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Streit um die "Blaue Plakette"
Kampf gegen Stickoxide in deutschen Städten

Die "Blaue Plakette" spaltet die Gemüter: Durch ihre Einführung sollen alte Diesel-Autos aus den Innenstädten verbannt werden, um die Schadstoff-Belastung zu senken. Während einige Bundesländer darin eine Bedrohung ihrer heimischen Wirtschaft sehen, werben andere für eine schnelle Umsetzung. Eine Lösung auf Bundesebene ist nicht in Sicht.

Von Axel Schröder |
    Eine Hand hält am 05.10.2016 einen Designvorschlag des Verkehrsministeriums Baden-Württemberg in der Innenstadt von Stuttgart (Baden-Württemberg) vor vorbeifahrenden Autos (gestellte Szene).
    Die "Blaue Plakette" war Thema der zweitägigen Verkehrsministerkonferenz Anfang Oktober 2016. (dpa/picture-alliance/Bernd Weißbrod)
    Frühmorgens und nach Feierabend schiebt sich der Verkehr über die Hamburger Max-Brauer-Allee, durch die Habicht-, die Kieler oder die Stresemannstraße. Tagtäglich werden hier Stickstoffdioxid-, also NO2-Konzentrationen weit über dem Grenzwert gemessen. In München ist die Landshuter Allee betroffen, in Stuttgart das Neckartor. Bundesweit werden in 80 Städten die Grenzwerte überschritten. Die Folgen für Anwohnerinnen und Anwohner sind Studien gravierend. Untersuchungen belegen das:
    "Aus diesen Studien weiß man, dass NO2 in Konzentrationen oberhalb des Grenzwertes - es gibt auch Hinweise, dass es auch unterhalb dieses Grenzwertes solche Effekte gibt - dazu führt, dass Menschen früher sterben."
    Marcel Langner leitet den Fachbereich "Grundsatzfragen der Luftreinhaltung" im Umweltbundesamt. Er nennt auch Zahlen der Europäischen Umweltagentur: demnach gibt es jedes Jahr allein in Deutschland 10.000 vorzeitige Todesfälle durch zu hohe Stickstoffdioxid-Emissionen. Die stammen aus Kaminen und Industrieanlagen, aus Schiffsmotoren und Kraftwerken, vor allem aber aus den Verbrennungsmotoren von Diesel-Fahrzeugen, die nicht die bislang strengste Abgasnorm "Euro 6" erfüllen. Genau diese PKW und LKW sollten deshalb besser früher als später aus dem Verkehr gezogen werden, so die Empfehlung des Umweltbundesamts.
    "Der Lieferverkehr wäre sicherlich zum Teil betroffen, aber wir hätten auch schon viel getan, wenn wir allein die PKWs, also die hochemittierenden Diesel-PKWs aus den Innenstädten raushalten könnten."
    Abgase entweichen den Auspuffrohren eines Autos (Jaguar) am 2201.2004 in Frankfurt am Main.
    Abgase entweichen den Auspuffrohren eines Autos in Frankfurt am Main. (picture alliance / dpa / Arne Dedert)
    "Blaue Plakette" - eine Lösung für das Stickoxid-Problem?
    Die Einführung einer "Blauen Plakette" soll das ermöglichen. Bislang haben 54 deutsche Städte Umweltzonen eingerichtet. Mittlerweile dürfen dort nur noch Fahrzeuge mit grüner Plakette hineinfahren. Die Feinstaub- und Kohlendioxid-Belastungen durch den Autoverkehr konnten so drastisch gesenkt werden. Eine zusätzliche "Blaue Plakette", ursprünglich eine Idee der "Deutschen Umwelthilfe", könnte, so Marcel Langner, nun auch das Stickoxid-Problem lösen:
    "Wir haben das mal für hochbelastete Standorte ausgerechnet. Ein solcher ist die Landshuter Allee in München. Und da könnte man dann mit einer solchen Umweltplakette und einer entsprechenden Umweltzone im Jahr 2025 damit rechnen, dass man den Grenzwert einhält. Mit allen anderen Maßnahmen, die wir so kennen, käme man nicht dahin, den Grenzwert einzuhalten. Außer man kombiniert ganz, ganz viele der kleineren Maßnahmen, sage ich mal."
