ohne klare Pläne ankäme. Gestern hätte das Kabinett eigentlich entscheiden sollen, aber es gibt Ärger von Seiten des Landwirtschaftsressorts, des Wirtschaftsressorts und aus dem Verkehrsministerium. Trotzdem strebt die Kanzlerin eine Einigung für die kommende Woche an. - Am Telefon ist Wolfgang Lucht vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung* und Mitglied des Sachverständigenrates für Umweltfragen. Guten Morgen, Herr Lucht.
Wolfgang Lucht: Schönen guten Morgen.
Büüsker: Herr Lucht, wie wichtig ist das, dass Deutschland tatsächlich mit ganz konkreten Plänen nach Marrakesch fährt?
Lucht: Es wäre schon ein relativ wichtiges Signal gewesen, weil es in Marrakesch ja darum geht, dass die Staaten der Welt erklären, wie sie das, was in Paris beschlossen wurde, konkret umsetzen wollen. Und da ist es natürlich sehr gut, wenn man da mit klar definierten und aufgeschriebenen Vorstellungen hinkommt. Ansonsten ist es natürlich wichtig, wenn es diese Woche nicht gelungen ist, dass es dann so schnell als möglich danach gelingt, denn es ist einfach zu wichtig, um es auf die lange Bank zu schieben. Aber man sieht, dass die Widerstände doch auch nach wie vor erheblich sind.
"Das Dumme ist aus klimawissenschaftlicher Sicht, dass uns die Zeit wegläuft."
Büüsker: Sie sagen, jetzt ist es sehr wichtig. Warum war die Bundesregierung dann bisher nicht in der Lage, sich darauf zu einigen? Fehlt es da am richtigen Willen für Klimaschutz?
Lucht: Man hat schon auch den Eindruck, dass die Dramatik des Klimawandels zwar zunehmend bewusst ist, aber die Konsequenzen aus dem, was da notwendig ist, immer noch verdrängt werden. Irgendwie muss immer noch mal ein bisschen ein Aufwachen bezüglich dessen, wie das 21. Jahrhundert gestaltet werden sollte, durch die Länder der Welt gehen, und das ist auch bei uns so. Es gibt viele Fortschritte, es gibt viele Bemühungen, aber dass es darum geht, eine zukunftsfähige Lebensweise zu etablieren, die Wohlstand für ein Land wie Deutschland in die Zukunft sichert, und dass das nicht mit den Methoden des 20. Jahrhunderts geht.
Das ist immer noch ein Lernprozess offensichtlich. Das Dumme ist aus klimawissenschaftlicher Sicht, dass uns die Zeit wegläuft. Das Klima wartet nicht. Es ist also nicht ein Problem, das man immer so vor sich herschieben kann, und da sind jetzt einfach die nächsten Schritte dran und genau darum geht es jetzt in Marrakesch, und deswegen ist es schade, wenn selbst bei denen, die sich als Vorreiter verstehen, da die Schwierigkeiten, das zu konturieren, so sichtbar sind.
Büüsker: Was müsste denn aus Ihrer Sicht passieren in Deutschland, um zum Klimaschutz beizutragen? Ganz konkrete Maßnahmen vielleicht?
"Das Ziel muss 100 Prozent Erneuerbare sein"
Lucht: Nun ja, ganz klar ist, dass man aussprechen sollte - und das ist das, was aus der Sicht die Klimawissenschaft die notwendige Konsequenz aus Paris ist -, dass der Ausstieg aus der Kohle unvermeidlich ist, und das muss dann nicht in zwölf Monaten geschehen, sondern das kann über einen Zeitraum geschehen. Aber man muss das heute feststellen, damit es die Zeit gibt, sich darauf vorzubereiten, was das bedeutet für die soziale Abfederung, für Perspektiven für die betreffenden Regionen. Aber das muss ausgesprochen werden.
Das nächste ist, dass es natürlich bei der Kohle nicht aufhört, sondern nach der Kohle kommt irgendwann auch das Gas. Man kann jetzt nicht von der Kohle aufs Gas gehen und dann kommt man vom Gas nicht mehr runter, weil die ganzen Investitionen getätigt wurden, sondern das Ziel muss 100 Prozent Erneuerbare sein für die Stromerzeugung und danach kommen natürlich gleich genau die Sektoren, die Sie anfangs erwähnt hatten.
Der Verbrennungsmotor ist ein Auslaufmodell. Wir müssen uns als Land überlegen, ab wann das der Fall sein soll, damit Druck entsteht hin auf die besseren Alternativen, die ja im Übrigen auch sonst viele Vorteile haben. Gesundheit, der Verkehr erstickt ja unsere Städte, da ist viel zu gewinnen, wenn man da eine Wende einleitet. Und der Gebäudesektor ist sehr wichtig und natürlich die Landwirtschaft.
In allen diesen Fällen sagt Frau Hendricks klar, es kann nicht so weitergehen wie bisher, wir müssen Land gewinnen in Richtung auf eine schönere Zukunft und auch auf eine wirtschaftlich dynamischere Zukunft, durch neue Technologien und durch neue Bewegungen, und diese Wende muss angepackt werden und da hat man offensichtlich noch große Schwierigkeiten in den betroffenen Sektoren, sich dem anzuschließen.
