Sarah Gevers: "Die christliche Nächstenliebe ist ein Teil dessen, was wir da machen, aber der Grund, warum wir alle zur Arbeit gehen ist nicht der, dass wir unseren Dienst verrichten wollen aus christlicher Nächstenliebe, sondern dass wir unserem gewählten Beruf für eine bestimmte Bezahlung nachgehen."
Gregor Thüsing: "Die Kirchen stellen an ihre Arbeitnehmer den Anspruch, dass sie nicht nur allein Arbeitnehmer zum Verdienst des eigenen Unterhalts und dessen ihrer Lieben sind, sondern auch ein Stück weit Arbeiter im Weinberg Christi."
Frank Bsirske: "Wir treffen auf einen Lohn- und Arbeitsbedingungsdschungel, wir treffen auf Leiharbeit, wir treffen auf Lohndumping, und das sind Verhältnisse, die so nicht mehr akzeptabel sind."
1,3 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland bei den Kirchen und ihren Wohlfahrtsbetrieben. Zum Beispiel bei Diakonie und Caritas, in Krankenhäusern oder Altenheimen. Sie dürfen nicht streiken. Genauso wenig dürfen die Arbeitgeber ihre Mitarbeiter aussperren. Arbeitskämpfe seien in kirchlichen Betrieben fehl am Platz, sagt Detlev Fey, Referent für Arbeitsrecht bei der Evangelischen Kirche in Deutschland:
"Die Erfüllung des Auftrags unseres Herrn ist nicht bestreikbar. Und wir haben ein Verfahren gefunden, das Auseinandersetzungen in anderer Weise verbindlich löst."
In kirchlichen Betrieben gilt der sogenannte dritte Weg: Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen sich in paritätisch besetzten Kommissionen einvernehmlich auf Löhne und Gehälter verständigen. Kommt keine Einigung zustande, entscheidet ein Schlichter. Dahinter steht die Idee der Dienstgemeinschaft, in der Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam und aus Nächstenliebe den christlichen Auftrag erfüllen.
Doch ob der dritte Weg und damit das Streikverbot rechtens sind – darüber muss morgen das Bundesarbeitsgericht entscheiden. Geklagt haben unter anderem einzelne Landesverbände der evangelischen Diakonie, weil die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in ihren Betrieben zu Streiks aufgerufen hatte. Denn die Gewerkschaften halten das Streikverbot für rechtswidrig.
Auch Sarah Gevers kann der Idee einer Dienstgemeinschaft wenig abgewinnen:
"Auf jeden Fall gehe ich arbeiten für Geld! Ganz bestimmt nicht fürs Himmelreich!"
Sarah Gevers ist Krankenschwester. Sie arbeitet im Evangelischen Krankenhaus in Bielefeld-Bethel. Die von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel sind seit 1867 ein Ort, an dem kranke, behinderte, alte und pflegebedürftige Menschen im Mittelpunkt stehen – hier finden sie Hilfe, Heilung, vielleicht sogar ein Zuhause. Mit seinen mittlerweile über die Republik verteilten Zentren und insgesamt 16.000 Mitarbeitern gehört Bethel zu den größten diakonischen Einrichtungen in Europa.
Sarah Gevers: "Man ist Teil von diesem ganzen Ort, klar, man weiß, wo man hier ist, man hat diese 150jährige Geschichte, die das Ganze ja auch mit sich bringt. Aber letztlich ist es auch ein Arbeitsplatz wie jeder andere. Man geht da morgens hin, man hat Schicht, man hat Feierabend."
Auch Sarah Gevers hat jetzt Feierabend. Das Radio-Interview soll auf einem nahegelegenen Waldweg stattfinden, nicht in unmittelbarer Sichtweite ihrer Vorgesetzten. Hinter ihr liegt ein anstrengender Dienst auf der Alkohol- und Suchtstation:
"Es ist wie überall: Es ist wenig Personal, es ist schlechte Besetzung, man wird oft angerufen, weil Krankheitsausfälle sind. Ja, alles, was man so kennt: Überstunden, Mehrarbeit."
Dass sie als Angestellte eines diakonischen Betriebs nicht für bessere Arbeitsbedingungen oder höhere Löhne streiken darf, dass keine Gewerkschaft mit ihrem Arbeitgeber einen Tarifvertrag aushandeln kann – das hält Sarah Gevers für falsch. Auch deshalb ist sie Mitglied bei Verdi. Und sie findet es gut, dass die Dienstleistungsgewerkschaft 2009 in ihrem Krankenhaus und einigen anderen Betrieben der Diakonie zu Streiks aufgerufen hat. Am Tag der Kundgebung hatte sie frei – sie musste ihre Arbeit also nicht niederlegen, um dabei zu sein. Rund 100 Mitarbeiter gingen in Bielefeld auf die Straße, einige von ihnen taten es tatsächlich während ihrer Arbeitszeit und widersetzten sich damit dem Streikverbot.
Sarah Gevers: "Es sind welche rausgegangen und haben sich getraut. Das hat uns alle dann doch auch stolz gemacht."
Der Streik hat ein juristisches Nachspiel. Die betroffenen diakonischen Arbeitgeber klagten gegen Verdi. Das Arbeitsgericht Bielefeld gab ihnen zunächst Recht. Doch in zweiter Instanz entschied das Landesarbeitsgericht Hamm, ein prinzipielles Streikverbot gehe zu weit.