    Jede Stadt darf selbst über Plaketten-Einführung entscheiden
    Der politische Kampf für und gegen die "Blaue Plakette" ist längst entbrannt. Auf der Bundes- und Landesebene und in den Städten. Die neue Plakette müsste per Bundesgesetz eingeführt werden, doch jede Stadt dürfte dann selbst über ihre Einführung und mögliche Ausnahmeregeln entscheiden. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks, SPD, hatte schon im letzten Jahr einen Vorstoß dazu gemacht, zog ihn dann aber wieder zurück. Ihr Kabinettskollege der CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt lehnt es strikt ab, den Städten auch nur die Möglichkeit zu geben, ihre Umweltzonen um eine "Blaue Plakette" zu erweitern:
    "Ich habe bisher keinen Vorschlag gesehen, der akzeptabel wäre. Alle Vorschläge, die ich kenne, zielen darauf ab, Dieselfahrzeuge schlichtweg aus den Städten grundsätzlich auszuschließen. Das ist keine praktikable Lösung. Ein grundsätzliches Verbot, das ist mit mir nicht zu machen!"
    Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) spricht am 22.09.2016 in der Debatte um den Bundesverkehrswegeplan 2030 im Deutschen Bundestag in Berlin. 
    Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) spricht am 22.09.2016 in der Debatte um den Bundesverkehrswegeplan 2030 im Deutschen Bundestag in Berlin. (dpa-Bildfunk / Wolfgang Kumm)
    Hamburg sieht Wirtschaftsverkehr bedroht
    Genau so dramatisch sieht es auch Andreas Rieckhoff, Staatsrat in der Hamburger Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation. Vor allem der Wirtschaftsverkehr in der Hansestadt wäre betroffen, wenn die "Blaue Plakette" vom Bund beschlossen und in Hamburg eingeführt würde:
    "Kein Supermarkt könnte mehr beliefert werden. Hamburg als Hafen- und Industriestadt - das sind wir ja auch zu einem ganz großen Teil -, vor allem als größter deutscher Logistikknoten, hätte praktisch keinen innerstädtischen Verkehr mehr. Das kann man sich theoretisch denken, ist aber natürlich völlig weltfremd!"
    Die Zusage der Grünen, dass es in dieser Legislaturperiode keine Umweltzone in Hamburg geben werde, sei, so Andreas Rieckhoff, die Eintrittskarte der Ökopartei in die Koalition gewesen und nicht verhandelbar.
    "Für uns wäre das Thema in Hamburg sowieso nachrangig, weil wir gar keine Umweltzone haben und wir insofern über zusätzliche Eintrittsverbote gar nicht diskutieren brauchen. Ob es eine grüne oder blaue Plakette ist, spielt für Hamburg keine Rolle. Bei uns wird die Luft auch so sauberer!"
    200.000 Hamburger leiden unter den Atemgiften
    Tatsächlich sinken an einigen Hamburger Messstellen die Stickstoffdioxid-Werte. Allerdings sehr langsam. Nach den Prognosen des derzeit gültigen Luftreinhalteplans der Stadt würden spätestens Ende der 2020er Jahre die Grenzwerte eingehalten werden. Rund 20 Jahre nach Inkrafttreten der entsprechenden EU-Regelung. Obwohl nach den Berechnungen der Hamburger Umweltbehörde rund 200.000 Menschen in der Stadt unter den Atemgiften leiden.


    Zurzeit arbeiten die Hamburger Behörden an einem neuen Luftreinhalteplan. Nicht freiwillig, sondern gezwungenermaßen: der Bund für Umwelt und Naturschutz und ein Anwohner der Max-Brauer-Allee hatten gegen die Stadt geklagt und bekamen vor dem Hamburger Verwaltungsgericht Recht. Das nun an einem verbesserten Luftreinhalteplan gearbeitet wird, reicht Manfred Braasch vom BUND Hamburg trotzdem nicht aus.
