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Streit über Mindestlohn
"Es wird keine Ausnahme geben"

Die SPD hat die Kritik der Gewerkschaften am geplanten Mindestlohn zurückgewiesen. Diese sei überzogen und gehe an der Sache vorbei, sagte die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Carola Reimann, im DLF. Nach Ansicht des DGB haben mächtige Lobbygruppen das Mindestlohngesetz mit Sonderregeln durchlöchert.

Carola Reimann im Gespräch mit Peter Kapern |
    Der Gewerkschaftsbund demonstrierte am Dienstag für den Mindestlohn.
    Einen Mindestlohn ohne Ausnahmen fordern die Gewerkschaften - den will auch die SPD. (dpa / picture-alliance / Bernd von Jutrczenka)
    Reimann betonte, bei den Ausnahmen für Zeitungszusteller und Saisonarbeiter gehe es um Übergangsregelungen, die bereits im Koalitionsvertrag mit der Union vereinbart worden seien. Ab 2017 gelte der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro auch für diese Gruppen. "Es wird einen generellen, übergreifenden Mindestlohn geben", versicherte Reimann. Es gebe einen neuen "Fairnessstandard".
    Die SPD-Politikerin räumte ein, dass sie die Ausnahme der Langzeitarbeitslosen auch skeptisch sehe. Sie verwies darauf, dass man in einer Koalition auch Zugeständnisse machen müsse.

