Fulvio, die grau melierten langen Haare zum Zopf zusammengebunden, drückt eine Zigarette in den überfüllten Aschenbecher seines alten Kleinwagens. Teilweise einhändig steuert er durch die immer enger werdenden Kurven. An einigen Stellen liegen nur wenige Zentimeter zwischen den Reifen seines Wagens und dem Abgrund. Nach einer Viertelstunde angespannten Mitfahrens öffnet sich der Weg.
Vor uns liegt ein Bergpanorama, oben mit dem Gipfel des fast 3.000 Meter hohen Monte Orsiera. Unten führt in einem engen Tal eine auf langen Pfeilern stehende Autobahntrasse von einem Berghügel in den anderen, darunter eine riesige, weitgehend leer stehende Baustelle, die hermetisch abgeriegelt ist.
"Hier sind wir an der Baustelle des Maddalena-Erkundungstunnels. Wie man sieht, ist er absolut militärisch gesichert. Das ist NATO-Stahldraht. Es gibt einen doppelten Zaun, überall Überwachungskameras. Jetzt ist schon einiges abgebaut worden, denn seit der Erkundungstunnel fertiggestellt ist, wird hier seit rund zwei Jahren praktisch nicht mehr gearbeitet."
Polizeikontrollen an der Baustelle
Dieser Erkundungstunnel in den westlichen Alpen, nur über haarsträubend gefährliche Wege mit dem Auto zu erreichen, ist der draußen bislang einzig sichtbare Ort eines Projekts, das Italien seit Jahrzehnten in Atem hält: Die geplante Hochgeschwindigkeitsbahntrasse Turin-Lyon, kurz TAV genannt. Der Kurzslogan "No TAV" ist der Name einer der mittlerweile ältesten Protestbewegungen Italiens und steht für erbitterten Widerstand gegen den Bau.
Immer wieder gibt es Ausschreitungen am Rande von "No TAV"-Demonstrationen. Wie 2011, als 60.000 Menschen gegen den Bau der Bahnstrecke protestierten.
Die Proteste in der idyllischen Berglandschaft endeten mit dem Einsatz von Wasserwerfern und Tränengas, zahlreiche Demonstranten und Polizisten wurden verletzt. Wer sich dem Baustellengelände nähert, muss mit Polizeikontrollen rechnen.
Fulvio geht von seinem geparkten Auto ein paar Schritte den Berg hinauf zu einem Holzverschlag mit einem langen Tisch und mehreren Sitzbänken. Vor der Hütte flattern "No-TAV"-Fahnen, auf ein Holzschild hat jemand "Libera Repubblica della Maddalena", Freie Republik Maddalena geschrieben.
"Dieses Gebiet, auf dem wir jetzt sind, ist für uns frei zugänglich, weil wir es gekauft haben. Daher haben wir das Recht hierher kommen, wann wir wollen. Zumindest in der Theorie. In Wirklichkeit aber ist es nicht so, denn wenn wir hier Demonstrationen oder auch nur Veranstaltungen organisieren, dann blockieren sie den Weg hierher an der Brücke mit Zäunen und Ordnungskräften und so weiter."
Zerstörung der Natur
No TAV, das ist ein bisschen Stuttgart 21, ein bisschen Gorleben, ein bisschen Rote Flora. Fulvio ist seit mehr als 15 Jahren dabei, einige Zeit, nachdem es die ersten großen Demonstrationen gegeben hatte. Damals war Fulvio Mitte 40, stand als Elektriker bei Philips im Berufsleben. Politisch war er schon immer interessiert. Dass jetzt durch seine heimische Bergwelt ein Tunnel gegraben werden sollte, wollte er nicht akzeptieren. Ein Tunnel, der seiner Ansicht nach die Natur zerstört, mit jahrzehntelangen Arbeiten und gigantischen Baustellen die Region belastet und zu viel Geld kostet. Außerdem, so Fulvio, sei das Gestein im Bauch des Berges mit giftigen Mineralien durchsetzt.
