Susanne Schrammar: Omid Nouripour ist außenpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen. Ich habe ihn vor der Sendung gefragt, ob er denn nachvollziehen kann, dass die Bundesregierung weiterhin auf Gespräche setzt.
Omid Nouripour: Ich kann in der Türkei-Politik dieser Bundesregierung ganz vieles nicht mehr nachvollziehen. Das begann damit, dass Erdogan das Land immer weiter in Richtung einer Autokratie schob und die Bundesregierung aber aus Panik vor Flüchtlingen Deals machte mit ihm und Frau Merkel faktisch Wahlkampf machte für ihn vor Ort, statt dass man mal ein kritisches Wort darüber redet, dass Redaktionen unter Druck standen damals noch und dass die Freiheiten der Menschen immer weiter eingeschränkt wurden.
Und das rächt sich jetzt. Jetzt werden die Redaktionen nicht nur unter Druck gesetzt, sondern Journalisten ins Gefängnis gesteckt und Bundestagsabgeordneten die Einreise zum Besuch der deutschen Soldaten verweigert. Das rächt sich jetzt halt, dass die Bundesregierung so lange geschwiegen hat.
Schrammar: Was müsste sie denn tun Ihrer Meinung nach?
Nouripour: Na ja. Ich weiß nicht, ob es noch geht. Die Frage, wie man Einfluss auf Erdogan nimmt, ist ja eine, die mittlerweile nicht nur die Deutschen beschäftigt, sondern auch viele andere, und das ist eine ganz schwierige Frage bei einem Menschen mit einem solchen, nett formuliert, Temperament. Aber die Frage ist: Warum hat die Bundesregierung die ganze Zeit nichts dazu gesagt, sondern es so weit kommen lassen, bis sie das erste Mal überhaupt im Stande war, mal ein kritisches Wort zu äußern? Die Frage muss die Bundesregierung tatsächlich beantworten.
Soldaten sind nicht willkommen
Schrammar: Warum wollen Sie denn die Soldaten sofort jetzt aus Incirlik abziehen?
Nouripour: Na ja, weil es offenkundig ist, dass die nicht willkommen sind vor Ort, und weil die Bundesregierung ja selber schon länger sagt, dass es Alternativen dazu gibt. Es ist den Soldatinnen und Soldaten gegenüber auch nicht zumutbar, die irgendwo hinzuschicken, sie in ein Land zu schicken, bei dem es offensichtlich ist, dass wir zwar sehr, sehr enge Personenverbindungen haben, dass die Menschen zwischen den beiden Ländern sehr eng miteinander auch verknüpft sind, aber dass die Regierung des Landes einfach offenkundig die deutschen Soldaten nicht dort haben will.
Schrammar: Sofortiger Abzug, auch wenn damit die nächste Eskalationsstufe in den deutsch-türkischen Beziehungen gezündet würde?
Nouripour: Na ja, die Eskalation kommt ja stets von der anderen Seite: die unerträglichen Nazi-Vergleiche, die Tatsache, die weit, weit dramatischer ist als viele andere Dinge, dass die Bundeswehr im Nordirak Peschmerga ausbildet, und diese werden dann von der türkischen Luftwaffe im Irak bombardiert und getötet. Das sind Dinge, die passen einfach nicht zu einer Partnerschaft. Die Türkei ist ein großartiges Land mit wundervollen Leuten, aber was die Regierung dort gerade veranstaltet, ist eines NATO-Partnerstaates nicht mehr würdig.
Schrammar: Die Türkei müsste sich ja eigentlich auch darüber im Klaren sein, dass ein solches Verhalten Konsequenzen haben dürfte. Was steckt denn Ihrer Meinung nach dahinter? Ist das mehr als nur eine Retourkutsche für das gewährte Asyl?
Nouripour: Ich habe das Gefühl, dass die Türkei sich gar nicht so sicher ist, dass das Konsequenzen haben wird, weil die Bundesregierung Erdogan dies stets hat nicht spüren lassen. Es ist zweitens klar, dass die Bundesregierung sich in die Lage versetzt hat, dass sie erpresst werden kann von Erdogan.
Wenn man sich beispielsweise die Flüchtlingsfrage anschaut, wenn man sich anschaut, dass auch durch das Spardiktat aus Deutschland die Griechen drei Viertel des Grenzmanagement-Personals haben abbauen müssen, dann braucht man sich nicht zu wundern, dass man dann die Türken so braucht, wie man sie jetzt tatsächlich gebraucht hat, und dann macht man einen solchen Flüchtlingsdeal mit der Türkei und serviert auf dem Tablett quasi den nächsten Erpressungsversuch. So funktioniert es nicht!
"Das können wir den Soldaten nicht zumuten"
Schrammar: Wie würde es denn funktionieren?
