Mario Dobovisek: Am Telefon begrüße ich Bernd Lange, SPD-Abgeordneter im Europäischen Parlament, dort Vorsitzender des Handelsausschusses. Guten Abend, Herr Lange.
Bernd Lange: Guten Abend!
Dobovisek: Das Abkommen selbst wollen die Belgier nicht ändern, sondern es vielmehr interpretieren mit durchaus validen Punkten. Wer sagt uns denn, dass jetzt nicht noch ganz andere mit tollen Interpretationsideen um die Ecke kommen?
Lange: Ja ich glaube, auch das Verfahren war nicht ganz in Ordnung. Wir verhandeln ja schon seit 2009 und da hätte man das eine oder andere schon in den Prozess einbringen können. Insofern bedauere ich das sehr. Die inhaltlichen Punkte, die eingebracht sind, sind nicht so schlecht. Insofern ist das Verfahren zu kritisieren, aber der Inhalt nicht.
Dobovisek: Schauen wir doch erst mal auf den Inhalt, bevor wir auf das Verfahren blicken, auf die Interpretation der Belgier. Da geht es um die sogenannten Schiedsgerichte. Die Belgier stellen jetzt klar, es müsse sich dabei um öffentliche Gerichte mit unabhängigen Berufsrichtern handeln statt private Gerichtsbarkeit. Aus Ihrer Sicht eine gute Interpretation?
Lange: Ja! Wir haben das ja immer gefordert. Die privaten Schiedsgerichte sind ja auch aus dem Abkommen heraus. Und da gab es noch ein paar offene Punkte hinsichtlich der Bezahlung, der Berufung und so weiter, und das haben wir auch eingefordert. Das muss geklärt sein und insofern ist das, glaube ich, ein richtiger Weg.
Dobovisek: Warum bedurfte es da erst mal einer kleinen belgischen Region nach insgesamt sieben Jahren Verhandlungen? Hätte man ja auch früher drauf kommen können?
Lange: Das ist in der Tat richtig. Das hätte man vorher einfließen lassen können. Wir haben es als Parlament eingefordert. Sie wissen, es gab eine alte EU-Kommission und es gab eine alte Regierung in Kanada, die diese Fragen nicht so intensiv angegangen haben. Die Frage der Überwindung von privaten Schiedsgerichten ist erst durch das Europäische Parlament 2014 gekommen, als quasi der Text schon weitestgehend fertig war, wir aber deutlich gesagt haben, wenn die privaten Schiedsgerichte drin bleiben, werden wir das Abkommen ablehnen, und erst dann hat sich die EU-Kommission bewegt.
Dobovisek: Trotzdem sagen die Belgier jetzt auch ganz klar, sie wollen das in CETA festgeschriebene Schiedsgerichtsverfahren vor den Europäischen Gerichtshof bringen, vom EuGH überprüfen lassen. Könnte am Ende alles wieder zurück auf Los gehen?
Lange: Ich glaube es nicht. Unser Rechtsdienst hat ein Gutachten dazu gemacht, das den Einklang herstellt. Es gibt Entscheidungen des EuGHs von 1991 und folgende. Aber das ist, glaube ich, das gute Recht und von daher schauen wir mal, was der EuGH dazu sagt. Ich glaube, wenn wir ein neues Modell - und das ist ja ein ganz neues Modell - entwickeln, dann müssen wir da auch hundertprozentige Rechtssicherheit haben.
"Rechtsdienste, Kommission, Rat und Parlament bestätigen, dass das in Einklang mit den europäischen Verträgen ist"
Dobovisek: Auch das hätte man vorher prüfen können.
Lange: In der Tat! Das hätte man stärker prüfen können. Aber wie gesagt, alle Rechtsdienste, Kommission, Rat und Parlament bestätigen, dass das in Einklang mit den europäischen Verträgen ist.
Dobovisek: Kommen wir zum Verfahren, das Sie kritisieren, und lassen Sie uns da gemeinsam ein Bild zeichnen, Herr Lange, von einer Hochzeit. Das Buffet wird bereits aufgebaut, während der Bräutigam noch nervös an dem einen oder anderen Punkt des Ehevertrages feilt und noch nicht einmal genau weiß, ob er überhaupt noch rechtzeitig fertig wird. Die Braut jedenfalls hat genug davon, bleibt kurzerhand zuhause, die Feier ist geplatzt. Genau das, was ich gerade beschrieben habe, ist im übertragenen Sinne ja heute passiert. Viele Ihrer Kollegen nennen das desaströs und peinlich. Wie nennen Sie das?
Lange: Nein, ich würde ein anderes Bild nehmen. Da ist CETA in den Kühlschrank gepackt worden und wir Europäer haben uns noch ein bisschen Gedanken gemacht, welche Gewürze und welche belgischen Fritten dazu gereicht werden, und jetzt kann man das wieder aus dem Kühlschrank herausnehmen und das Menü ist komplett.