    Das Kohlekraftwerk Moorburg im Hamburger Hafen am 27. 09. 2013. 
    Das Kohlekraftwerk Moorburg im Hamburger Hafen. (Imago / Strussfoto)
    Abgas-Manipulationen verfälschen bisherige Berechnungen
    "Man hat in Berechnungen vor einiger Zeit natürlich gesagt: gut, wir haben einen technischen Fortschritt, es gibt Euro 5, Euro 6. Also wird die Stickoxidbelastung mit diesem technischen Innovationen tendenziell in den nächsten Jahren abnehmen. Das ist jetzt aber nur noch halb richtig, nachdem bekannt wurde, dass VW und andere Hersteller bei diesen Abgaswerten manipuliert haben, die in diese Berechnung eingegangen sind. Von daher muss man heute feststellen, dass der Fortschritt nicht so groß ausfallen wird, wie ursprünglich mal prognostiziert, weil einfach die realen Ergebnisse an Stickoxid-Emissionen ganz andere sind als theoretisch angenommen."
    Wie die Stadt Hamburg trotz alledem auch ohne "Blaue Plakette" zum Ziel kommen will, erklärt Jan Dube, der Sprecher der Behörde für Umwelt und Energie:
    "Da ist zum Beispiel der massive Ausbau der Fahrradwege, die "Fahrradstadt Hamburg", da ist der ÖPNV, also die neue U-Bahn-Linie, die geplant wird, diverse neue U-Bahn-Stationen. Und auch im Busverkehr viele Maßnahmen wie zum Beispiel neue emissionsfreie Busse, die wir ab 2020 nur noch anschaffen wollen. Da sind Maßnahmen im Hafen: dass die Hafenbahnen nur noch elektrifiziert fahren. Das sind alles verschiedene Maßnahmen, mit denen wir hoffen, dass die Belastung signifikant sinken wird."
    Dazu kommen noch die landseitige Stromversorgung von Kreuzfahrtschiffen und neue, sauberere Antriebstechniken für die Hafenfähren.
    Verwaltungsgerichte prüfen Luftreinhaltepläne
    Beim Thema "Blaue Plakette", hält sich Hamburgs sonst angriffslustiger grüner Umweltsenator Jens Kerstan auffällig zurück. Erst im Sommer hatte seine Empfehlung an Autokäufer, sich doch besser gegen einen Diesel zu entschieden, für heftigen Ärger in der Koalition gesorgt. Und auch Kerstans Zustimmung zum Abschlusspapier der Umweltministerkonferenz im April wird Hamburgs Erster Bürgermeister eher zähneknirschend aufgenommen haben. In dem Papier heißt es:
    "Die Umweltministerinnen, -minister und -senatoren der Länder sehen die Notwendigkeit der Einführung zusätzlicher, über die bisherigen Regelungen hinausgehender Kennzeichnungsmöglichkeiten, so dass neben gering emittierenden Benzin-, Elektro- und Hybridfahrzeugen stufenweise mittelfristig nur noch Dieselfahrzeugen mit geringen NOx-Emissionen die Einfahrt in belastete Gebiete erlaubt werden kann."
    Die Zeit drängt jedoch. Das liegt auch an den Urteilen der vielen Verwaltungsgerichte, die die bestehenden Luftreinhaltepläne untersucht haben, erklärt der Jura-Professor Michael Fehling. Er lehrt an der Hamburger Bucerius Law School.
    "Die Umweltverbände haben auch in anderen Städten ähnliche Klagen erhoben und soweit ich sehe, waren die überall erfolgreich."
    Deutschland drohen Strafzahlungen wegen EU-Vertragsverletzungen
    ... und abzuwarten sei, so Michael Fehling, was aus dem bereits eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren der Europäische Union wegen der schon sechs Jahre währenden Regel-Verstöße in deutschen Städten wird:
    Würde Deutschland am Ende dieses Verfahrens verurteilt, so würde eine entsprechende Strafzahlung erst mal die Bundesrepublik Deutschland als Gesamtstaat und damit den Bund treffen. Nach deutschem Verfassungsrecht, also innerstaatlich, hätte allerdings der Bund wieder die Möglichkeit, auf die Länder zuzugreifen. Es träfe also am Ende die Bundesländer."