Die Kirche hat dieses Urteil wiederum angefochten – jetzt liegt der Fall beim Bundesarbeitsgericht. Parallel dazu läuft ein zweites Verfahren, mit dem sich die Erfurter Richter morgen ebenfalls beschäftigen müssen - hier geht es um die Zulässigkeit von Streiks im Bereich der Nordelbischen Kirche, zu denen die Ärztegewerkschaft Marburger Bund aufgerufen hatte. Beide Verfahren werden aufmerksam beobachtet – vor allem von der katholischen Kirche, denn auch in ihren Wohlfahrtsbetrieben gilt der dritte Weg.
Gewerkschaften wie Kirchen berufen sich auf das Grundgesetz. Die Kirchen führen Artikel 140 an: ihr Selbstbestimmungsrecht, das aus der Weimarer Verfassung übernommen wurde und ihnen zubilligt, auch ihre Arbeitsverhältnisse nach eigenen Regeln zu gestalten. Die Gewerkschaften hingegen argumentieren mit Artikel neun des Grundgesetzes: Die Koalitionsfreiheit und das daraus abgeleitete Streikrecht seien höher zu bewerten als das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, sagt Verdi-Chef Frank Bsirske:
"Ein solches individuelles, persönliches Grundrecht hat Vorrang gegenüber Verfassungsrechten von Körperschaften, die sich ja letztlich aus den persönlichen Grundrechten ableiten. Und das persönliche Grundrecht auf Streik, das ist vorbehaltlos gewährt, ja sogar notstandsfest! Nicht einmal im Kriegsfall, nicht einmal im Fall der Bedrohung der staatlichen Existenz der Bundesrepublik ist dieses Recht eingeschränkt."
Allerdings gibt es beim Streikrecht schon in anderen Bereichen Ausnahmen – auch Beamte dürfen in Deutschland nicht streiken. Und letztlich hat das Bundesverfassungsgericht das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen in der Vergangenheit immer wieder bestätigt:
"Die Gerichte haben es anerkannt, dass die Kirche bestimmt, was an Loyalität für ihre Mitarbeiter erforderlich ist, was sie verlangen darf, um die Glaubwürdigkeit ihres Dienstes in der Öffentlichkeit vermitteln zu können. Die Kirchen haben übereinstimmend entschieden, dass ein Streikrecht ihrer Mitarbeiter mit ihrem Selbstverständnis nicht vereinbar wäre."
Sagt Gregor Thüsing, Juraprofessor an der Universität Bonn, Experte auf dem Gebiet des Kirchenrechts und ein erklärter Befürworter des dritten Wegs:
"Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass auch das Bundesarbeitsgericht weiterhin den Kirchen diese Freiheit gewähren wird, nicht so sehr vielleicht, weil die Grundrechte der Kirche eine uneinnehmbare Bastion wären, die eine andere Entscheidung verbieten würden. Sondern aus der vernünftigen Erkenntnis heraus, dass die Kirchen mit ihren Mitarbeitern insgesamt sehr angemessen umgehen und dass ihr karitatives und soziales Wirken nur dann für sie weiter sinnvoll ist, wenn sie tatsächlich mit ihren Mitarbeitern den Grund ihres Tuns nicht in Frage stellen."
Ob die Kirchen mit ihren Mitarbeitern tatsächlich angemessen umgehen – darüber ist allerdings ein Streit entbrannt. Seit einigen Jahren kritisieren Beschäftigte und Gewerkschaften unter anderem die Lohnpolitik der kirchlichen Wohlfahrtsbetriebe und die zunehmenden Ausgründungen, also die Abspaltung einzelner Geschäftsbereiche wie Wäscherei oder Küche in Servicegesellschaften.
Dabei war der dritte Weg lange Zeit nicht in Frage gestellt worden.
"Das hat so lange problemlos funktioniert, solange es so etwas wie einen Einheitstarif im Sozialsektor gab. Das war damals der Bundesangestelltentarif, der galt für die gesamte Sozialbranche, die Kirchen haben den mehr oder weniger übernommen."
So Norbert Wohlfahrt, Professor für Sozialmanagement an der Evangelischen Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum. Jahrzehntelang habe das normative Konzept der Dienstgemeinschaft der Arbeitsrealität in den kirchlichen Betrieben entsprochen.
Doch seit den 90er-Jahren herrscht in der Sozialbranche ein scharfer Wettbewerb. Die staatlichen Budgets für Sozialleistungen sind knapp. Alle Sozialbetriebe, auch die kirchlichen, kämpften gleichermaßen um ihr Überleben am Markt, sagt der Sozialwissenschaftler Norbert Wohlfahrt:
"Damit begann die Geschichte sozusagen der Zersplitterung der Tariflandschaft bis hin dazu, dass erhebliche Teile der Belegschaften sich in Haustarifen befinden, die sich wechselseitig unterbieten. Es ist eine vollkommene Durchflexibilisierung eines Marktes, der aber unter Kostendruck steht, und der diesen Kostendruck an das Personal weitergibt."
