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Streit um Denkmalschutz
Sehnsucht nach der Stalinzeit?

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden viele Helden-Statuen aus Moskau verbannt. So auch mit der Plastik von Felix Dserschinski, der Gründer des Sowjet-Geheimdienstes. Die Kommunistische Partei organisiert nun ein umstrittenes Referendum, um Dserschinski wieder auf seinen Sockel zu hieven. Manche hätten lieber ein Denkmal für Präsident Putin.

Von Florian Kellermann |
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    Lubjanka, das Gebäude der russischen Geheimdienste in Moskau. (Deutschlandradio / Gesine Dornblüth)
    Auf dem Lubjanka-Platz in Moskau fehlt etwas. Das Podest in der Mitte ist leer, darüber können das Gras und die Blumen-Rabatte kaum hinwegtäuschen. Hier stand einst die Statue von Felix Dserschinski. Sie passte zum vierstöckigen, gelblichen Gebäude gegenüber, das auch "Lubjanka" genannt wird. Denn hier war einst der erste Sowjet-Geheimdienst "Tscheka" untergebracht, den Dserschinski gegründet hat. Auch die Nachfolge-Organisationen NKWD und KGB hatten hier ihren Sitz.
    Eine Gruppe von Rentnern zieht über den Platz, aus ihrem Kassettenrekorder dudeln kommunistische Lieder. Sie setze sich dafür ein, dass das 1991 gestürzte Denkmal wieder hierher zurückkommt, sagt eine 75-Jährige, die ihren Namen nicht nennen will.
    "Als ich klein war, habe ich gehört, wie sich meine Eltern unterhalten haben. Mein Vater hat gesagt, dass Dserschinski viele Kinder gerettet hat. Es gab damals viele, die ihm ihr Leben verdankt haben. Außerdem sollen alle Länder ihre Denkmäler erhalten, die gehören doch zur Geschichte."
    Die Tscheka unter Dserschinski soll sich Anfang der 1920er Jahre tatsächlich an der Gründung von Waisenhäusern beteiligt haben. Am "Roten Terror" nach der Oktoberrevolution, für den Dserschinski mitverantwortlich war, ändert das freilich nichts. Ebenso wenig an den Tausenden Gefangenen, die der Geheimdienst im Lubjanka-Gebäude zum Teil auf grausamste Weise folterte.
    Und so sammelt die Kommunistische Partei derzeit Unterschriften für ein Referendum, damit die Moskauer abstimmen können, ob Dserschinski den Skulpturenpark an der Moskwa verlassen und auf den Platz zurückkehren soll. Der Stadtrat hat schon zugestimmt. Menschenrechtler kritisieren die Denkmalinitiative als eine Beleidigung der Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft.
    Lieber eine Putin-Statue?
    Im Büro der örtlichen Kommunisten sitzt eine Gruppe junger Menschen, unter ihnen Waleria Choditschenkowa, eine 23-jährige Geschichtsstudentin:
    "Dserschinski hat ein beeindruckendes Arbeitspensum absolviert. Er hat 20 Stunden pro Tag gearbeitet. Wenn das Denkmal an seinen Ort zurückkehrt, wäre das außerdem eine Mahnung an die Feinde Russlands - die im Inneren wohlgemerkt. Denn die Tschekisten haben die Feinde der Revolution bekämpft, aber auch korrupte Funktionäre. Dserschinski steht für eine Gerechtigkeit, zu der wir zurückkehren müssen."
    Formal müssen knapp 150.000 Menschen zustimmen, damit es zum Referendum kommt. Aber viele kommen an diesem Nachmittag nicht in das Büro der Kommunistischen Partei, um sich in die Liste einzutragen. Kritiker behaupten, das sei egal. Letztendlich entscheide ohnehin die Staatsmacht, denn in Russland ist Geschichtspolitik Chefsache. Und Präsident Putin rehabilitiert nach und nach die alten Helden der Sowjetunion. Im vergangenen Jahr gab er einer Spezialeinheit des Innenministeriums den Namen Dserschinski-Division zurück. Die Rückkehr des Denkmals auf dem Lubjanka-Platz wäre ein noch viel stärkeres Symbol.
    Auch für Stalins Politik findet Putin zunehmend warme Worte. Zu Recht, meint die junge Kommunistin Waleria.
    "Stalin war eine umstrittene Persönlichkeit. Aber wir sollten uns mit unserer Geschichte versöhnen und einen Teil der Denkmäler von ihm wieder errichten. Das ist doch nicht anders als etwa in Frankreich. Napoleon ist auch eine umstrittene Figur, und die Franzosen sind stolz auf ihn. Er ist für den Tod von Millionen Franzosen verantwortlich und hat seinen Krieg verloren. Stalin hat den Zweiten Weltkrieg gewonnen."
    Aber längst nicht allen Russen ist die Vergangenheit so wichtig. Der Kommunismus sei doch vorbei, sagt der 32-jährige Igor Melikow, der sich auf dem Lubjanka-Platz auf einer Bank ausruht.
    "Ich bin eher dafür, Präsident Putin ein Denkmal zu setzen. Er hat uns aus diesem Loch herausgezogen, in das uns sein Vorgänger Jelzin hineingebracht hat. Jetzt ringen wir wieder mit den USA, wer die Weltmacht Nummer eins ist. Wir sind stärker, weil wir mehr Bodenschätze haben. Das Einzige, was uns noch ein bisschen fehlt, sind moderne Technologien."
    Für Igor ist der Kommunismus also Vergangenheit, aber die sowjetischen Denkmuster sind es noch lange nicht. Deshalb werde er auch nicht protestieren, wenn Dserschinski wieder vor der Lubjanka steht.