    Baden-Württemberg will "Blaue Plakette" einführen
    Ganz anders als in Hamburg prescht die baden-württembergische, von den Grünen geführte Landesregierung nun vor, um neben vielen kleinen, auch einen großen Schritt zur Eindämmung der Stickoxid-Werte zu machen. Die rechtlichen Risiken spielen dabei eine große Rolle. Vor zwei Wochen erklärte Ministerpräsident Winfried Kretschmann:
    "Sollen denn nun die Gerichte Verkehrspolitik machen oder wir selber? Die Klagen sind anhängig wegen der Feinstaubwerte und wegen der Stickoxid-Emissionen, die zu oft überschritten werden. Und sie können uns dann zwingen, aufgrund der EU-Verordnung, da etwas Drastisches dagegen zu machen!"
    Nämlich zum Beispiel Fahrverbote zu verordnen, die dann nicht nur die alten, besonders schmutzigen Diesel-Fahrzeuge beträfen, sondern auch die neueren, die viel weniger NO2 ausstoßen. Letzte Woche verkündete das Landeskabinett deshalb seine Pläne für eine neue Bundesratsinitiative. Das Ziel: die Einführung einer "Blauen Plakette".
    Der Grünen-Politiker Winfried Kretschmann im Stuttgarter Landtag vor der Wiederwahl zum Ministerpräsidenten am 12.05.2016.
    Der Grünen-Politiker Winfried Kretschmann im Stuttgarter Landtag vor der Wiederwahl zum Ministerpräsidenten am 12.05.2016. (picture alliance / dpa / Marijan Murat)
    Direkt am Stuttgarter Stickoxid-Hotspot, dem Neckartor liegen die Fraktionsräume der baden-württembergischen Grünen. Die dicken Fensterscheiben halten Lärm und Abgase draußen. Und der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann gibt sich kämpferisch:
    "Es wäre ja oberpeinlich, dass man nach Jahren der Einführung der Grenzwerte auch noch sagen muss: "Wir haben es immer noch nicht hinbekommen!" Und drittens ist es natürlich auch so, dass auch individuelle Klagen anstehen, wo Gerichte uns auch Vorschriften machen und wie ich finde, ganz zu Recht! Denn schließlich sind die Grenzwerte seit vielen Jahren bekannt und die Grenzwerte werden vor allem im Stickoxid-Bereich bundesweit nicht eingehalten.."
    "Wer gegen die Blaue Plakette ist, ist gegen technischen Fortschritt!"
    Aber was hält er von den Argumenten aus dem Norden, aus Hamburg? Fürchtet der baden-württembergische Verkehrsminister nicht, dass der Wirtschaftsverkehr im Südwesten unter restriktiveren Maßnahmen leiden wird?
    "Wir glauben, dass kann man verantworten, wenn es eine gewisse Flottendurchdringung mit diesen Neufahrzeugen gibt, wenn das lange genug vorher angekündigt ist. Und man wird am Ende trotzdem Ausnahmen machen müssen. Und das ist ja auch nicht schlimm, wenn ein Handwerker, der wenige Kilometer fährt, wenn er mit seinem Spezialwagen im Prinzip nur zu einer Baustelle hinfährt und dann steht er da und irgendwann fährt er wieder weg. Da kann man sich gut eine Ausnahmegenehmigung vorstellen. Entscheidend ist, dass die vielen Kilometer, die von vielen Dieselfahrzeugen, die nicht sauber sind, gefahren werden, dass die unterbunden werden."