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Im Moment tagt der Ausschuss für Arbeit und Soziales des Bundestages. Auf der Tagesordnung eine Expertenanhörung über den Mindestlohn. Der soll noch diese Woche vom Bundestag verabschiedet werden. 8,50 Euro für jeden, der arbeitet. Na ja, nicht so wirklich. Es wird Ausnahmen geben, für Praktikanten etwa, für Zeitungsboten, für Erntehelfer, Ausnahmen, die zu drastischer Kritik führen. Dass die Linkspartei die SPD wegen dieser Ausnahmen attackiert, das kann man vielleicht noch in der journalistischen Kategorie "Hund beißt Mann" verbuchen. Aber die brachiale Kritik aus den Reihen der Gewerkschaften dürfte die Sozialdemokratie schon schmerzen.
    Mitgehört hat Carola Reimann, die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, die für uns kurz die Bundestagsanhörung zum Mindestlohn verlassen hat. Frau Reimann, guten Tag und danke dafür.
    Carola Reimann: Hallo, Herr Kapern.
    Kapern: Wenn ein mächtiger Gewerkschaftsvorsitzender, nämlich Verdi-Chef Frank Bsirske, der SPD beim Thema Mindestlohn eine massive Wählertäuschung vorwirft, trifft Sie das?
    Reimann: Da ist der Kollege Bsirske sehr über das Ziel hinausgeschossen. Ich halte die aktuelle Kritik für absolut überzogen und sie geht auch an der Sache vorbei. Worüber wir ja jetzt heute reden, ist nicht um neue Ausnahmen. Das ist auch hier in der Anhörung noch mal sehr deutlich geworden. Es geht um die Details für die Übergänge, und die Übergänge waren, dass wir zwei Jahre einen Übergang gestatten. Das war im Koalitionsvertrag verabredet.
    Kapern: Aber auch der DGB-Chef Hoffmann sagt, er werde bis zur letzten Stunde gegen alle Ausnahmen kämpfen. Gibt Ihnen das zu denken?
    Reimann: Das kann ich nachvollziehen. Auch uns Sozialdemokraten gefällt die Ausnahme der Langzeitarbeitslosen nicht. Aber wir müssen in einer Großen Koalition dann auch zu gemeinsamen Lösungen kommen, und so gibt es nur zwei Ausnahmen und es gibt keine Branchenausnahme. Darauf lege ich großen Wert und darauf haben wir großen Wert gelegt, und das ist auch Verdienst dieses intensiven Branchendialogs, der im Ministerium geführt worden ist. Da ist ja seit Karneval intensiv mit allen Branchen das Gespräch gesucht worden und vielen ist ja auch da auf dem Weg zu einem Vertrag geholfen worden.
    Allein die Zeitungsverleger haben das nicht aus eigener Kraft geschafft und da wird jetzt das, was andere Branchen für sich in Tarifvertragsverhandlungen herausbekommen haben, letztendlich nachvollzogen. Also keine Ausnahme, sondern auch die haben einen Übergang und auch Zeitungsausträger kriegen 8,50 in 2017.
    "Generelle Kritik muss ich zurückweisen"
    Kapern: Klingt so ein bisschen, Frau Reimann, als gäbe es in Deutschland zwei Mindestlohngesetze, eines, über das Sie reden, und eines, von dem Frank Bsirske spricht. Der sagt, dass mehrere Millionen Arbeitnehmer vom Mindestlohn nicht profitieren würden.
    Reimann: Ja, diese Zahl ist auch wirklich nicht haltbar. Die ist nicht seriös zu fundieren. Wir haben keine drei Millionen Langzeitarbeitslose, auch keine drei Millionen Praktikanten. Wir haben nur zwei Ausnahmen und ich finde, da haben wir sehr lebenspraktische Regelungen gefunden, insbesondere zum Beispiel bei den Praktikanten. Da war uns wichtig, dass es da auch eine Schriftform gibt, dass es den nur zur Berufsorientierung und zur Qualifizierung geben darf, dass diese Generation Praktikum, die wir lange Jahre erleben mussten, wo gut ausgebildete, voll ausgebildete Leute ausgenutzt worden sind und ausgebeutet worden sind, das wird der Vergangenheit angehören.
    Kapern: Ich habe ja schon an die Stimmen von Frank Bsirske und DGB-Chef Hoffmann erinnert. Sigmar Gabriel, der Parteivorsitzende der SPD, hat ja jahrelang versucht, wieder zu einem Schulterschluss mit den Gewerkschaften zu kommen. Wenn Sie jetzt diese Kritik, diese massive Kritik an diesem so wesentlichen, für Ihre Partei so wesentlichen Gesetzentwurf hören, muss man dann sagen, dass Gabriels Versöhnungsversuche für die Katz waren?
    Reimann: Jetzt wird immer betont, wenn Kritik von Gewerkschaftsseite geäußert worden ist – ich komme jetzt gerade aus der Anhörung, wo der DGB-Chef auf die Frage, wie er dieses Gesetz findet und wie das sich auswirken wird, was seine Prognose ist, da hat Hoffman drauf gesagt, dass die Tarifautonomie schon jetzt gestärkt ist und schon jetzt das in Arbeit befindliche Mindestlohngesetz deutliche Erfolge gezeigt hat, zum Beispiel indem man zu Tarifen gekommen ist bei Friseuren und Fleischern.
    Kapern: Das heißt, die Äußerungen von Bsirske und Hoffmann sind nur Poltereien fürs Schaufenster?
    Reimann: Ich nehme denen sehr ab, dass sie sich bei den Ausnahmen, was die Praktikanten und was auch vor allen Dingen die Langzeitarbeitslosen angeht – und da deckt sich ja unsere Haltung -, dass sie da nicht einverstanden sind. Aber diese generelle Kritik, die muss ich zurückweisen, weil es wird einen wirklich übergreifenden systematischen Mindestlohn geben und es wird auch wirklich eine Lohnerhöhung für ganz, ganz viele, für Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern geben, die kräftigste übrigens seit vielen Jahren, und das wird auch wirklich ein neuer Fairness-Standard werden.
    Kapern: Übergreifend und systematisch ist nicht flächendeckend, und das war es ja, was die SPD versprochen hat.
    Reimann: Doch, es ist flächendeckend, weil es gibt keine einzige Branche, die ausgenommen ist. Es gibt – und das war im Koalitionsvertrag von Anfang an verabredet – eine Möglichkeit, und das war mit den Gewerkschaften im Übrigen eng abgestimmt, dass es zwei Jahre Übergangsfrist gibt, und diese zwei Jahre sollten auch genutzt werden. Deswegen auch dieser intensive Branchendialog. Der wird jetzt genutzt und der wird für die Zeitungsverleger genutzt, der wird aber auch für andere Branchen genutzt, sodass es keine Ausnahme vom Mindestlohn geben wird für keine Branche.
    Keine Ausnahmen, die ins Gewicht fallen
    Kapern: Linke-Chef Bernd Riexinger, der wirft der SPD Betrug an den Wählern vor. Sind damit alle rot-roten Entspannungsübungen obsolet?
    Reimann: Herr Riexinger kann da seine Meinung haben. Ich sage, es gibt einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50, und den gibt es ab 2017 und für die aller-allermeisten schon ab 2015. Heute ist noch mal darüber gesprochen worden, ob man die erste Erhöhung dann vorziehen kann. Das alles sind Dinge, die letzten Details, die wir jetzt im fachlichen Bereich noch klären.
    Kapern: Bernd Riexinger hält den Mindestlohn, so wie er da gerade entworfen worden ist, auch für verfassungswidrig. Wie groß ist die Gefahr, dass Karlsruhe der Bundesregierung das Gesetz zur Nachbesserung zurückschickt?
    Reimann: Das kann ich gar nicht nachvollziehen, weil es wirklich keine Ausnahmen gibt, die da an der Stelle ins Gewicht fallen.
    Kapern: Jetzt haben wir darüber gesprochen, wie sich die Kritik aus der Linkspartei und aus den Gewerkschaften darstellt. Aber massive Kritik gibt es ja auch innerhalb der SPD, innerhalb Ihrer Partei. Der Chef der Arbeitsgruppe für Arbeitnehmerfragen, Klaus Barthel, lehnt die jüngsten Vereinbarungen über Ausnahmen beim Mindestlohn von der vergangenen Woche ab. Bahnt sich da eine neue Zerreißprobe innerhalb der SPD an, etwa wie bei der Agenda 2010?
    Reimann: Nein, das sehe ich nicht, weil die letzten Verabredungen sind schon auf der Basis dessen gewesen, was vorher schon vorgelegen hat. Es gibt eine Präzisierung in der Tat für die Saisonarbeiter und auch noch mal für die Praktikanten, wo zum Beispiel die Schriftform vorgeschrieben ist und wo man drei Monate vorsieht. Das sind alles Details, aber das ist in der Grundanlage schon mit dem Gesetz gegeben gewesen und dem haben alle zugestimmt.
    Kapern: Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Carola Reimann, heute Mittag im Deutschlandfunk. Frau Reimann, danke, dass Sie für uns aus der Anhörung herausgekommen sind. Danke Ihnen für das Gespräch!
    Reimann: Sehr gerne. Da gehe ich jetzt wieder hin.
    Kapern: Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag. Tschüss!
    Reimann: Tschüss, Herr Kapern.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.