Nouripour: Es würde funktionieren, wenn man von vornherein sehr klar gesagt hätte, was die Grenzen sind, die die Türkei nicht verletzen darf, aber vor allem auch, wenn wir jetzt uns konzentrieren auf das Wesentlichste, was in der Türkei passiert, und das ist das Abdriften des Landes in eine fürchterliche Autokratie, wenn nicht gar Diktatur.
Und wenn wir jetzt unseren besten Partnern, die wir haben in dieser Zivilgesellschaft - und das sind sehr, sehr viele - wenn wir ihnen klar machen, dass wir auf ihrer Seite stehen, dass wir wissen, dass die Türkei nicht Erdogan ist und dass Erdogan nicht die Türkei ist, sondern dass wir Freunde bleiben, aber eben nichts anfangen können und erst recht uns nicht unter Druck setzen lassen können von einer Politik, die weder die nationalen Interessen der Türkei vertritt, noch mit unseren einher geht. Das muss sehr klar endlich gesagt werden.
Schrammar: Inwiefern wäre denn ein Abzug von Soldaten in diesem Verhältnis dann hilfreich?
Nouripour: Es gibt so vieles, was man machen kann, in anderen Zusammenhängen auch noch, beispielsweise die Frage der Zollunion, beispielsweise die Frage des Exports von Rüstungsgütern, die ja bekanntermaßen eingesetzt werden in dem Bürgerkrieg gegen die Kurden im Südosten des Landes, aber auch in Syrien und im Irak, gegen den Regierungswillen zum Beispiel des Iraks, was völkerrechtswidrig ist.
Bei dem Falle der Soldatinnen und Soldaten ist es so, dass wir auch als Bundestag entsenden, dass wir eine Kontrollpflicht haben des Einsatzes, dass zum Beispiel Menschen, die wir dorthin entsenden, auch halbwegs gescheite Umstände haben des Lebens, der Unterkünfte und so weiter und so fort. Und wenn die Türkei uns diese Pflichten nicht nachgehen lässt, dann ist es damit eindeutig, dass sie eigentlich nicht will, dass diese Leute da sind.
Das können wir den Soldaten nicht zumuten, dass sie dann da bleiben, obwohl die Türkei als Gastgeber das nicht will. Die Türkei vertritt im Übrigen auch mit der Verweigerung des Besuchsrechts permanent den Geist des NATO-Truppenstatuts. Die Türkei hat sich eigentlich darauf verpflichtet, dass solche Besuche möglich sind, und das unterlässt sie zurzeit heftig und das sind sehr klare Zeichen. Die muss man ernst nehmen.
"Europäer müssen zusammenstehen"
Schrammar: Am Wochenende findet ja in Brüssel der NATO-Gipfel statt. Sie haben gerade die NATO angesprochen. Wäre es dann nicht auch an der Zeit, dass andere NATO-Partner der Bundesrepublik in diesem Streit zur Seite stehen und die Türkei ins Gebet nehmen?
Nouripour: Es ist zweifelsfrei so, wenn die Türkei den Anspruch der NATO, eine Wertegemeinschaft zu sein, so drastisch verletzt, dass es nicht nur eine deutsche Reaktion darauf geben sollte, sondern eine europäische und vielleicht auch noch eine von den Amerikanern.
Von denen kann man in diesen Fragen zurzeit relativ wenig erwarten, weil wenn man sich anschaut, wer die ersten beiden waren, die zum sogenannten Sieg Erdogans beim Verfassungsreferendum - ein weiterer Schritt in Richtung Autokratie - gratuliert haben, waren es Putin und Präsident Trump, und das ist schlecht.
Aber dass die Europäer dort zusammenstehen müssen, ist zweifelsfrei so. Das müsste die Bundesregierung aber auch einfordern und die Gespräche dazu führen. Ich wüsste nicht, dass zum Beispiel beim Besuch von Präsident Macron in Berlin die Thematik, wie man mit der Türkei umgeht, jetzt eine große Rolle gespielt hat.
Schrammar: Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Rainer Arnold, der hat öffentlich bedauert, dass die Türkei nicht aus der NATO ausgeschlossen werden könnte. Sehen Sie das genauso?
Nouripour: Nein, ich sehe das nicht so. Ich glaube nicht, dass man in der Geschwindigkeit solche Schritte, die ausgesprochen drastisch sind, jetzt eingehen soll und erst recht nicht fordern sollte. Das ist tatsächlich kein Beitrag dazu, dass das Verhältnis sich eines Tages auch wieder entspannt. Aber richtig ist, dass man eine Tür von zwei Seiten zumauern kann, und wir sollten nicht diejenigen sein, die die Ziegelsteine in die Hand nehmen.
Schrammar: … sagt Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Das Gespräch haben wir am Abend voraufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.