"Alle Berge dieses Tals, und nicht nur dieses, enthalten weißen Asbest, das weiß man. Bei den Grabungen für den Erkundungstunnel, mit dem sie die geologische Beschaffenheit des Berges überprüfen wollten, ist dies bestätigt worden. Und in den Bergmassiven, die sie für den richtigen Tunnel öffnen wollen, gibt es außerdem zahlreiche Spuren von Uran und Radon. Und da kann man sich vorstellen, welche Gefahren durch dieses Projekt für die Umwelt ausgehen."
"Alle Berge dieses Tals, und nicht nur dieses, enthalten weißen Asbest, das weiß man. Bei den Grabungen für den Erkundungstunnel, mit dem sie die geologische Beschaffenheit des Berges überprüfen wollten, ist dies bestätigt worden. Und in den Bergmassiven, die sie für den richtigen Tunnel öffnen wollen, gibt es außerdem zahlreiche Spuren von Uran und Radon. Und da kann man sich vorstellen, welche Gefahren durch dieses Projekt für die Umwelt ausgehen."
Fulivo, mittlerweile 66 Jahre alt, hat seinen Job bei Philips schon lange aufgegeben, der Protest gegen die TAV bestimmt seinen Alltag. Das wenige Geld, das er braucht, verdient er als einer der Verantwortlichen des spendenfinanzierten Informationszentrums in Venaus.
40 Prozent des Warenverkehrs könnte auf diese Schiene
Auf der anderen Seite des Tals sitzt der fast gleichaltrige Silvano Ollivier in Jeans und lilafarbenen Pullover in seinem Amtszimmer. Ollivier, ein Glatzkopf mit rundem, fröhlichem Gesicht, ist Bürgermeister des 1.000-Einwohner-Orts Chiomonte. Der 67Jährige hat sich, im Gegensatz zum No-TAV-Aktivisten Fulvio, dem Kampf für die Hochgeschwindigkeitsbahntrasse verschrieben.
"Das ist ein internationales Projekt. Wenn wir unser Tal anschauen, dann sind hier Hannibal, die Araber und Napoleon durchgezogen. Das ist ein Durchgangstal. Ein Blick auf die Europa-Karte zeigt, dass wir hier in der Mitte liegen. Entweder man kommt hier durch oder man kommt nirgendwo hin. Hier nicht durchzugehen mit diesem Projekt würde heutzutage bedeuten, das Piemont und den Norden Italiens von den internationalen Transportwegen abzuschneiden."
Die Europäische Union sieht das ähnlich. Die Bahnstrecke Turin-Lyon ist Teil des europäischen Verkehrswegeplans, weswegen EU-Kommissionspräsident Juncker kürzlich persönlich im italienischen Fernsehen für Unterstützung für das Bahnprojekt warb.
"Europa, die Europäische Union, kofinanziert dieses Projekt. Es ist aus unserer Sicht sehr wichtig, aus wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Gründen. Bislang werden hier nur 8,8 Prozent der Waren auf der Schiene transportiert. Wenn man diesen Tunnel baut, der das noch fehlende Glied zwischen Portugal und Ungarn ist, würden 40 Prozent der Waren auf der Schiene transportiert. Es lohnt sich also diesen Tunnel zu bauen."
Der verbissen geführte Konflikt in der nordwestlichsten Ecke Italiens hat bereits zu einer kuriosen Wende in der Bauplanung geführt. Der Haupttunnel soll nicht von außen gebohrt werden, sondern aus dem Inneren des Berges – mit Zugang für die Maschinen und Arbeiter über die Baustelle des Erkundungstunnels. Eine Variante, die gewählt worden sei, erläutert Ollivier, weil der Eingang des Erkundungstunnels im Maddalena-Tal für Proteste schwer zu erreichen ist:
"Sie haben aufgrund der Demonstrationen gegen das Projekt entschieden, die Baustelle in Chiomonte auch für die weiteren Arbeiten zu nutzen. Also die Tunnelbohrung wird nicht von dort ausgeführt, wo der Zug mal hineinfährt, von Susa, sondern von Chiomonte Richtung Susa. Deswegen sitzen wir mitten drin in dieser Sache."