    Die Warnungen vor einem Kollaps des Lieferverkehrs oder vom Untergang der Taxiflotten habe es im Übrigen, so Hermann, auch schon vor zehn Jahren, bei der Einführung der bestehenden rot, gelb und grünen Umweltzonen gegeben. Längst hätten auch Gespräche mit den deutschen Autobauern stattgefunden, erklärt er. Und die "Blaue Plakette" führe eben nicht nur zu besserer Luft, sondern auch zu einem Innovationssprung in der Motorentechnik:
    "Ansonsten machen wir gerne auf Hightech und Modernisierung, Digitalisierung, Elektrifizierung… Alles Mögliche, das man gerade hypen kann, wird gemacht. Aber hier hat man eine konventionelle Antriebstechnik, die aber abgasreinigungsmäßig eine deutliche Verbesserung erfahren kann, die auch technisch vorhanden ist. Und die muss man jetzt vorantreiben. Insofern kann ich nur sagen: wer gegen die Blaue Plakette ist, ist im Grunde genommen gegen den technischen Fortschritt!"
    Winfried Herrmann
    Winfried Herrmann (picture alliance / dpa / Daniel Bockelwoldt)
    Stärkung des Automobilstandorts Stuttgart?
    Hamburg ein Hort der Innovationsverweigerer? Andreas Rieckhoff, Staatssekretär in der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation, bestreitet das. Er vermutet hinter dem Engagement der Stuttgarter Landesregierung auch ganz andere Motive.
    "Wenn der Daimler-Konzern in die Lage versetzt würde, ab sofort nur noch seine Mittel- und Oberklassefahrzeuge zu verkaufen und alle die Fahrzeuge kaufen müssen, dann wäre das natürlich sehr gut für den Automobilstandort Stuttgart und Baden-Württemberg…"
    … so Andreas Rieckhoff. Die Freie und Hansestadt Hamburg setzt weiter auf viele Einzelmaßnahmen, um die Stickoxidkonzentrationen im Straßenraum zu senken. Eine dieser Maßnahmen ist die im Sommer schriftlich fixierte Kooperationen mit Volkswagen, mit dem Konzern, der den immensen Stickoxidausstoß seiner Autos vertuschen wollte. Im "Memorandum of Understanding", unterschrieben von Bürgermeister Olaf Scholz und VW-Chef Matthias Müller, heißt es:
    "Automatisiertes Fahren und Parken und alternative Technologien sowie Luftreinhaltung sind Eckpfeiler der Partnerschaft. Für Volkswagen ist die Partnerschaft ein weiterer Baustein seiner neuen Strategie "Together 2025", für die Stadt Hamburg ist sie ein wichtiger Schritt im Rahmen ihrer Strategie zur Entwicklung Intelligenter Verkehrssysteme und der Bewerbung um den ITS-Weltkongress im Jahr 2021."
    Zwei Bundesländer, zwei Strategien
    Auf Fortschritt setzen also beide Bundesländer. Nur mit unterschiedlichen Auto-Fabrikanten an ihrer Seite. Wie wirksam die Hamburger Strategie ist, mit vielen Einzelmaßnahmen zum Ziel, also zu sehr viel niedrigeren Stickoxidwerten zu kommen, soll ein Gutachten klären. Erstellt wird es von der IVU Umwelt GmbH aus Freiburg, die schon im Auftrag des Berliner Senats Maßnahmen gegen die dortigen Stickoxidwerte durchgerechnet hat. Zunächst, so Geschäftsführer Volker Diegmann, gehe es zunächst darum, alle Daten in ein Computermodell einzugeben:
    "Wir bekommen von der Stadt Hamburg eben die Daten zur Verfügung gestellt. Und das betrifft industrielle Quellen, Kraftwerke, das betrifft den Hausbrand, also das, was wir für die Heizung oder für Warmwasser eben auch an Energie und damit an Schadstoffen eben auch ausstoßen. Das betrifft aber eben auch den Schiffsverkehr, also den Hafenbereich. Und eben auch den Bahnverkehr zum Beispiel. Aber eben genauso den Straßenverkehr."