In der Tat die Frage der Zusammenstellung des Menüs, das hätte man schneller und effektiver klären können, und da mache ich den Wallonen auch einen kleinen Vorwurf: Sieben Jahre quasi geschwiegen und dann plötzlich aus der Kurve gekommen. So kann man kein gutes Essen produzieren.
"Das kann nicht sein, dass so ein Prozess die Europäische Union insgesamt bestimmt"
Dobovisek: So hat ein innerbelgischer Zwist die Gemeinschaft gelähmt.
Lange: In der Tat! Das waren sicherlich jenseits der Frage des Abkommens auch ein Stück weit innerpolitische, innerbelgische Spielereien, wobei Spielereien sind der falsche Ausdruck, vielleicht Kräftemessens, und das kann nicht sein, dass so ein Prozess die Europäische Union insgesamt bestimmt. Deswegen müssen wir hier, denke ich, andere Mechanismen noch haben.
Dobovisek: Dann blicken wir doch genau auf diese Mechanismen und auch in diesem Zusammenhang zurück. Es war doch SPD-Chef Sigmar Gabriel, der im Sommer noch mit am lautesten die Abstimmung in den nationalen Parlamenten einforderte, in recht seltener Eintracht übrigens mit CSU-Chef Horst Seehofer.
Lange: Nee, nee, nee, nee!
Dobovisek: War das dann ein Fehler?
Lange: Nee, nee, nee, nee! Ich habe immer gesagt, das ist ein sogenanntes gemischtes Abkommen, und das kann man auch nicht nach politischer Opportunität entscheiden. Entweder es ist ein gemischtes Abkommen, oder es ist ein Abkommen in alleiniger EU-Zuständigkeit. Wenn Sie das Mandat von 2009 lesen, ist völlig klar, dass das ein gemischtes Abkommen ist.
"Das ist ein Geburtsfehler"
Dobovisek: Ist das genau der Geburtsfehler sozusagen?
Lange: Ja, das ist ein Geburtsfehler. In der Tat, das ist ein Geburtsfehler. Dafür muss man in Zukunft, glaube ich, sehr, sehr darauf achten, dass Handelspolitik als europäische Kompetenz auch nur europäische Felder umfasst.
Dobovisek: Das bedeutet?
Lange: ... , dass wir manche Mandate und manche Verhandlungen dahingehend überprüfen müssen.
Dobovisek: Wenn wir uns diese Verhandlungen, diese lange Strecke, die sieben Jahre ansehen - es gab ja verschiedenste Regierungen, haben Sie schon erwähnt, ganz unterschiedliche Ausrichtungen. Sie machen den Vorwurf, dass die Belgier es schon viel vorher hätten einbringen können, was sie jetzt eingebracht haben. Hatten sie tatsächlich die Möglichkeit, in all den sieben Jahren hinter die verschlossenen Türen zu blicken, die teilweise in den Verhandlungen auch vorhanden waren?
Lange: Die waren gar nicht so verschlossen. Jeden Freitag tagt der Handelsausschuss des Rates, wo Belgien vertreten ist, und wir im Europäischen Parlament tagen nicht ganz so häufig, aber kontrollieren die Verhandlungen auch, haben Zugang zu allen Dokumenten.
Da hätte man viel, viel deutlicher die Positionen einbringen können, und insofern ist das nicht an der verschlossenen Tür gescheitert, sondern vielleicht an der innerbelgischen Situation.
"Der aufkeimende Nationalismus und die Regionalisierung sind das Problem"
Dobovisek: An Nationalismen?
Lange: An Nationalismen, Regionalismen, und das, glaube ich, ist das generelle Problem, dass Handelspolitik natürlich vom gesellschaftlichen Kompromiss lebt und dass wir das im Moment in Europa nicht so richtig auf die Reihe kriegen.
Das liegt nicht an Europa und den Institutionen. Hier ist nicht Europa das Problem, sondern der aufkeimende Nationalismus und Regionalismus.
Dobovisek: Was lernen wir daraus aus Sicht eines Handelspolitikers?
Lange: ... , dass wir viel intensiver auf allen Ebenen die Frage der Handelspolitik, gute Handelsabkommen, der Gestaltungskraft von Globalisierung und der Regulierung von Globalisierung zu diskutieren haben, und da sind alle gefordert, ganz am Anfang von Handelsabkommen das überall auch in den regionalen und nationalen Parlamenten zu diskutieren und nicht erst zum Schluss, wenn der Vertrag fertig ist.
Dobovisek: Bernd Lange, für die SPD im Europäischen Parlament, dort Vorsitzender des Handelsausschusses. Vielen Dank für das Gespräch, das wir am Abend aufgezeichnet haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.