Bauarbeiten werden versteckt - der Proteste wegen
Konkret bedeutet dies: Die Baumaschinen sollen vom Ende des Erkundungstunnels, fernab aller Blicke und Proteste, im Bauch des Berges, die eigentliche Tunnelröhre in der Form eines Ts Richtung Ausgang in Italien und Frankreich graben. Eines der derzeit größten Bahnbauprojekt Europas wird aus Angst vor Protesten unter der Erde versteckt. Ollivier, der TAV-Befürworter, verteidigt diese Entscheidung. Untersuchungen zeigten, dass alle Umweltwerte in der Umgebung während der Erkundungsarbeiten unverändert geblieben sind. Dagegen hätte die Proteste seinem Ort Chiomonte in vergangenen Jahren geschadet, sagt Ollivier. Ein wichtiger Wirtschaftsfaktor sei komplett weggebrochen.
"Der Tourismus, der ein Tourismus der Naherholung war, aber sehr viele Urlauber, unter anderem aus Turin hierhergebracht hat für die Sommerfrische oder im Winter für einen Kurz-Skiurlaub, dieser Tourismus hat stark gelitten. Statt nach Chiomonte zu kommen und sich mit den Enkelkindern mitten in einer Demonstration wiederzufinden, sind sie ins Pinerolo- oder ins Lanzo-Tal."
Aus dem Tal wurde "eine Wüste aus Zement und Maschinen"
Rund 30 Millionen Euro will Rom den vom Bau betroffenen Gemeinden in der Region als Ausgleichszahlungen zur Verfügung stellen. Ollivier hofft auf Geld auch für Chiomonte, unter anderem, um endlich Erdgas in den Ort zu holen und brachliegende Weinberge wieder zu beleben. Für die TAV-Gegner in der Region ist Ollivier ein Verräter, der sich durch Geldversprechen für seine Gemeinde kaufen lässt. Sehr verbreitet ist diese Stimmung im 15 Kilometer entfernte Bussoleno, mit über 6.000 Einwohnern einer der größeren Orte des Tals. Der Ton gegenüber Journalisten ist hier rau. Eine kleine Verspätung, die mit einem vorherigen Besuch beim Pro-TAV-Bürgermeister in Chiomonte begründet wird, führt fast zur Absage des vereinbarten Gesprächstermins.
Nach kurzer Diskussion kommt es dann aber doch zum Treffen in "La Credenza". Ein Ort, in einer Seitenstraße des Zentrums von Bussoleno, der zeigt, wie selbstverständlich die No-TAV-Bewegung hier Teil des täglichen Lebens ist. "La Credenza" ist im Erdgeschoss eine abends von den Einwohnern Bussolenos gut besuchte Osteria, oben ein politischer Versammlungsraum, im Seitenflügel gibt es Übernachtungsmöglichkeiten für Aktivisten, die aus anderen Gegenden Italiens oder dem Ausland anreisen. Nicoletta Dosio, eine der Symbolfiguren der TAV-Gegner, geht hier ein und aus. Die Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke, sagt die Frau, die hier alle nur beim Vornamen nennen, zerstöre einen Teil der Natur, das beginne schon mit der Baustelle im Maddalena-Tal.
"Da haben sie 30 historische Bäume gefällt. Das waren Kastanien, die 280 Jahre alt waren. Sie haben sie entwurzelt, sodass da nichts mehr wachsen kann. In diesem schönen Gebiet, in dem die Natur lebte, das in Harmonie war mit unserem Leben hier. Und jetzt ist daraus eine Wüste aus Zement und Maschinen geworden."
