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Streit um Atomabkommen
Gabriel: Iran hat kein Interesse an schneller Eskalation

Die minimalen Reaktionen des Iran auf den maximalen Druck der USA zeigten, dass Teheran weiter auf den Erhalt des Atomabkommens hoffe, sagte Ex-Außenminister Sigmar Gabriel im Dlf. Die Europäer müssten jetzt schnell alles tun, um Handel mit dem Iran zu ermöglichen.

Sigmar Gabriel im Gespräch mit Christine Heuer | 09.05.2019
Sigmar Gabriel spricht auf einer Parteikonferenz und hebt den Zeigefinger.
Sigmar Gabriel, ehemaliger SPD-Vorsitzender (dpa/Friso Gentsch)
Christine Heuer: Wenn die USA eine Win-Lose-Situation schaffen wollen, wird Iran eine Lose-Lose-Situation schaffen. So hat es Teheran gestern angekündigt. Dort setzt man ein Jahr nach dem Ausstieg der USA nun auch Teile des Atomabkommens aus und stellt der EU ein Ultimatum: Wenn es euch nicht gelingt, binnen zwei Monaten die US-Sanktionen gegen uns zu umgehen, dann steigen wir ganz aus aus dem Abkommen. - Washington reagiert mit neuen Sanktionen. Donald Trump verkündet, jedes Land der Welt solle wissen, dass die Einfuhr iranischen Stahls und anderer Metalle nicht länger toleriert wird. Das war heute Nacht.
Europa gerät zwischen alle Stühle. Wir sprechen darüber mit dem früheren deutschen Außenminister Sigmar Gabriel von der SPD. Guten Morgen, Herr Gabriel.
Sigmar Gabriel: Guten Morgen, Frau Heuer.
"Militärischer Konflikt ist wahrscheinlicher geworden"
Heuer: Alle Welt macht sich Sorgen nach den Entwicklungen gestern. Wie sehr ist denn die Kriegsgefahr zwischen Iran und den USA aus Ihrer Sicht gestiegen?
Gabriel: Jedenfalls ist es so, dass militärische Konflikte denkbarer geworden sind. Ich würde jetzt nicht sagen, dass wir unmittelbar davorstehen, dass das losgeht. Aber es gibt in den USA Menschen, auch in der Politik rund um den Präsidenten, die das für möglich und denkbar halten. Es gibt allerdings sicher auch das Gegenteil. Noch ist das ein weiterer Schritt zur Eskalation. Aber ich glaube, es ist jetzt erst mal vernünftig, kühlen Kopf zu bewahren und nicht sofort über den Krieg zu reden. Aber man muss zugeben: Ein militärischer Konflikt ist wahrscheinlicher geworden.
Heuer: Kann es sein, dass der auch im Kalkül zumindest einiger Hardliner in Washington liegt?
Gabriel: Ja, das ist ganz sicher so, wobei der Iran, das muss man auch sagen, verhält sich ja derzeit auf maximalen Druck der USA mit minimalen Reaktionen. So beschreiben das auch amerikanische Analysten. Denn das, was der Iran jetzt beschlossen hat, lässt ja auch einen klaren Schluss zu: Dass der Iran nach wie vor die Hoffnung hat, dass das Atomabkommen erhalten bleiben kann. Es gibt im Iran Kräfte, die sagen, wir müssen kleine Schritte machen, damit das Abkommen nicht gänzlich gefährdet ist. Und vielleicht schaffen wir es ja bis zu den nächsten amerikanischen Präsidentschaftswahlen, um dann vielleicht in einer besseren Lage verhandeln zu können. Solche Stimmen gibt es im Iran auch und das zeigt, dass die Iraner zumindest jetzt nicht ein Interesse an einer schnellen Eskalation haben.
Heuer: Herr Gabriel, aber Teheran setzt den Europäern ein Ultimatum von nur 60 Tagen. In dieser Zeit wird kein neuer US-Präsident gewählt. Und wenn die EU bis dahin nicht die US-Sanktionen umgeht, sagt Teheran, dann war es das mit dem Abkommen.
