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Streit um Ausstellungsstück
Lenin im Naturschutzgebiet

In Berlin sorgt eine 19 Meter hohe Lenin-Statue für Streit. Das Granitdenkmal, das nach dem Mauerfall in einem Waldstück versteckt wurde, soll Teil einer Ausstellung werden. Im vergangenen Vierteljahrhundert haben sich aber geschützte Tiere um den Star-Sozialisten versammelt. Tierschützer wollen, dass das so bleibt.

Von Jens Rosbach |
    Das Wohngebiet am Leninplatz wurde in der Zeit von 1968-70 errichtet. Das Lenindenkmal von Nikolai W. Tomski aus rotem ukrainischen Granit ist Dominante des Platzes.
    Das Lenindenkmal von Nikolai W. Tomski am ehemaligen Leninplatz in Ost-Berlin. (picture alliance / dpa / ZB / Hubert Link)
    Wladimir Iljitsch Lenin war nur 1,65 m groß. Aber die DDR ließ den Revoluzzer auf stolze 19 Meter anwachsen – als Berliner Granitdenkmal. Mit dem Mauerfall wurde die Statue zum "Stein des Anstoßes". Man riss sie ab und verbuddelte sie in einem Waldstück.
    "Wir sind an diesem Denkmal besonders interessiert, weil es ja doch eine große Symbolkraft hat. Diese Debatte gibt's ja sogar immer noch - immer noch aktuell."
    Andrea Theissen vom Kulturamt Berlin-Spandau möchte den steinernen Bolschewik in einer Ausstellung zeigen. Sie heißt "Enthüllt – Berlin und seine Denkmäler" und hinterfragt die Erinnerungskultur an der Spree über die Jahrhunderte. Dafür fordert Theissen Lenins Kopf. Dieses Fragment ist allein 1,70 Meter hoch.
    "Natürlich ist es deshalb besonders interessant, weil man so radikal versucht hat, die Erinnerung daran mit Erde zuzudecken."
    Die Historikerin plant bereits seit 2009 Lenins Ausgrabung. Doch immer wieder beißt sie dabei – buchstäblich - auf Granit.
    "Es ist auf jeden Fall ein Punkt gewesen, dass man in Unkenntnis unserer Konzeption gesagt hat: Jetzt wird wieder ein Diktator auf den Sockel gehoben. Also so ein Revival von Lenin – was ja überhaupt nicht in dem Zusammenhang unsere Absicht ist."
    Der jüngste Widerstand gegen den geplanten Bagger-Einsatz kommt von Naturschützern aus dem Berliner Bezirk Treptow-Köpenick, wo Wladimirs Abbild in 120 Teilen unter der Erde liegt. Denn hier hat eine geschützte Tierart ihr Zuhause: die Zauneidechse. Das weiß die grüne Bezirksverordnete Andrea Gerbode.
    Eidechsen haben sich in den Bruchteilen des Lenin-Denkmals eingenistet
    "Es war früher mal ein Heidegebiet und daher ist die Zauneidechse dorthin eingewandert und findet aufgrund dieser Strukturen in dieser ehemaligen Sandgrube ausgezeichnete Lebensbedingungen – und natürlich in diesen über 120 Teilen des ehemaligen Denkmals mit den Nischen kann man sich gut verstecken, Winterquartiere, aber auch Strukturen für Eiablage."
    Die Echsen müssen vor den Grabungsarbeiten vorsichtig vertrieben werden – vergrämt, wie es in der Biologen-Sprache heißt. Zudem gibt es ein Seeadler-Paar, das in nächster Nähe nisten – und durch Lenins Entblößung gestört werden könnte. Die Naturschutz-Argumente heizen die Emotionen um das DDR-Denkmal weiter an – was die Lokalpolitikerin aber in Kauf nimmt.
    "Die Emotionen können natürlich vielfältig hochkochen. Und sie können aufgrund einer Ausstellung hochkochen, aber sie können vielleicht auch hochkochen weil wir nur zwei Seeadler-Paare berlinweit haben. Und das hat auch etwas mit Emotionen zu tun."
    Gerbode will ihre Bezirksverordnetenversammlung dazu bringen, dass Lenin sein Haupt nicht vor Oktober hebt – damit die Eidechsen genug Zeit für ihren Umzug haben. Die Grüne hat - zusammen mit den Piraten - bereits einen entsprechenden Antrag durch den Umweltausschuss des Parlaments von Treptow und Köpenick gebracht, nächste Woche soll das Plenum über die Empfehlung entscheiden. Das Kulturamt in Berlin-Spandau ist darüber erbost. Denn Ausstellungsleiterin Andrea Theissen will die Reptilien schneller umsiedeln.
    "Dieser Oktober ist einfach schwierig für uns, weil wir doch im September spätestens eröffnen wollen und müssen. Und wir würden gern mit der kompletten Ausstellung eröffnen.
    Ärgern, ärgern und nochmals ärgern - heißt es für die Kuratorin. Denn sie hat bereits jahrelange Grabenkämpfe mit Landesdenkmalamt und Forstverwaltung hinter sich. Beide Einrichtungen fürchten sich nämlich vor Ostalgikern, Souvenirjägern und Vandalen, die immer wieder Lenins Nähe suchen. Petra Rohland von der übergeordneten Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung will, dass das Versteck des monumentalen Russen geheim bleibt.
    Streit um Lenin-Statue wird zum Politikum
    "Wir wollen da keine Pilgerstätte haben. Und trotzdem scheint es einige zu geben, die wissen, wo er liegt. Weil als wir das das letzte Mal besichtigt haben, fanden wir mit Backsteinen gelegt: Lenin – wir kommen! Also, das war schon eine Botschaft."
    Um weitere revolutionäre Umtriebe zu vermeiden, entschied die Senatsverwaltung im vergangenen August, einfach Gras über die Sache wachsen lassen - und Lenins Abtransport zu untersagen. Doch bereits einen Monat später, im September, wurde die Entscheidung zurückgenommen: Nun sollen Bergungsmöglichkeiten und Tierwelt untersucht werden. Grund für den Richtungswechsel könnten kritische Medienberichte sein: Ob in Amerika, Russland oder Indien – überall erschienen Artikel über den Streit um den steinernen Unruhestifter. Dabei wird auch die Berliner Zauneidechse gern erwähnt.
    "Es ist immer schwierig zu erklären, einem ausländischen Journalisten, dass dort die kleine Zauneidechse verhindern soll, dass man sozusagen eine groß angelegte Ausstellung dort mit so einem alten Denkmal bestückt. Das versteht man nicht richtig, aber ich glaube, da muss man Deutscher sein, um das zu verstehen."
    Trotz des Streits kann sich Historikerin Theissen die Hände reiben. Denn sie will in ihrer Ausstellung auch die gesamte Auseinandersetzung um den Granit-Lenin dokumentieren. Das heißt: mehr Ärger um das DDR-Denkmal – mehr Präsentationsstoff.
    "Es ist eben immer noch in gewisser Weise in Politikum."