Stuttgart 21 ist in Bussoleno ganz nah. Die jahrelangen Proteste gegen das Bahnprojekt in Baden-Württembergs Hauptstadt haben sie hier mit Sympathie und Bewunderung verfolgt. Nicoletta ist damals zu mehreren Demonstrationen nach Stuttgart gefahren, um die Proteste zu unterstützten."
Stuttgart 21 ist in Bussoleno ganz nah. Die jahrelangen Proteste gegen das Bahnprojekt in Baden-Württembergs Hauptstadt haben sie hier mit Sympathie und Bewunderung verfolgt. Nicoletta ist damals zu mehreren Demonstrationen nach Stuttgart gefahren, um die Proteste zu unterstützten."
"Da ging es um genau das Gleiche. Gegen die Hochgeschwindigkeitsbahn, gegen die Zerstörung der Umwelt. Diese Welt braucht ein Gefühl für Grenzen. Es gibt nicht nur uns Menschen, es gibt die Bäume, die Natur. Unser Leben muss sich gründen auf ein Ökosystem, das dies alles berücksichtigt sonst stirbt das Leben."
Staat und Protestler geraten hart aneinander
Während Öko-Bewegungen und Anti-Systemproteste anderswo eher von Jüngeren getragen werden, stehen hier vor allem Ältere in der ersten Reihe. Viele der No-TAV-Gegner sind Rentner, Mitte 60 oder älter. Die italienischen Ordnungsbehörden werfen ihnen besondere Radikalität und Militanz vor. Innerhalb von vier Jahren gab es rund 1.000 Ermittlungsverfahren; in 200 Fällen wurden Bahngegner zu Geld- oder Freiheitsstrafen verurteilt. Auch gegen Nicoletta hat die Staatsanwaltschaft bereits zwanzig Mal ermittelt. Verurteilt wurde sie unter anderem wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, Werfens von Feuerwerkskörpern und gewalttätigen Übergriffen. Unter anderem soll sie bei einer Demonstration ein Seil mit einem Haken daran geworfen haben, um einen Zaun niederzureißen. Zeitweise stand sie unter Hausarrest. Nicoletta ist 73 Jahre alt und war früher Gymnasiallehrerin für Alt-Griechisch. Domenico Bruno ist ehemaliger Eisenbahner, jetzt 71 Jahre alt und ebenfalls einer der Wortführer der No-TAV-Bewegung. Er wehrt sich gegen den Vorwurf, die Bahngegner seien gewalttätig.
"Ich habe nie in meinem Leben ein Strafmandat wegen Falschparkens erhalten, weil ich die Vorschriften respektiere. Mittlerweile aber habe ich fünf Anzeigen wegen Gewalt, wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt. Hier wollen sie, dass wir zu Hause auf dem Sofa sitzen und Fernsehen gucken. Unsere Gewalt war, dass wir mit kleinen Steinen geschlagen haben gegen Gitter, die verhindern, dass wir da hinkommen, wo wir immer hingegangen sind. Was wir gemacht haben, war unsere Art, Unzufriedenheit zu zeigen über das, was hier geschieht."
Bahnprojekte anderswo sinnvoller - sagen die Gegner
Die harte Hand des Staates habe sie so aufrührerisch gemacht, sagt Domenico Bruno. Auch für die Altgriechisch-Lehrerin Nicoletta ist aus dem jahrelangen Protest gegen die Bahnstrecke ein grundsätzlicher Widerstand gegen, wie sie in der Diktion einer Autonomen sagt, "das System" geworden.
"Wir sind gegen dieses Projekt, weil wir gegen das Entwicklungsmodell sind, für das dieses Projekt steht. Die großen Projekte nutzen in Wirklichkeit nicht der Bevölkerung. Wir brauchen keine Hochgeschwindigkeitsbahn, weil wir in diesem Tal schon eine internationale Bahnverbindung haben, die nicht ausgelastet ist. Sie könnte besser genutzt werden, aber das wird nicht gemacht, weil große Interessen dahinterstecken. Wir sind für kleine sinnvolle Projekte. In Italien ist mehr als die Hälfte des Eisenbahnnetzes noch einspurig. Es gibt ganze Regionen, die sich nicht per Bahn bewegen können. Also, die Bedürfnisse sind andere."