Norbert Wohlfahrt ist Mit-Autor einer Studie über Leiharbeit und Ausgründungen in diakonischen Betrieben, die die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung in Auftrag gegeben hatte. Das Ergebnis: Um zu sparen, hat die Diakonie Geschäftsbereiche wie Wäscherei oder Putzdienste flächendeckend in Servicegesellschaften ausgegliedert. Das sind oft hundertprozentige Töchter der diakonischen Einrichtungen, häufig sogar mit derselben Geschäftsführung. Die Löhne allerdings sind niedriger. Auch Leiharbeit ist der Studie zufolge in diakonischen Betrieben gängige Praxis, selbst wenn ihre Bedeutung zurückgeht.
300 Mitarbeitervertretungen wurden für die Studie befragt, die zwar nicht repräsentativ ist, nach Aussage von Wohlfahrt aber einen guten Einblick in die Strukturen der diakonischen Arbeitswelt gibt. Sein Fazit: Die Diakonie nutze den dritten Weg, um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.
Norbert Wohlfahrt: "In einem sozialen Dienstleistungssektor, der nach Wettbewerbskriterien sortiert ist, in dem auch Caritas und diakonische Geschäftsbetriebe – wie alle anderen sozialen Betriebe am Markt agieren, dort versuchen, sich durchzusetzen, ihre Geschäftsteile zu vergrößern, in einer solchen Branche, in der die Personalkosten ein entscheidender Faktor sind, um am Markt zu reüssieren, braucht es eine ordnungspolitische Basis. Und die wird durch den dritten Weg torpediert."
Was die Sozialforscher ermittelt haben, das erlebt auch Sarah Gevers am Evangelischen Krankenhaus in Bielefeld. Ausgründungen, Leiharbeit, schlechte Arbeitsbedingungen: All das kennt die Krankenschwester aus ihrem Arbeitsalltag:
"Wir haben versucht, zu verhindern, dass die Küche, die Reinigung, die Physiotherapie ausgegliedert werden, aber es ist uns in dem Punkt nicht gelungen. Es hat alle diese Ausgründungen gegeben. Und es gibt jetzt insgesamt - ich weiß nicht wie viele - Tochterunternehmen, die jetzt andere Löhne zahlen und andere Arbeitsbedingungen bieten, als das vorher für die Kollegen der Fall war."
Das sei doch eine merkwürdige Art, die christliche Dienstgemeinschaft zu definieren, sagt Sarah Gevers:
"Ich weiß nicht, warum ich, wenn ich mit dem Patienten spazieren gehe oder Medikamente austeile, Teil der Dienstgemeinschaft sein darf, während die Frau, die den Mülleimer leert und die Frau, die das Essen austeilt, nicht Teil dieser Dienstgemeinschaft sind. Aber so ist es."
Der Arbeitsrechtler Gregor Thüsing sieht es anders. Ausgründungen seien gerechtfertigt, wenn es um kirchenferne Tätigkeiten gehe:
"Wenn ich als Kirche einen Träger habe, der selber keinen spezifisch-kirchlichen Zweck erfüllt, dann unterliegt der auch nicht dem kirchlichen Arbeitsrecht. Mit anderen Worten: Die Andechser Klosterbrauerei zum Beispiel stellt Bier her. Da der Verzehr und die Produktion von Bier aber nicht spezifisch kirchliche Aufgabe ist und auch nicht aus ihrem Selbstverständnis heraus geboren ist, würde niemand auf die Idee kommen, von diesen Mitarbeitern hier besondere Loyalitätspflichten zu erwarten."
Der Soziologe Norbert Wohlfahrt und die Mitautoren der Studie kritisieren außerdem ein starkes Machtgefälle zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in den diakonischen Betrieben. Nach Analyse der Wissenschaftler sind die Mitbestimmungsrechte der Mitarbeitervertretungen in Kirche und Diakonie wesentlich schwächer als die von Betriebs- oder Personalräten. Entsprechend schlecht sei ihre Position in den arbeitsrechtlichen Kommissionen, die Löhne und Gehälter aushandeln.
Auch die Krankenschwester Sarah Gevers fühlt sich nicht gut vertreten. Besonders ungerecht findet sie,
"dass die Arbeitgeberseite da Vollprofis hinschickt, die wahrscheinlich Jura und BWL studiert haben und die sich in der Materie enorm gut auskennen, während die Arbeitnehmerseite halt ihre eigenen Vertreter schickt. Das heißt: Basismitarbeiter, die bestimmt alle hervorragend weitergebildet sind. Aber das sind Küster, Krankenpfleger und Techniker, die da sitzen, die das teilweise schon sehr lange machen, aber eben Laien sind in dem was da verhandelt wird."
Norbert Wohlfahrt findet das besonders skandalös, weil sich die Arbeitgeberseite im Verband diakonischer Dienstgeber organisiert hat und auf diese Weise ihre Interessen vertritt:
"Man muss ganz dezidiert sagen, dass gegenwärtig die Praktizierung des Dienstrechtes eigentlich nur dem Zweck dient, die Gewerkschaften aus der Gestaltung der Arbeitsbeziehungen herauszuhalten. Und jetzt frage ich Sie: Wenn man die Gewerkschaften angesichts einer Landschaft, in der sich Arbeitgeberinteressen direkt formieren, heraushalten will, wem dient dann sozusagen das Konzept der Dienstgemeinschaft?"