Gabriel: Das Letzte sagt es nicht, sondern dann ist es möglich, dass der Iran weitere Schritte unternimmt. Ich sage auch nicht, dass das alles einfach ist. Um Gottes willen! Das was jetzt passiert, haben wir damals erklärt, dass das kommen wird, nachdem die Amerikaner aus dem Iran-Abkommen ausgestiegen sind, und zwar, obwohl die Internationale Atomenergiebehörde dem Iran bescheinigt hatte, sich strikt an das Abkommen zu halten. Das was jetzt passiert, ist vorhersehbar gewesen. Das haben wir alle gesagt, haben alle Europäer gesagt. Die Amerikaner haben es trotzdem gemacht. Und wir haben immer gesagt, ihr werdet kein Regime Change erleben. Die werden dem Druck standhalten und werden im Zweifel beginnen, auszusteigen.
Interview zum Iran-Abkommen:
Politikwissenschaftlerin Azadeh Zamirirad von der Stiftung Wissenschaft und Politik über die Entscheidung des iranischen Präsidenten
Das ist jetzt übrigens nicht nur so, dass sich das an die Europäische Union richtet. Wir verlieren ein bisschen den Blick darauf, dass, ehrlich gesagt, auch Russland und China ziemlich achselzuckend danebenstehen und nicht so richtig was gemacht haben.
Europa muss überschaubares Maß von Handel ermöglichen
Heuer: Aber die meint Teheran ja nicht. Es gab ja gestern gleich ein Treffen der Außenminister von Russland und dem Iran. Man muss schon den Eindruck gewinnen, dass dieses Ultimatum sehr deutlich an die europäischen Unterzeichnerstaaten gerichtet ist, an Deutschland, Frankreich und Großbritannien.
Gabriel: Glauben Sie mir: Die meinen genauso Russland und China. Wir sind für sie als Handelspartner und als politischer Druckpunkt natürlich von Bedeutung. Aber die Iraner sind sich schon darüber im Klaren, dass auch Russland und China mehr hätte machen können, um das Versprechen einzulösen, das ja lautet: Du verzichtest auf die Bombe und dafür beginnen wir mit Dir bessere Handels- und Wirtschaftsbeziehungen, weil die Lebensbedingungen im Iran vor allen Dingen für die jungen Leute so schlecht geworden sind.
Aber bleiben wir bei den Europäern. Ich war ja vor nicht allzu langer Zeit noch mal im Iran. Ich habe gesagt: Ihr dürft das nicht überschätzen, was bei uns möglich ist. Die deutschen Unternehmen brauchen für ihre Geschäfte Banken. Unsere Banken sind alle refinanziert am Ende in Dollar; bis zur letzten Sparkasse und Volksbank gibt es da Beziehungen. Die werden nicht in das Risiko gehen wollen, in Sekundärsanktionen der USA zu kommen. Ich meine, die USA haben es fertig gekriegt, die Finanzchefin von Huawei in Kanada festnehmen zu lassen. Weil man Huawei vorwirft, mit dem Iran Handel zu betreiben. Deswegen werden überhaupt keine deutschen Kreditinstitute das machen.
Und die Europäische Union hat sich eines nicht getraut: Das wäre ein Instrument, das man immer noch schaffen kann, eine eigene Institution zu schaffen, die mit Geld und nicht nur als Handelsplattform beginnt, mit dem Iran zumindest ein überschaubares Maß von Handel zu ermöglichen. Jedenfalls ist eins nötig: Europa muss sehr schnell eine gemeinsame Position finden, muss mit dem Iran verhandeln, aber muss ihm auch sagen, wo die Grenzen der Möglichkeiten sind. Es gab im Iran in den letzten Monaten oft auch die Wahrnehmung: Na ja, eigentlich wollen die das gleiche, die Amerikaner und die Europäer spielen nur Good Guy - Bad Guy und möchten den Eindruck erwecken, sie seien netter. In Wahrheit wollen die uns hier alle weg haben.
Iran erwartet kein gigantisches Geschäft
Heuer: Herr Gabriel, Entschuldigung! Lassen Sie uns noch mal einen Schritt zurückgehen. Sie sagen sehr zu Recht, die EU hat Iran ein Versprechen gegeben, dass es nämlich Handel geben wird, trotz der US-Sanktionen. Sie sagen gleichzeitig, Europa hatte Angst davor. Zeigt das nicht, dass die EU da ein unhaltbares Versprechen gegeben hat?
Gabriel: Ich habe das Versprechen nicht abgegeben.
Heuer: War das ein Fehler?
