Dirk Müller: Neue Zahlen des Bundesumweltamtes verdeutlichen die Dimension des Problems. Die Vorwürfe sind massiv. Es werden offenbar viel mehr Stickoxide in die Luft geschleudert, als bisher angegeben, wieder einmal auch in einer Dimension, was die meisten gar nicht für vorstellbar gehalten haben, eben nach Dieselgate und nach den vermeintlichen Konsequenzen. Sind sie jemals gezogen worden? Das ist eine Frage, die heute Morgen auch in den Medien immer wieder gestellt wird.
Bei uns am Telefon ist nun Automobilexperte Professor Stefan Bratzel von der FH für Wirtschaft in Bergisch-Gladbach. Guten Tag!
Stefan Bratzel: Schönen guten Tag!
Müller: Herr Bratzel, kann das alles sein?
Bratzel: Es ist schwer nachzuvollziehen für die Öffentlichkeit, aber auch die, die sich länger damit beschäftigen. Wenn man so will, hat man sich in einen riesen, wenn man es so salopp formulieren will, Schlamassel hineinmanövriert, aus dem man jetzt wirklich schwer wieder rauskommt.
Müller: Ist der Schlamassel Betrug?
Bratzel: Das müssen am Ende Gerichte beantworten. Mag es möglicherweise noch legal sein, was man gemacht hat? Es ist zumindest illegitim gewesen, im Labor die Grenzwerte einzuhalten und in der Realität eine dermaßen starke Abweichung zu haben. Das war auf jeden Fall illegitim und dieses Handeln fällt jetzt vor die Füße.
Müller: Sie sagen, Herr Bratzel, ganz bewusst illegitim. Ich habe gefragt, ist das legal? Wäre das nicht noch schlimmer, wenn es legal wäre?
Bratzel: Na gut, vielleicht ist das noch schlimmer. Ich weiß es nicht. Es gab bestimmte Gesetze, die wurden gemacht. Und die Automobilhersteller sind zumindest an den Rand des gesetzlich Erlaubten gegangen. So sieht es im Moment aus. Manche sind wohl drübergegangen, das wird man dann noch diskutieren müssen. Fakt ist jedenfalls, dass in diesem Spiel auch die Politik mit dabei war. Und das ist jetzt auch Teil des Problems, was wir haben.
Müller: Was meinen Sie mit "dabei war"? Sie haben das Ganze unterstützt?
Bratzel: Es gab, ich würde es nennen, eine Kultur des Wegschauens über Jahre. Es war ja natürlich bekannt, dass in der Realität die Grenzwerte nicht eingehalten werden, sogar es starke Abweichungen gibt. Und da hat man einfach drüber hinweggesehen und ist dem nicht nachgegangen. Es gab Umweltgruppen, die immer wieder darauf hingewiesen haben. Das hat man geschehen lassen. Und jetzt hat sich so ein eigendynamischer Prozess in Gang gesetzt, sodass am Ende dieses Nichthandeln schon auch ein Stück weit dazu geführt hat, dass jetzt auf gerichtlicher Ebene, auf Ebene der Kommunen gehandelt wird. Dass Fahrverbote im Gespräch sind, was natürlich eine große Verunsicherung auch der Dieselfahrer im Moment ausgelöst hat.
Müller: Sie sagen, eine Kultur des Wegschauens. Wer ist denn der Kulturchef des Wegschauens?
Bratzel: Ich glaube, dass man das nicht auf eine einzelne Person zurückführen kann. Das ist ja ein Prozess, der über viele Jahre stattgefunden hat. Und natürlich waren vielleicht die Beziehungen zwischen Verkehrsministerium und Automobilindustrie ein Stück weit zu eng. Wobei ich nicht sagen will, dass man nicht zusammen reden darf. Ich glaube, man muss in einer so wichtigen Industrie natürlich zusammen sprechen. Aber klar ist auch, dass wirtschaftliche Interessen nicht vor Gesundheitsschutz gestellt werden dürfen und entsprechende gesetzliche Regelungen dann nicht eingehalten werden.
Müller: Herr Bratzel, reden wir über den aktuellen Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU)? Gehört der mit dazu?
"Dobrindt ist zumindest nicht Teil der Lösung"
Bratzel: Der ist zumindest nicht Teil der Lösung in den letzten Monaten gewesen. Er hat schon auch einige positive Aspekte in Gang gesetzt. Es gab einige Untersuchungen, die zu sehr zwiespältigen Ergebnissen geführt haben. Es gab das Nachhaken beispielsweise auch bei anderen Herstellern wie beispielsweise Fiat, die ja auch extreme Abweichungen gezeigt haben. Nur am Ende fragt man sich natürlich, wie geht es jetzt weiter? Und es wurde nach wie vor keine Lösung auf den Tisch gelegt, wie man es jetzt schafft, den Diesel sauber zu kriegen und die Luftqualität in den Städten möglichst schnell zu verbessern.