Die kirchlichen Arbeitgeber wollen die Vorwürfe der Gewerkschaften nicht auf sich sitzen lassen. Sie konterten mit einer eigenen Studie. Vor einigen Wochen veröffentlichten das Diakonische Werk der EKD, die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe und der Verband Diakonischer Dienstgeber eine eigene Mitarbeiterbefragung. Auch die Kirchenvertreter haben keine repräsentativen Ergebnisse. Immerhin basiert ihre Studie aber auf einem wesentlich größeren Datensatz. Danach sind nur gut ein Prozent aller Diakonie-Beschäftigten Zeitarbeiter, der Anteil ausgegliederter Servicegesellschaften liegt unter zehn Prozent.
Diese Ergebnisse sorgten für Erleichterung in der Diakonie. Jörg Kruttschnitt ist im Vorstand des Diakonischen Werks, in dem auch die klagenden diakonischen Landesverbände organisiert sind:
"Diese Vermutungen, die durch die Hans-Böckler-Studie geäußert worden sind, können wir aufgrund unserer Überlegungen nicht verifizieren. Wir haben festgestellt, dass es relativ wenig Ausgründungen sind, dass die Tarifgebundenheit im Vergleich relativ hoch ist."
Nach Ansicht von Kruttschnitt ist die Studie ein weiterer Beleg dafür, dass der dritte Weg in kirchlichen Betrieben nach wie vor geeignet ist:
"Man braucht das Streikrecht bei uns nicht. Das ist unsere Auffassung. In der Lohnfindung ist der dritte Weg im Großen und Ganzen da, wo die gesamte tarifgebundene Branche sich auch bewegt. Die Ergebnisse, die im dritten Weg erzielt werden, sind tendenziell im oberen Drittel des ganzen Feldes."
Tatsächlich sind die Lohnabschlüsse bei Kirche und Diakonie häufig besser für die Beschäftigten als die Abschlüsse, die Verdi erzielt. Detlev Fey, Referent für Arbeitsrecht bei der EKD, rechnet vor:
"Nehmen wir die einfachsten beruflichen Tätigkeiten für ungelernte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ohne dass ich damit eine Wertung dieser Tätigkeit verbinden möchte. Nach unseren Tarifen bekommt man dafür in der Stunde um die 9 Euro, 100 Euro Kinderzulage für jedes Kind, eine hochwertige, arbeitgeberfinanzierte betriebliche Altersversorgung, 26 Wochen Krankheitsleistungen vom Arbeitgeber. Ich kenne keinen anderen Tarifvertrag in der freien Wirtschaft, der derartig hohe Leistungen bietet."
Die Vorwürfe der Gewerkschaften nehme er trotzdem ernst, sagt Detlev Fey. Tatsächlich gebe es einzelne Einrichtungen, die das kirchliche Arbeitsrecht nicht einhielten:
"Das wird zu Recht kritisiert, es wird auch zu Recht kritisiert, dass wir vielleicht etwas zu spät begonnen haben, dagegen Maßnahmen zu ergreifen. Seit einiger Zeit tun wir das, und das geht soweit, dass einige Einrichtungen auch aus der Diakonie ausgeschlossen worden sind. Wir wollen, dass die kirchlichen Gehälter bedient werden."
Grund für den heftigen Streit zwischen Verdi und der Diakonie dürfte auch sein, dass die Gewerkschaft in der Sozialbranche nur wenige Mitglieder und damit kaum Einfluss hat. Auch deshalb kämpft Verdi so energisch um das Tarifvertragsrecht in den großen kirchlichen Wohlfahrtsverbänden.
Dabei formulieren beide Seiten eigentlich das gleiche Ziel: einheitliche Löhne im gesamten Sozialsektor.
Detlev Fey: "Wenn es eine Flächenregelung gäbe, die für allgemeinverbindlich erklärt würde, für alle Marktteilnehmer im Sozial- und Gesundheitswesen, für alle gemeinnützigen Einrichtungen, für alle privaten Einrichtungen, wären wir dafür und sind bereit, uns daran zu beteiligen. Weil dann der Wettbewerb nicht mehr über die Lohnkosten ausgeübt werden könnte, sondern über die Qualität. Und das ist genau das, was wir uns wünschen."
Frank Bsirske: "Dann hoffe ich sehr, dass wir uns an einen Tisch setzen und wir gemeinsam, die Diakonischen Werke und Verdi, über ein gemeinsames Tarifniveau verhandeln, ohne dass es dazu eines Streiks bedarf."
Das Problem allerdings: Die Kirchen sind zwar bereit, mit den Gewerkschaften über einen Branchenlohn zu verhandeln – sie wollen aber an ihrem, in der Verfassung verankerten Recht auf Selbstbestimmung festhalten und den dritten Weg nicht aufgeben. Das wiederum kommt für Verdi nicht in Frage: Die Gewerkschaft akzeptiert keine kirchlichen Sonderregelungen und kein Streikverbot – sie will vollwertige Tarifvertragspartei sein.
Es ist unwahrscheinlich, dass der Streit mit einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom Tisch ist. Im Gegenteil. Die unterlegene Seite – egal ob Diakonie oder Verdi – wird vermutlich das Bundesverfassungsgericht und möglicherweise auch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen.
Die Krankenschwester Sarah Gevers hofft, dass die Richter den Gewerkschaften den Rücken stärken. Und sie demnächst auch streiken darf. Das sei schließlich nichts Unchristliches:
"Ich glaube, dass es eigentlich etwas zutiefst Christliches ist, sich gegen Unrecht aufzulehnen. Also, wenn Menschen ungerecht behandelt oder als Mitarbeiter schlecht gepflegt werden und sich dagegen wehren möchten, weiß ich nicht, was Jesus Christus dazu gesagt hätte. Der hätte das vielleicht sogar ganz okay gefunden!"