Gabriel: Nein, das nicht. Aber dann muss man bereit sein, Institutionen dafür zu schaffen. Was jetzt geschaffen worden ist, ist eine Handelsplattform, die allerdings auch noch nicht arbeitet. - Man wird nicht ein gigantisches Iran-Geschäft aufbauen können. Das erwartet übrigens der Iran auch nicht. Sondern man muss zumindest das, was man jetzt hat - das sind zwei, drei Milliarden Handelsvolumen -, halten oder etwas ausbauen. Das würde schon reichen. Aber auch das haben wir nicht geschafft, weil zu bestimmten finanziellen Schritten die Europäische Union jedenfalls bislang nicht bereit war, das zu tun.
Ich kann auch verstehen, warum da Sorgen existieren, nicht nur mit Blick auf die Amerikaner. Sondern es ist ja nicht so, dass der Iran ansonsten ein freundlicher Nachbar wäre. Sondern es gibt ja einen Grund, den Druck auf den Iran jedenfalls nicht vollständig wegzunehmen. Denn das Verhalten des Iran in der Region ist katastrophal. Die Menschenrechtslage ist katastrophal. Der Umgang mit Israel ist katastrophal. Wir haben nur immer gesagt: Nichts davon wird besser, wenn die die Atombombe bauen. Deshalb hat es diese Verabredung gegeben und wir müssen jetzt sehen: Was können wir schneller besser machen?
Europa muss sich unabhängiger vom Dollar machen
Heuer: Herr Gabriel, kann es sein, dass der Iran von Anfang an wusste, dass dieses Versprechen, das die Europäer gegeben haben, nur sehr schwer oder gar nicht zu halten sein würde? Und war das möglicherweise eine Steilvorlage dafür, dass nach den USA nun auch der Iran sagt, das funktioniert alles nicht, wir wollen das Abkommen nicht mehr?
Gabriel: Nein, das stimmt nicht. Und wir müssen auch mal aufhören, jetzt so zu tun, als seien wir Europäer das Problem. Das Problem ist, dass die Vereinigten Staaten von Amerika einen verabredeten, völkerrechtlich verbindlichen Vertrag ohne Grund verlassen haben. Weil es innenpolitisch in den USA gut ankam, weil es ein Wahlkampfthema ist und weil es ein tiefes Ressentiment der Amerikaner gegen den Iran gibt und der Iran auch Anlass für viele Kritik ist.
Die Europäer haben sich dem Iran - das hat, glaube ich, der Iran auch so gesehen - in vielen Fällen als Partner zur Verfügung gestellt. Aber wir haben mit den Sanktionen der USA sehr begrenzte Möglichkeiten, weil Europa in hoher Abhängigkeit vom Dollar ist. Das ist übrigens eine Lehre – wir reden ja gerade über Europawahlen: Wie machen wir den Euro stärker, damit er eine echte Alternativwährung ist? Davon sind wir derzeit weit entfernt. Aber das ist eine der Konsequenzen, die man hier ziehen muss.
Heuer: Auch das kriegen wir so schnell nicht hin. Nun sitzt Europa in diesem Konflikt zwischen allen Stühlen. Wie kommen wir da raus, und zwar schnell?
Gabriel: Es gibt nirgendwo auf der Welt für komplizierte Probleme schnelle Lösungen, und ich würde uns raten, auch nicht anzunehmen, dass der Iran schnell jetzt etwas weitermacht. Sondern wir müssen mit denen jetzt verhandeln, übrigens die Russen und die Chinesen auch. Was ich politisch übrigens auch ein Problem finde, dass die USA uns jetzt in ein gemeinsames Boot nicht etwa mit den USA, sondern mit Russland und China zwingen. Das ist auch schon keine besonders bequeme Rolle. Aber was anderes können wir gar nicht machen, um zu gucken, welche Möglichkeiten gibt es, dem Iran zu zeigen: Wir sind bereit, alles in unseren Möglichkeiten zu tun, damit es wirtschaftliche Kooperation gibt. Da gibt es ein paar mehr Möglichkeiten, als wir bisher genutzt haben, aber die werden nicht unendlich sein.
"Wir müssen das lernen, in der Welt eine Rolle zu spielen"
Heuer: Welche?
Gabriel: Ich habe schon mal gesagt: Wenn wir selber sagen würden, wir haben eine Finanzinstitution, die wir selbst finanzieren, die keine Währung im Dollar hat und die von uns aus ermöglicht, diese Handelsplattform zu unterstützen, so etwas könnte man machen. Das müssen aber die Europäer gemeinsam wollen. Vor allen Dingen müssen drei Länder zusammenhalten: Großbritannien, Frankreich und Deutschland.
