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Streit um Corona-App
Forscher warnen vor einer zentralisierten Datenbank

Möglichst schnell soll eine App Nutzern Anhaltspunkte für einen möglichen Kontakt zu Infizierten liefern. Das von der Bundesregierung favorisierte Projekt PEPP-PT steht wegen der zentralen Datenhaltung in der Kritik – es gibt dazu mehrere Alternativen.

Von Johannes Kuhn |
Eine Frau läuft durch eine Straße, trägt einen Mundschutz und Sonnenbrille und blickt dabei auf ihr Handy, das sie vor sich trägt.
Möglichst schnell soll eine App auch die Nachverfolgung von Corona-Infektionsketten ermöglichen (picture alliance/NurPhoto/Beata Zawrzel)
Mitte April hatten die Verantwortlichen angepeilt, inzwischen wird die App zur Coronavirus-Kontaktverfolgung erst im Laufe des Mais erwartet. Es läuft nicht alles rund bei PEPP-PT, dem von der Bundesregierung favorisierten Projekt.
Mehr noch: Zuletzt kündigten Forschungseinrichtungen aus der Schweiz, Italien und Belgien die Mitarbeit an dem Projekt auf. Auch das deutsche Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit (CISPA) ist nicht mehr beteiligt.
Die CISPA-Forscherin Ninja Marnau: "Für uns sind die Grundvoraussetzung, um diese App zu entwickeln und dafür, dass die Leute sie freiwillig installieren und Vertrauen in diese App haben eigentlich, dass die Entwicklung maximal transparent ist, sicher ist und die höchsten Datenschutzanforderungen erfüllt. Wir haben in den letzten Wochen festgestellt, dass wir das bei Pepp-PT und vor allem bei den Ansätzen, die für Deutschland und Frankreich verfolgt wurden, nicht mehr gewährleistet sehen."
Ein Jugendlicher steht mit Mundschutzmaske auf einem S-Bahnsteig in Berlin und blickt auf sein Handy.
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Mangelnde Transparenz bei der Entwicklung lautet ein Kritikpunkt. Die zweite Debatte betrifft eine Grundsatzfrage. Klar ist, dass Handys per Bluetoothfunksignal kommunizieren sollen, wenn zwei App-Nutzer längere Zeit zwei Meter oder weniger voneinander entfernt stehen. Dabei tauschen sie zufällig gewählte Identifikationsnummern aus, keine persönlichen Daten. Erweist sich einer der beiden App-Nutzer später als infiziert, erhält der andere über die Identifikationsnummer einen Hinweis.
Zentraler versus dezentraler Ansatz bei der Datenhaltung
Doch wie das technisch geschehen soll, ist umstritten: Beim zentralen Ansatz fungiert ein Server als Schaltstelle und sammelt alle Identifikationsnummern. In der dezentralen Methode geben die Handys selber die Information weiter, sobald der Prozess aktiviert worden ist. Das Bundesgesundheitsministerium favorisiert die zentrale Lösung.
"Wir haben die klare Präferenz für eine zentrale Speicherung der Daten. Das ist von daher wichtig, um auch das epidemiologische Geschehen besser verfolgen zu können", so Sprecher Hanno Kautz.
Auch die Hauptinitiatoren der PEPP-PT-Initiative, der Software-Unternehmer Chris Boos und Thomas Wiegand, Leiter des Fraunhofer Heinrich-Hertz-Instituts, wollen die zentrale Variante in Deutschland umsetzen. Genau wie das französische KI-Forschungsinstitut INRIA.
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Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Argumente dafür: Eine einfachere Anpassung des Algorithmus bei Messungenauigkeiten und bessere Analysemöglichkeiten für die Gesundheitsbehörden. Forscher dagegen warnen vor einer zentralisierten Datenbank, weil dies Überwachung ermöglichen könnte.
Mehr als 300 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen haben Anfang der Woche einen entsprechenden Aufruf unterzeichnet. Auch CISPA-Forscherin Marnau: "Es darf auf keinen Fall passieren, dass der zentrale Server lernt, wer mit wem in Kontakt stand. Oder wer eine Risikobenachrichtigung erhalten hat, weil er zu nah an jemandem war, der nachträglich positiv getestet wurde."
Mehrere Alternativen zu PEPP-PT
Auch das Europäische Parlament fordert in einer Resolution eine dezentrale Lösung. Die Verfechter dieser Philosophie stecken ihre Energie nun in die Entwicklung des Tracing-Protokolls DP3T, das wesentlich in der Schweiz entwickelt wurde. Die Schweiz hat die Fertigstellung einer App für den 11. Mai angekündigt.
Das Pepp-PT-Konsortium, an dem 180 Personen und auch Firmen wie Vodafone beteiligt sind, äußert sich auf Anfrage nicht: Man arbeite mit Hochtouren an der neuen Technologie, so die inzwischen engagierte Kommunikationsagentur.
Paul Lukowicz, Scientific Director für Embedded Intelligence am DFKI in Kaiserslautern, hält den Streit für unnötig. Er favorisiere theoretisch eine dezentrale Lösung. Doch es gehe nun darum, schnell eine App verfügbar zu machen.
"Ich glaube, in dem konkreten Kontext, dass wir jetzt für die nächsten 18 Monate mal die Kontakte verfolgen: Selbst, wenn da etwas schief geht - ich glaube, der potenzielle Schaden ist sehr gering und der potenzielle Nutzen der App ist sehr, sehr groß."
Die Bundesregierung hat sich entgegen voriger Signale noch nicht endgültig für Pepp-PT entschieden. Auch das dezentrale Protokoll DP3T käme in Frage, so die Antwort auf eine Anfrage der Linken-Politikerin Anke Domscheit-Berg. Zudem ist die österreichische Software der Firma Accenture im Gespräch, die das Rote Kreuz betreibt.
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In Österreich wurde die Tracing-App 400.000 Mal heruntergeladen, das wären ungefähr sieben Prozent der dortigen Smartphone-Nutzer. Allerdings gibt es noch Probleme mit der iPhone-Version, weil dort der Bluetooth-Kontaktaustausch nur bei geöffneter App funktioniert. Dies will Apple beheben, zudem arbeitet man gemeinsam mit Google an Schnittstellen für Kontaktverfolgungs-Apps über Betriebssysteme hinweg. Diese sind für Mai angekündigt – und basieren auf einer dezentralen Datenverwaltung.