Gregor Thüsing: "Die Kirchen stellen an ihre Arbeitnehmer den Anspruch, dass sie nicht nur allein Arbeitnehmer zum Verdienst des eigenen Unterhalts und dessen ihrer Lieben sind, sondern auch ein Stück weit Arbeiter im Weinberg Christi."
Frank Bsirske: "Wir treffen auf einen Lohn- und Arbeitsbedingungsdschungel, wir treffen auf Leiharbeit, wir treffen auf Lohndumping, und das sind Verhältnisse, die so nicht mehr akzeptabel sind."
1,3 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland bei den Kirchen und ihren Wohlfahrtsbetrieben. Zum Beispiel bei Diakonie und Caritas, in Krankenhäusern oder Altenheimen. Sie dürfen nicht streiken. Genauso wenig dürfen die Arbeitgeber ihre Mitarbeiter aussperren. Arbeitskämpfe seien in kirchlichen Betrieben fehl am Platz, sagt Detlev Fey, Referent für Arbeitsrecht bei der Evangelischen Kirche in Deutschland:
"Die Erfüllung des Auftrags unseres Herrn ist nicht bestreikbar. Und wir haben ein Verfahren gefunden, das Auseinandersetzungen in anderer Weise verbindlich löst."
In kirchlichen Betrieben gilt der sogenannte dritte Weg: Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen sich in paritätisch besetzten Kommissionen einvernehmlich auf Löhne und Gehälter verständigen. Kommt keine Einigung zustande, entscheidet ein Schlichter. Dahinter steht die Idee der Dienstgemeinschaft, in der Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam und aus Nächstenliebe den christlichen Auftrag erfüllen.
Doch ob der dritte Weg und damit das Streikverbot rechtens sind – darüber muss morgen das Bundesarbeitsgericht entscheiden. Geklagt haben unter anderem einzelne Landesverbände der evangelischen Diakonie, weil die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in ihren Betrieben zu Streiks aufgerufen hatte. Denn die Gewerkschaften halten das Streikverbot für rechtswidrig.
Auch Sarah Gevers kann der Idee einer Dienstgemeinschaft wenig abgewinnen:
"Auf jeden Fall gehe ich arbeiten für Geld! Ganz bestimmt nicht fürs Himmelreich!"
Sarah Gevers ist Krankenschwester. Sie arbeitet im Evangelischen Krankenhaus in Bielefeld-Bethel. Die von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel sind seit 1867 ein Ort, an dem kranke, behinderte, alte und pflegebedürftige Menschen im Mittelpunkt stehen – hier finden sie Hilfe, Heilung, vielleicht sogar ein Zuhause. Mit seinen mittlerweile über die Republik verteilten Zentren und insgesamt 16.000 Mitarbeitern gehört Bethel zu den größten diakonischen Einrichtungen in Europa.
Sarah Gevers: "Man ist Teil von diesem ganzen Ort, klar, man weiß, wo man hier ist, man hat diese 150jährige Geschichte, die das Ganze ja auch mit sich bringt. Aber letztlich ist es auch ein Arbeitsplatz wie jeder andere. Man geht da morgens hin, man hat Schicht, man hat Feierabend."
Auch Sarah Gevers hat jetzt Feierabend. Das Radio-Interview soll auf einem nahegelegenen Waldweg stattfinden, nicht in unmittelbarer Sichtweite ihrer Vorgesetzten. Hinter ihr liegt ein anstrengender Dienst auf der Alkohol- und Suchtstation:
"Es ist wie überall: Es ist wenig Personal, es ist schlechte Besetzung, man wird oft angerufen, weil Krankheitsausfälle sind. Ja, alles, was man so kennt: Überstunden, Mehrarbeit."
Dass sie als Angestellte eines diakonischen Betriebs nicht für bessere Arbeitsbedingungen oder höhere Löhne streiken darf, dass keine Gewerkschaft mit ihrem Arbeitgeber einen Tarifvertrag aushandeln kann – das hält Sarah Gevers für falsch. Auch deshalb ist sie Mitglied bei Verdi. Und sie findet es gut, dass die Dienstleistungsgewerkschaft 2009 in ihrem Krankenhaus und einigen anderen Betrieben der Diakonie zu Streiks aufgerufen hat. Am Tag der Kundgebung hatte sie frei – sie musste ihre Arbeit also nicht niederlegen, um dabei zu sein. Rund 100 Mitarbeiter gingen in Bielefeld auf die Straße, einige von ihnen taten es tatsächlich während ihrer Arbeitszeit und widersetzten sich damit dem Streikverbot.
Sarah Gevers: "Es sind welche rausgegangen und haben sich getraut. Das hat uns alle dann doch auch stolz gemacht."
Der Streik hat ein juristisches Nachspiel. Die betroffenen diakonischen Arbeitgeber klagten gegen Verdi. Das Arbeitsgericht Bielefeld gab ihnen zunächst Recht. Doch in zweiter Instanz entschied das Landesarbeitsgericht Hamm, ein prinzipielles Streikverbot gehe zu weit.