"Es geht darum, Deutschland zu modernisieren"
Büüsker: Lassen Sie uns noch mal auf einen Sektor gucken, nämlich die Verkehrspolitik. Es gab ja vor kurzem einen Bundesratsvorschlag, ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos zuzulassen. Wäre das aus Ihrer Sicht ein sinnvoller Ansatz?
Lucht: Ich bin Erdsystem-Wissenschaftler. Aus Sicht der Klimawissenschaft ist das eine notwendige Konsequenz und man kann sich schon mal fragen, ob Verbrennungsmotoren nicht auch veraltete Technologie sind. Und das sind ja auch wieder Dinge, die nicht in zwei Jahren umgesetzt werden müssen, sondern es ist eine Perspektive nach 2030, 2040 bis 2050.
Deswegen muss man aber ganz klare Marken setzen und sich auch politisch heute dazu bekennen, wann diese Dinge kommen werden, so dass man auch genügend Zeitraum hat, auch die Dynamik zu entfalten, die Systeme umzustellen, denn da geht es um eine große Transformation. Aber das ist in der Geschichte immer so. Länder bleiben nicht da stehen wo sie sind, sondern alle 50 Jahre ist man in einem neuen Spiel und es geht darum, Deutschland zu modernisieren, zu erneuern und mit diesen neuen Chancen wieder vorne mit dabei zu sein. Das geschieht nämlich zunehmend auch in anderen Teilen der Welt und da wäre es gut, wenn Deutschland mit zu den Führern gehört.
Dazu muss man diese Sektoren aber anschauen was im Moment noch strittig ist bei denjenigen, die dort die Verantwortung tragen. Da muss man Frau Hendricks aus Sicht der Klimawissenschaft ganz klar den Rücken stärken, denn es ist wissenschaftlich gut begründet, was sie vorschlägt. Das ist nicht nur eine politische Perspektive, das ist wissenschaftlich gesehen eine gut begründete Notwendigkeit.
"Das Erdsystem ist nicht so robust, wie häufig gedacht wird"
Büüsker: Es muss einiges passieren. Aber was passiert, wenn das nicht passiert? Was erwartet uns dann in Deutschland für ein Klima?
Lucht: Es geht nicht nur um das Klima in Deutschland, sondern in der ganzen Welt. In dem Sinne sind wir auch betroffen, weil die Welt ja zunehmend miteinander zusammenhängt und wir global agieren.
Büüsker: Natürlich! Aber das, was vor der eigenen Haustür liegt, das betrifft die Menschen ja am meisten. Das kriegt sie vielleicht auch eher, um sie zu überzeugen.
Lucht: Ja! Und auch bei uns wird sich das Klima stark verändern. Wir sehen schon jetzt, dass die Perioden mit extremen Wetterlagen in den letzten 15 Jahren viel häufiger vorkommen als früher. Das hat mit Phänomenen in den Strömungen der Atmosphäre zu tun. Es gibt Hinweise darauf, dass der Energietransport des Nordatlantik sich verändert, wovon unser Klima sehr stark abhängt.
Das Erdsystem ist nicht so robust, wie häufig gedacht wird, sondern wir hatten das Geschenk eines relativ stabilen Klimas in den letzten Jahrtausenden und wir sind gerade dabei, einige der großen Hebel zu bewegen, und da werden sich große Dinge verschieben, so dass dann wir ganz andere Wetterlagen bekommen werden, und das hat Auswirkungen auf die Vegetation, auf die Landschaft und auf die allgemeinen Lebensbedingungen und das weltweit. Das ist ein sehr ernster Zustand und noch ist ein kleines Fenster offen, das abzuwenden, zumindest abzufedern, aber der Zeitraum, in dem das gelingen kann, wird immer enger.
"Ich denke schon, dass ein großer Umschwung kommen kann."
Büüsker: Wie optimistisch sind Sie denn mit Blick auf die Zukunft des Klimas?
Lucht: Ich bin eigentlich schon noch optimistisch, denn es bringt überhaupt nichts, pessimistisch zu sein, bevor tatsächlich es nicht mehr möglich ist, und selbst dann wäre es immer noch wichtig, die Schäden so stark zu begrenzen, wie es möglich ist. Zu handeln ist in jedem Fall richtig. Aber ich denke schon noch, dass ein großer Umschwung kommen kann. Es gibt überall die Dynamik, dass Finanzinvestitionen abgezogen werden aus dem fossilen Sektor, einfach weil klar ist, er wird zu Ende gehen.
Das haben viele nur noch nicht gemerkt und das setzt sich doch mehr und mehr durch. Ich glaube auch, dass die Bevölkerung der Erde sich nicht mehr beliebig jetzige Strukturen bezüglich der Gerechtigkeits- und Verteilungsfragen wird bieten lassen. Insofern wird es ohnehin zu Veränderungen kommen und die zu gestalten im Sinne von neuer Zukunftsfähigkeit, das ist eine Chance, wo man nicht sagen darf, das ist sowieso alles zu spät. Das ist eine verbreitete Haltung zu sagen, das gelingt alles ohnehin nicht, aber das heißt die Flinte ins Korn schmeißen, bevor man es überhaupt probiert hat.
Büüsker: … sagt Wolfgang Lucht vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung*. Ich danke Ihnen ganz herzlich für Ihre Einschätzungen heute Morgen im Deutschlandfunk.
Lucht: Sehr gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
* Anmerkung der Redaktion: In der Sendung und der Audio-Fassung wurde das Institut versehentlich falsch benannt. Im Text wurde das korrigiert.