Eine 73Jährige und ein 71Jähriger als Wortführer der TAV-Gegner in Bussoleno, eine Art "Grauer Block" der Protestbewegung. Bei Demonstrationen, sagen die Älteren, seien sie bewusst in der ersten Reihe – sie hätten nicht zu verlieren. Jüngere könnten durch Anzeigen und Verurteilungen ihre Zukunft ruinieren. Zu den Jüngeren zählt Gaia. Sie ist Schülerin, 19 Jahre alt und wie viele ihrer Generation umweltbewegt. Im Fall der TAV gegen das Verkehrsmittel Bahn zu protestieren, sei für sie kein Widerspruch.
"Der Zug könnte ökologisch vertretbarer sein. Aber es ist gezeigt worden, dass dieses Projekt angesichts der Kosten eben nicht sinnvoll ist, es ist im Gegenteil schädlich. Ich war vor kurzem auf einer Demonstration in Rom, unter anderem für den Klimaschutz. Dort wurde auch darauf hingewiesen, wo die Eisenbahn und andere Fortbewegungsmittel sinnvoller und weniger schädlich für die Umwelt sind. Nicht nur hier bei uns im Tal, sondern beispielsweise in Kampanien oder in der Hauptstadt Rom."
26 Milliarden - das teuerste Bahnprojekt in Europa
Zwei Gegenden in Italien, die immer wieder wegen des schlechten Zustands ihrer öffentlichen Verkehrsmittel Schlagzeilen machen. Das Geld kann sinnvoller ausgegeben werden - das ist neben den befürchteten Schäden für die Umwelt das zweite große Argument der TAV-Gegner. In der Tat ist die Hochgeschwindigkeitsstrecke Turin-Lyon mit geplanten Ausgaben von insgesamt 26 Milliarden Euro eines der teuersten Bahnprojekte in Europa – dreimal so kostspielig wie die kalkulierten Ausgaben von Stuttgart 21. Allein der Tunnel zwischen Italien und Frankreich verursacht Kosten von knapp neun Milliarden Euro, die, mit unterschiedlichen Anteilen, von Rom, Paris und Brüssel gemeinsam getragen werden.
In Italien haben die Mitte-Links-Regierungen der vergangenen Jahre, ebenso wie die Regierungen unter Silvio Berlusconi, das Projekt für den Tunnelbau vorangetrieben. Jetzt tritt mit der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung erstmals eine Regierungspartei auf die Bremse. Ein neues Gutachten, das das von der Fünf-Sterne-Bewegung geführte Verkehrsministerium in Auftrag gegeben hat, bezweifelt die langfristige Wirtschaftlichkeit des Tunnels. Im Streit mit dem Regierungspartner Lega, der für die TAV ist, drohte im März sogar der Bruch der Koalition. Die Fünf-Sterne-Bewegung hat ein Nein zur TAV seit Jahren ihren Programmen, in der Gegend der geplanten Trasse erzielt die Partei überdurchschnittliche gute Wahlergebnisse. Verkehrsminister Toninelli von der Fünf-Sterne-Bewegung lässt keine Gelegenheit ungenutzt, um seine Abneigung gegen die TAV deutlich zu machen.
"Ich glaube, dass das wichtigste Großprojekt in diesem Land ernsthafte Instandhaltungsarbeiten sind. Das bedeutet Sicherheit für die bestehende Infrastruktur. Ich weiß, was ich antworte, wenn mich jemand fragt: Toninelli, möchtest Du fünf Milliarden Euro der italienischen Steuerzahler verwenden, um ein Loch in einen Berg zu machen, um nach Lyon zu kommen, oder beginnen Instandhaltung zu machen."
Unternehmen warten auf die Trasse
Der Konflikt innerhalb der italienischen Regierung hat das TAV-Projekt vorerst auf Eis gelegt. Die Entscheidung über grünes Licht für die Bauarbeiten an der Haupttunnelröhre wurde auf September vertagt.