Die Kirche hat dieses Urteil wiederum angefochten – jetzt liegt der Fall beim Bundesarbeitsgericht. Parallel dazu läuft ein zweites Verfahren, mit dem sich die Erfurter Richter morgen ebenfalls beschäftigen müssen - hier geht es um die Zulässigkeit von Streiks im Bereich der Nordelbischen Kirche, zu denen die Ärztegewerkschaft Marburger Bund aufgerufen hatte. Beide Verfahren werden aufmerksam beobachtet – vor allem von der katholischen Kirche, denn auch in ihren Wohlfahrtsbetrieben gilt der dritte Weg.
Gewerkschaften wie Kirchen berufen sich auf das Grundgesetz. Die Kirchen führen Artikel 140 an: ihr Selbstbestimmungsrecht, das aus der Weimarer Verfassung übernommen wurde und ihnen zubilligt, auch ihre Arbeitsverhältnisse nach eigenen Regeln zu gestalten. Die Gewerkschaften hingegen argumentieren mit Artikel neun des Grundgesetzes: Die Koalitionsfreiheit und das daraus abgeleitete Streikrecht seien höher zu bewerten als das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, sagt Verdi-Chef Frank Bsirske:
"Ein solches individuelles, persönliches Grundrecht hat Vorrang gegenüber Verfassungsrechten von Körperschaften, die sich ja letztlich aus den persönlichen Grundrechten ableiten. Und das persönliche Grundrecht auf Streik, das ist vorbehaltlos gewährt, ja sogar notstandsfest! Nicht einmal im Kriegsfall, nicht einmal im Fall der Bedrohung der staatlichen Existenz der Bundesrepublik ist dieses Recht eingeschränkt."
Allerdings gibt es beim Streikrecht schon in anderen Bereichen Ausnahmen – auch Beamte dürfen in Deutschland nicht streiken. Und letztlich hat das Bundesverfassungsgericht das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen in der Vergangenheit immer wieder bestätigt:
"Die Gerichte haben es anerkannt, dass die Kirche bestimmt, was an Loyalität für ihre Mitarbeiter erforderlich ist, was sie verlangen darf, um die Glaubwürdigkeit ihres Dienstes in der Öffentlichkeit vermitteln zu können. Die Kirchen haben übereinstimmend entschieden, dass ein Streikrecht ihrer Mitarbeiter mit ihrem Selbstverständnis nicht vereinbar wäre."
Sagt Gregor Thüsing, Juraprofessor an der Universität Bonn, Experte auf dem Gebiet des Kirchenrechts und ein erklärter Befürworter des dritten Wegs:
"Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass auch das Bundesarbeitsgericht weiterhin den Kirchen diese Freiheit gewähren wird, nicht so sehr vielleicht, weil die Grundrechte der Kirche eine uneinnehmbare Bastion wären, die eine andere Entscheidung verbieten würden. Sondern aus der vernünftigen Erkenntnis heraus, dass die Kirchen mit ihren Mitarbeitern insgesamt sehr angemessen umgehen und dass ihr karitatives und soziales Wirken nur dann für sie weiter sinnvoll ist, wenn sie tatsächlich mit ihren Mitarbeitern den Grund ihres Tuns nicht in Frage stellen."
Ob die Kirchen mit ihren Mitarbeitern tatsächlich angemessen umgehen – darüber ist allerdings ein Streit entbrannt. Seit einigen Jahren kritisieren Beschäftigte und Gewerkschaften unter anderem die Lohnpolitik der kirchlichen Wohlfahrtsbetriebe und die zunehmenden Ausgründungen, also die Abspaltung einzelner Geschäftsbereiche wie Wäscherei oder Küche in Servicegesellschaften.
Dabei war der dritte Weg lange Zeit nicht in Frage gestellt worden.
"Das hat so lange problemlos funktioniert, solange es so etwas wie einen Einheitstarif im Sozialsektor gab. Das war damals der Bundesangestelltentarif, der galt für die gesamte Sozialbranche, die Kirchen haben den mehr oder weniger übernommen."
So Norbert Wohlfahrt, Professor für Sozialmanagement an der Evangelischen Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum. Jahrzehntelang habe das normative Konzept der Dienstgemeinschaft der Arbeitsrealität in den kirchlichen Betrieben entsprochen.
Doch seit den 90er-Jahren herrscht in der Sozialbranche ein scharfer Wettbewerb. Die staatlichen Budgets für Sozialleistungen sind knapp. Alle Sozialbetriebe, auch die kirchlichen, kämpften gleichermaßen um ihr Überleben am Markt, sagt der Sozialwissenschaftler Norbert Wohlfahrt:
"Damit begann die Geschichte sozusagen der Zersplitterung der Tariflandschaft bis hin dazu, dass erhebliche Teile der Belegschaften sich in Haustarifen befinden, die sich wechselseitig unterbieten. Es ist eine vollkommene Durchflexibilisierung eines Marktes, der aber unter Kostendruck steht, und der diesen Kostendruck an das Personal weitergibt."
Norbert Wohlfahrt ist Mit-Autor einer Studie über Leiharbeit und Ausgründungen in diakonischen Betrieben, die die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung in Auftrag gegeben hatte. Das Ergebnis: Um zu sparen, hat die Diakonie Geschäftsbereiche wie Wäscherei oder Putzdienste flächendeckend in Servicegesellschaften ausgegliedert. Das sind oft hundertprozentige Töchter der diakonischen Einrichtungen, häufig sogar mit derselben Geschäftsführung. Die Löhne allerdings sind niedriger. Auch Leiharbeit ist der Studie zufolge in diakonischen Betrieben gängige Praxis, selbst wenn ihre Bedeutung zurückgeht.