Heuer: Die Unterzeichnerstaaten. - Herr Gabriel, ist die EU vielleicht einfach zu schwach, um eine richtige Rolle im Nahen Osten zu spielen? Muss man das nicht einfach mal anerkennen und sagen, alle Verhandlungen sind eigentlich nur Beiwerk, aber wir sind dann nicht die Player, die tatsächlich etwas bewegen können?
Gabriel: Was an dieser Nachricht ist jetzt neu? Das wissen wir alle. Das hat was damit zu tun, dass die Europäische Union, seit sie gegründet wurde, genau kein weltpolitischer Akteur sein sollte, sondern wir sollten uns raushalten. Und wir haben es uns bequem gemacht und fanden das auch gut. Für die schwierigen Themen hatten wir ein bisschen die Franzosen, die Briten und vor allen Dingen die Amerikaner. Und jetzt kommen wir in eine Welt, in der wir auf einmal erschrocken feststellen, Gott, das funktioniert ja gar nicht mehr so, und merken, wie schwach wir sind. Das heißt aber nicht, dass man das dabei lassen muss.
Emmanuel Macron, der französische Präsident hat vorgeschlagen, einen Europäischen Sicherheitsrat zu bilden. Selbst wenn die Briten ausscheiden, sollen sie dabei bleiben. Meine Frage ist: Warum antwortet die deutsche Bundesregierung eigentlich nicht darauf, warum machen wir das nicht? Wir müssen das lernen, in der Welt eine Rolle zu spielen. Dass wir derzeit keine spielen, das hat historische Gründe. Wir sollten das gar nicht. Aber das heißt ja nicht, dass das so bleiben muss.
"Wir brauchen Amerika"
Heuer: Welche Folgen hätte eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen Iran und den USA für Europa?
Gabriel: Darüber mag man ja gar nicht nachdenken, weil das natürlich ein unfassbarer Brandbeschleuniger in einer Region wäre, in der schon viel zu viel brennt. Und es ist ja kein Wunder, dass der amerikanische Außenminister in den Irak geflogen ist, denn der würde als erstes davon massiv betroffen sein. Es würde in der ganzen Region wirklich ein großer Konflikt ausbrechen. Und damit sind wir Europäer mittelbar betroffen durch all das, was dann an Flüchtlingen kommt, aber auch, was an Gefahren, an militärischen Gefahren kommt. Man kann sich gar nicht ausmalen, was das bedeuten würde. Deswegen ist es so wichtig, dass wir alles dafür tun, dass es genau dazu nicht kommt. Noch sind wir auch nicht davor. Wir stehen nicht an der unmittelbaren Schwelle eines Krieges.
Heuer: Herr Gabriel, ich habe in der Zeitung gelesen, das ist ja auch offiziell, Sie sind nominiert als neuer Vorsitzender der Atlantik-Brücke. Und deshalb in dieser kommenden Funktion für Sie auch die Frage: Können die Transatlantiker im Moment die USA unter Donald Trump, unter diesem Präsidenten nicht einfach abschreiben?
Gabriel: Wenn wir richtig dumm sind, dann machen wir das. Wenn wir in die Falle gehen zu sagen, wir wollen mit den Amerikanern nichts mehr zu tun haben. Es gibt doch auch ganz andere Kräfte in den USA. Wir haben eben über die Schwäche Europas gesprochen. Ich glaube nicht, dass Europa in der Lage ist, ohne die Vereinigten Staaten seine Rolle in der Welt zu verbessern. Davon halte ich gar nichts. Übrigens wenn wir das machen, wird es in Europa Leute geben, auch Staaten geben, die in der Sicherheitspolitik Deutschland und Frankreich nicht so richtig über den Weg trauen, zum Beispiel Polen und die Balten. Die würden sich noch stärker an die USA binden und das Ergebnis ist, wir spalten auch noch Europa.
Die transatlantischen Beziehungen sind anders, als sie bislang gewesen sind. Sie werden auch nie wieder so werden, wie sie mal waren. Aber sie müssen nicht so schlecht bleiben, wie sie sind. Wir sind die großen Gewinner der transatlantischen Beziehungen. Ich kann nur dringend raten, dass wir hier nicht in die Falle gehen und sagen, lasst Amerika links oder rechts liegen, wir machen das alles alleine. Das wird für uns noch viel schwieriger. Wir brauchen Amerika. Wir können nicht mit Donald Trump und wir können nicht ohne die USA. Das ist die Wahrheit.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.