    Danach werden die Effekte der einzelnen Maßnahmen überprüft: 30er-Zonen, andere Ampelschaltungen oder Verkehrsführungen. Der Berliner Senat hat auf Grundlage von Volker Diegmanns Berechnungen "Tempo 30" auf über einhundert Kilometern Hauptstraße eingeführt und damit die Stickoxidwerte senken können. Und natürlich hätte auch die "Blaue Plakette" einen Effekt auf die NO2-Konzentration in den Städten, erklärt Volker Diegmann:
    "Die ‚Blaue Plakette‘ als Idee, ältere Dieselfahrzeuge – so alt sind sie denn aber gar nicht - aber eben doch einer bestimmten Art von Dieselfahrzeugen die Einfahrt in solche Regionen zu verbieten, würde dazu führen: weniger Schadstoffe auszustoßen. Und das würde dann in der Modellkette am Ende herauskommen, dass auch weniger Schadstoffe in unseren Nasen ankommen."
    Der Auspuff eines Dieselfahrzeugs
    Der Auspuff eines Dieselfahrzeugs (AP Archiv)
    Ohne neue Maßnahmen können Stickoxid-Grenzwerte nicht eingehalten werden
    Hamburg und Stuttgart, zwei Städte und zwei Rezepte gegen zu hohe Stickstoffdioxidwerte. Die einen wollen vor allem Autofahrer und die heimische Wirtschaft nicht verärgern, wollen das Ziel mit vielen kleinen und größeren, für die Bürgerinnen und Bürger aber möglichst kaum spürbaren Maßnahmen erreichen. Die anderen plädieren zusätzlich noch für eine "Blaue Plakette", für ein Instrument, das auch das Umweltbundesamt empfiehlt. Ohne diese Neuerung, erklärt Marcel Langner, der Leiter des Fachbereichs "Grundsatzfragen der Luftreinhaltung" im Bundesamt, ohne diese Neuerungen würde es viel zu lange dauern, die seit Jahren schon geltenden Grenzwerte auch wirklich einzuhalten:
    "Was die "Blaue Plakette" angeht, ist das die einzige Einzelmaßnahme, die wir kennen, die tatsächlich nachher dazu führt, dass wir in absehbarer Zeit Grenzwerte einhalten können."
    Die Wirklichkeit richtet sich nicht nach Zielzahlen
    Wird denn, wenn in einigen Wochen unterschiedliche Hamburger Verkehrsszenarien von Computern durchgerechnet worden sind, wenn die wirklich spannende Arbeit an Volker Diegmanns Gutachten beginnt, wird dann auch das Abgas-Szenario nach Einführung einer "Blauen Plakette" simuliert? Andreas Rieckhoff, Staatsrat in der Hamburger Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation:
    "Meines Wissens nicht. Er prüft Geschwindigkeitsbegrenzungen und LKW-Führung und viele, viele Dinge. Aber eine "Blaue Plakette" ohne Umweltzone ist ja auch nicht hilfreich. Insofern wird dieses Instrument für Hamburg ja gar nicht zur Anwendung kommen können."
    Und außerdem, so Andreas Rieckhoff, müsste in der Debatte um zu hohe Stickoxidbelastungen auch der Stellenwert von Abgasgrenzwerten hinterfragt werden:
    "Was wir für falsch halten, ist, dass man politische Forderungen aufstellt, die im Prinzip darauf hinauslaufen, dass sich die Wirklichkeit nach Zielzahlen zu richten hat. In Wahrheit müssen die Zielzahlen nach den Möglichkeiten, die man auch tatsächlich zur Verfügung hat."
    Bis zur Einführung der Plakette würden so oder so Jahre vergehen
    Der Hamburger Senat, so scheint es, wird die Bundesratsinitiative aus Baden-Württemberg zur Einführung der "Blauen Plakette" nicht unterstützen. Winfried Kretschmann und sein Verkehrsminister Winfried Hermann werden weiter für ihre Idee unter den anderen Ländern werben. Bremen, Berlin und Hessen seien schon mit im Boot, erzählt Winfried Hermann. Demnächst will er in Nordrhein-Westfalen dafür werben. Selbst wenn Winfried Hermann Erfolg hat, würden bis zur Einführung der "Blauen Plakette", bis zum Auslaufen von Übergangsfristen noch Jahre vergehen. Die Menschen an der Max-Brauer-Allee, der Stresemannstraße, in der Landshuter Allee und am Neckartor müssen sich noch gedulden.