300 Mitarbeitervertretungen wurden für die Studie befragt, die zwar nicht repräsentativ ist, nach Aussage von Wohlfahrt aber einen guten Einblick in die Strukturen der diakonischen Arbeitswelt gibt. Sein Fazit: Die Diakonie nutze den dritten Weg, um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.
Norbert Wohlfahrt: "In einem sozialen Dienstleistungssektor, der nach Wettbewerbskriterien sortiert ist, in dem auch Caritas und diakonische Geschäftsbetriebe – wie alle anderen sozialen Betriebe am Markt agieren, dort versuchen, sich durchzusetzen, ihre Geschäftsteile zu vergrößern, in einer solchen Branche, in der die Personalkosten ein entscheidender Faktor sind, um am Markt zu reüssieren, braucht es eine ordnungspolitische Basis. Und die wird durch den dritten Weg torpediert."
Was die Sozialforscher ermittelt haben, das erlebt auch Sarah Gevers am Evangelischen Krankenhaus in Bielefeld. Ausgründungen, Leiharbeit, schlechte Arbeitsbedingungen: All das kennt die Krankenschwester aus ihrem Arbeitsalltag:
"Wir haben versucht, zu verhindern, dass die Küche, die Reinigung, die Physiotherapie ausgegliedert werden, aber es ist uns in dem Punkt nicht gelungen. Es hat alle diese Ausgründungen gegeben. Und es gibt jetzt insgesamt - ich weiß nicht wie viele - Tochterunternehmen, die jetzt andere Löhne zahlen und andere Arbeitsbedingungen bieten, als das vorher für die Kollegen der Fall war."
Das sei doch eine merkwürdige Art, die christliche Dienstgemeinschaft zu definieren, sagt Sarah Gevers:
"Ich weiß nicht, warum ich, wenn ich mit dem Patienten spazieren gehe oder Medikamente austeile, Teil der Dienstgemeinschaft sein darf, während die Frau, die den Mülleimer leert und die Frau, die das Essen austeilt, nicht Teil dieser Dienstgemeinschaft sind. Aber so ist es."
Der Arbeitsrechtler Gregor Thüsing sieht es anders. Ausgründungen seien gerechtfertigt, wenn es um kirchenferne Tätigkeiten gehe:
"Wenn ich als Kirche einen Träger habe, der selber keinen spezifisch-kirchlichen Zweck erfüllt, dann unterliegt der auch nicht dem kirchlichen Arbeitsrecht. Mit anderen Worten: Die Andechser Klosterbrauerei zum Beispiel stellt Bier her. Da der Verzehr und die Produktion von Bier aber nicht spezifisch kirchliche Aufgabe ist und auch nicht aus ihrem Selbstverständnis heraus geboren ist, würde niemand auf die Idee kommen, von diesen Mitarbeitern hier besondere Loyalitätspflichten zu erwarten."
Der Soziologe Norbert Wohlfahrt und die Mitautoren der Studie kritisieren außerdem ein starkes Machtgefälle zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in den diakonischen Betrieben. Nach Analyse der Wissenschaftler sind die Mitbestimmungsrechte der Mitarbeitervertretungen in Kirche und Diakonie wesentlich schwächer als die von Betriebs- oder Personalräten. Entsprechend schlecht sei ihre Position in den arbeitsrechtlichen Kommissionen, die Löhne und Gehälter aushandeln.
Auch die Krankenschwester Sarah Gevers fühlt sich nicht gut vertreten. Besonders ungerecht findet sie,
"dass die Arbeitgeberseite da Vollprofis hinschickt, die wahrscheinlich Jura und BWL studiert haben und die sich in der Materie enorm gut auskennen, während die Arbeitnehmerseite halt ihre eigenen Vertreter schickt. Das heißt: Basismitarbeiter, die bestimmt alle hervorragend weitergebildet sind. Aber das sind Küster, Krankenpfleger und Techniker, die da sitzen, die das teilweise schon sehr lange machen, aber eben Laien sind in dem was da verhandelt wird."
Norbert Wohlfahrt findet das besonders skandalös, weil sich die Arbeitgeberseite im Verband diakonischer Dienstgeber organisiert hat und auf diese Weise ihre Interessen vertritt:
"Man muss ganz dezidiert sagen, dass gegenwärtig die Praktizierung des Dienstrechtes eigentlich nur dem Zweck dient, die Gewerkschaften aus der Gestaltung der Arbeitsbeziehungen herauszuhalten. Und jetzt frage ich Sie: Wenn man die Gewerkschaften angesichts einer Landschaft, in der sich Arbeitgeberinteressen direkt formieren, heraushalten will, wem dient dann sozusagen das Konzept der Dienstgemeinschaft?"
Die kirchlichen Arbeitgeber wollen die Vorwürfe der Gewerkschaften nicht auf sich sitzen lassen. Sie konterten mit einer eigenen Studie. Vor einigen Wochen veröffentlichten das Diakonische Werk der EKD, die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe und der Verband Diakonischer Dienstgeber eine eigene Mitarbeiterbefragung. Auch die Kirchenvertreter haben keine repräsentativen Ergebnisse. Immerhin basiert ihre Studie aber auf einem wesentlich größeren Datensatz. Danach sind nur gut ein Prozent aller Diakonie-Beschäftigten Zeitarbeiter, der Anteil ausgegliederter Servicegesellschaften liegt unter zehn Prozent.