Nicola Scarlatelli schüttelt darüber den Kopf. Der 62Jährige mit grauem Spitzbart, die Lesebrille ins etwas strubbelige Haar gesteckt, ist Inhaber eines kleinen Industriebetriebs in Rivoli, einer 50.000-Einwohner-Stadt am Rande Turins. Einige seiner Kollegen, sagt Unternehmer Scarlatelli, hätten im Vertrauen auf von der Politik bereits getroffene Entscheidungen Geld in die Hand genommen.
"Die ganze Branche beispielsweise die der Logistik und des Transports hat seit Jahren schon investiert. Darauf setzend, dass wir hier über ein beschlossenes Gesetz sprechen. Viele Betriebe haben sich bereits vorbereitet. Diese Verschiebungen, das Nicht-Treffen von Entscheidungen, ist ohne Frage negativ."
Auch die Fünf-Sterne-Bewegung bremst in der Regierung
An der Fertigstellung der TAV, glaubt Scarlatelli, hänge ein Großteil der wirtschaftlichen Zukunft des Piemont, eine der über Jahrhunderte wirtschaftlich erfolgreichsten Regionen Italiens. In seinem Büro in einem prächtigen Barockbau im Zentrum Turins sitzt Vincenzo Ilotte. Der 53Jährige im dunkelblauen Anzug ist Chef der regionalen Handelskammer und in den vergangenen Monaten zu einem der bekanntesten Gesichter derjenigen geworden, die die Hochgeschwindigkeitsbahn trotz aller Widerstände realisieren wollen. Die Bahn sei das umweltfreundlichste Verkehrsmittel, die CO2-Belastung könne gesenkt werden, meint Ilotte, weil mehr Waren auf der Schiene transportiert würden. Zur No-TAV-Bewegung sagt er:
"Da steckt sehr viel Ideologie dahinter. Es gibt spezifische Interessengruppen, die dieses Thema für ihre Zwecke missbrauchen und es vorantreiben. Die No-TAV-Bewegung ist ideologisch und von vornherein gegen dieses Projekt. Wie auch immer eine Kosten-Nutzen-Analyse ausfällt: Sie wird immer dagegen sein."
Weil das TAV-Projekt jetzt auch von einem Teil der Regierung gebremst wird, hat Ilotte vor einigen Wochen etwas für ihn völlig Ungewöhnliches getan. Er hat in Turin eine Demonstration organisiert - für die Bahnverbindung, unter dem Motto "Ja zu Infrastrukturen, Ja zu Arbeit, Ja zur Zukunft". Für Krawattenträger Ilotte war die Demo-Erfahrung ungewohnt.
"Es war mir in der Tat, ich will nicht sagen peinlich, aber es war etwas, das ich noch nie gemacht hatte und deswegen habe ich mich da nicht komplett wohlgefühlt. Aber es war gut und richtig. Ich bin froh, dass ich das gemacht habe, und würde es wieder machen."
Dem Aufruf Ilottes folgten 40.000 Menschen. Es war eine der größten Demonstrationen für etwas, die es in den vergangenen Jahren in Italien gegeben hat. Die Region spürt offensichtlich, dass ein jahrzehntelanger Konflikt auf den Showdown zuläuft.
Zurück zum kleinen grünen Flecken der Freien Republik Maddalena oberhalb der TAV-Baustelle und zu Fulvio. Er schüttelt mit dem Kopf. Nein, sagt er, Kompromissmöglichkeiten sehe er für sich und die meisten anderen TAV-Gegner nicht.
"Dadurch, dass wir uns seit über 20 Jahren querstellen, haben wir verhindert, dass sie mit den Arbeiten weitermachen können. Und das werden wir bis zum Ende so weitermachen. Weil für uns ist die einzige Option, die akzeptabel ist, die Option Null. Also, dass man diese Sache nicht fertigstellt."