Müller: Haben Sie denn eine Erklärung dafür? Warum macht er nicht mehr Druck? Er ist ja Politiker und kein Industriemanager.
Bratzel: Ich glaube einfach, weil die Lösung relativ schwer jetzt zu finden ist.
Müller: Technisch?
Bratzel: Es gibt keine einfache technische Lösung. Man muss berücksichtigen, dass natürlich die Automobilindustrie auch zurecht eine sehr wichtige große Industrie ist, die nicht über alle Maßen belastet werden kann. Und ein Problem ist natürlich auch, dass man das ja in Recht und Gesetz irgendwann gießen muss. Das heißt, so schnell kann man jetzt auch keine Lösungen finden, die dann auch umsetzbar sind. Das was im Moment diskutiert wird, das Thema blaue Plakette für Euro-VI-Fahrzeuge, das ist ja nun gerade das Problem einer weiteren Symbolpolitik, wenn man das so umsetzen würde.
Sie haben ja gerade im Vorbericht auch noch mal bestätigt, dass eben auch die Euro-VI-Fahrzeuge der neuesten Generation ein Vielfaches in der Realität ausstoßen. Das heißt, auch eine solche blaue Plakette, die ja in der Diskussion ist, wäre reine Symbolpolitik und würde das Problem nicht lösen.
Müller: Sie haben sich, Herr Bratzel, in den vergangenen Jahren auch immer wieder detailliert mit der Wirtschafts- und Finanzlage der Automobilkonzerne beschäftigt, damit auseinandergesetzt. Sie haben es jetzt auch angedeutet: Es ist die Schlüsselindustrie in Deutschland. Immer wieder kommt dann bei solchen Dingen, wenn es um Restriktionen geht oder Veränderungen, die Diskussion auf, wir dürfen sie nicht zu sehr belasten. Vielleicht will das ja auch gar keiner. Aber eine Industrie, die doch über Jahre viele, viele, viele Milliarden verdient hat, hat die tatsächlich das Problem, jetzt zu investieren?
"Klare Vorgaben" wichtig
Bratzel: Ich glaube nicht, dass die Industrie jetzt das Problem hat zu investieren. Es sind Milliarden-Ausgaben, die sicherlich notwendig sind, um diesen Transformationsprozess auch Richtung erneuerbare Energien, Richtung Elektromobilität zu stemmen. Aber die deutschen Hersteller gehören zu den renditestärksten, zu den gewinnstärksten Unternehmen. Sie können das stemmen. Aber es braucht natürlich in diesem Prozess klare Vorgaben, die dann für alle gelten. Auch die deutschen Hersteller müssen sich ja im globalen Wettbewerb beweisen und für die darf es keine Sonderregelungen geben. Ich glaube, dass diese Vorgaben, wenn man die längerfristig ausrichtet, zum Beispiel Richtung erneuerbare Energien, Richtung Reduzierung von CO2, von Kohlendioxid, wenn die langfristig ausgerichtet sind, wenn die scharf sind, dann kann sich die deutsche Autoindustrie danach richten. Aber wenn ein Gefühl da ist, na ja, wer weiß, was in zwei, drei Jahren ist, vielleicht gibt es dann andere Regelungen im CO2-Bereich, dann fehlen die belastbaren Vorgaben und dann macht jeder was er denkt.
Müller: Jetzt bekomme ich schon Zeichen der Regie, dass wir zum Schluss kommen müssen. Trotzdem noch eine Frage: Bundesumweltamt oder Kraftfahrtbundesamt. Da geht es um die Frage, wer soll kontrollieren. Ist das wirklich wichtig?
Bratzel: Ich glaube nicht, dass es wichtig ist. Es muss doch am Ende ganz klar sein, dass die Politik, egal ob es das Kraftfahrtbundesamt ist oder das Umweltbundesamt ist, dass geltendes Gesetz eingehalten wird und dass das Thema Gesundheitsschutz im Vordergrund steht. Ich glaube, dass man das der Öffentlichkeit schwer kommunizieren kann, dass es im Grunde darum geht, wer nun kontrolliert. Es muss kontrolliert werden und am Ende muss sich der Bürger darauf verlassen können, dass das, was kontrolliert wird, auch stimmt. Und ob das die oder jene Behörde ist, ist aus meiner Sicht zweitrangig.
Müller: Vielen Dank an Professor Stefan Bratzel. Er ist Automobilexperte an der FH für Wirtschaft in Bergisch-Gladbach. Danke, dass Sie für uns Zeit gefunden haben.
Bratzel: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.