Diese Ergebnisse sorgten für Erleichterung in der Diakonie. Jörg Kruttschnitt ist im Vorstand des Diakonischen Werks, in dem auch die klagenden diakonischen Landesverbände organisiert sind:
"Diese Vermutungen, die durch die Hans-Böckler-Studie geäußert worden sind, können wir aufgrund unserer Überlegungen nicht verifizieren. Wir haben festgestellt, dass es relativ wenig Ausgründungen sind, dass die Tarifgebundenheit im Vergleich relativ hoch ist."
Nach Ansicht von Kruttschnitt ist die Studie ein weiterer Beleg dafür, dass der dritte Weg in kirchlichen Betrieben nach wie vor geeignet ist:
"Man braucht das Streikrecht bei uns nicht. Das ist unsere Auffassung. In der Lohnfindung ist der dritte Weg im Großen und Ganzen da, wo die gesamte tarifgebundene Branche sich auch bewegt. Die Ergebnisse, die im dritten Weg erzielt werden, sind tendenziell im oberen Drittel des ganzen Feldes."
Tatsächlich sind die Lohnabschlüsse bei Kirche und Diakonie häufig besser für die Beschäftigten als die Abschlüsse, die Verdi erzielt. Detlev Fey, Referent für Arbeitsrecht bei der EKD, rechnet vor:
"Nehmen wir die einfachsten beruflichen Tätigkeiten für ungelernte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ohne dass ich damit eine Wertung dieser Tätigkeit verbinden möchte. Nach unseren Tarifen bekommt man dafür in der Stunde um die 9 Euro, 100 Euro Kinderzulage für jedes Kind, eine hochwertige, arbeitgeberfinanzierte betriebliche Altersversorgung, 26 Wochen Krankheitsleistungen vom Arbeitgeber. Ich kenne keinen anderen Tarifvertrag in der freien Wirtschaft, der derartig hohe Leistungen bietet."
Die Vorwürfe der Gewerkschaften nehme er trotzdem ernst, sagt Detlev Fey. Tatsächlich gebe es einzelne Einrichtungen, die das kirchliche Arbeitsrecht nicht einhielten:
"Das wird zu Recht kritisiert, es wird auch zu Recht kritisiert, dass wir vielleicht etwas zu spät begonnen haben, dagegen Maßnahmen zu ergreifen. Seit einiger Zeit tun wir das, und das geht soweit, dass einige Einrichtungen auch aus der Diakonie ausgeschlossen worden sind. Wir wollen, dass die kirchlichen Gehälter bedient werden."
Grund für den heftigen Streit zwischen Verdi und der Diakonie dürfte auch sein, dass die Gewerkschaft in der Sozialbranche nur wenige Mitglieder und damit kaum Einfluss hat. Auch deshalb kämpft Verdi so energisch um das Tarifvertragsrecht in den großen kirchlichen Wohlfahrtsverbänden.
Dabei formulieren beide Seiten eigentlich das gleiche Ziel: einheitliche Löhne im gesamten Sozialsektor.
Detlev Fey: "Wenn es eine Flächenregelung gäbe, die für allgemeinverbindlich erklärt würde, für alle Marktteilnehmer im Sozial- und Gesundheitswesen, für alle gemeinnützigen Einrichtungen, für alle privaten Einrichtungen, wären wir dafür und sind bereit, uns daran zu beteiligen. Weil dann der Wettbewerb nicht mehr über die Lohnkosten ausgeübt werden könnte, sondern über die Qualität. Und das ist genau das, was wir uns wünschen."
Frank Bsirske: "Dann hoffe ich sehr, dass wir uns an einen Tisch setzen und wir gemeinsam, die Diakonischen Werke und Verdi, über ein gemeinsames Tarifniveau verhandeln, ohne dass es dazu eines Streiks bedarf."
Das Problem allerdings: Die Kirchen sind zwar bereit, mit den Gewerkschaften über einen Branchenlohn zu verhandeln – sie wollen aber an ihrem, in der Verfassung verankerten Recht auf Selbstbestimmung festhalten und den dritten Weg nicht aufgeben. Das wiederum kommt für Verdi nicht in Frage: Die Gewerkschaft akzeptiert keine kirchlichen Sonderregelungen und kein Streikverbot – sie will vollwertige Tarifvertragspartei sein.
Es ist unwahrscheinlich, dass der Streit mit einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom Tisch ist. Im Gegenteil. Die unterlegene Seite – egal ob Diakonie oder Verdi – wird vermutlich das Bundesverfassungsgericht und möglicherweise auch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen.
Die Krankenschwester Sarah Gevers hofft, dass die Richter den Gewerkschaften den Rücken stärken. Und sie demnächst auch streiken darf. Das sei schließlich nichts Unchristliches:
"Ich glaube, dass es eigentlich etwas zutiefst Christliches ist, sich gegen Unrecht aufzulehnen. Also, wenn Menschen ungerecht behandelt oder als Mitarbeiter schlecht gepflegt werden und sich dagegen wehren möchten, weiß ich nicht, was Jesus Christus dazu gesagt hätte. Der hätte das vielleicht sogar ganz okay gefunden!"