Archiv

Streit um die Volksbühne
Wechselseitige Vorwürfe

Wer ist schuld an dem Debakel um die Berliner Volksbühne? Der ehemalige Intendant Chris Dercon und die Opposition machen SPD-Bürgermeister Michael Müller schwere Vorwürfe. Dass Müller so einfach aus der Sache rauskommt, hält Dlf-Kulturkorrespondentin Christiane Habermalz für wenig wahrscheinlich.

Christiane Habermalz im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske |
    "Tchüss, Chris"-Plakate kommentieren den Rückzug des Belgiers Chris Dercon als Intendant der Berliner Volksbühne am 13.4.2018.
    "Tschüss, Chris"-Plakate kommentieren den Rückzug des Belgiers Chris Dercon als Intendant der Berliner Volksbühne. (Deutschlandradio / Karoline Scheer)
    Nach dem Abgang des umstrittenen Intendanten Chris Dercon geht die Diskussion um die Volksbühne weiter. RBB, NDR und "Süddeutsche Zeitung" hatten berichtet, dass der Volksbühne offenbar der "finanzielle Kollaps" drohe. Demnach habe Dercon mit Sponsoren-Geldern in Höhe von 1,25 Millionen Euro gerechnet - vergangenes Jahr sei die Volksbühne aber nur noch von einem Zehntel des Betrags ausgegangen.
    Auch im Kulturausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses ist heute über die Lage der Volksbühne diskutiert worden – auf Antrag der FDP-Fraktion. Von "finanziellem Kollaps" habe der Berliner Kultursenator Klaus Lederer heute nicht sprechen wollen, berichtet Kulturkorrespondentin Christiane Habermalz. Die strukturellen Probleme seien aber so groß, dass es unweigerlich zu einem finanziellen Desaster gekommen wäre. Chris Dercon habe der Senatsverwaltung selbst mitgeteilt, dass die Defizitsituation bei den Einnahmen und die sehr kostspieligen Gastspiele und Co-Produktionen der Vergangenheit ihn zwingen würden, eine für den Herbst angesetzte Produktion ins nächste Jahr zu verschieben. Außerdem sei im Schnitt jede Abendvorstellung aufgrund des geringen Publikumszuspruchs und der hohen Kosten mit einem Defizit verbunden.
    Problemprojekt Tempelhof
    Offenbar fehlten wohl auch die Mittel, um Dercons Plan zu finanzieren, in einem Hangar des stillgelegten Flughafens Tempelhof eine große interdisziplinäre Performance- und Theaterspielstätte zu errichten. Diese sollte unter der Dachmarke Volksbühne firmieren. Das habe Dercon laut Medienberichten mit dem damaligen Regierenden Bürgermeister und Kultursenator Michael Müller (SPD) so abgesprochen.
    In einem Gespräch mit NDR, rbb und Süddeutscher Zeitung hatte Chris Dercon Müller angegriffen: "Ich habe mich vier Mal mit Müller getroffen und nie wieder etwas von ihm gehört", so zitiert der rbb Dercon. "Das ist hier ein Appell und das sage ich auch gern: Wo ist der Herr Regierende Bürgermeister Michael Müller? Quo vadis, Herr Müller? Wo gehen Sie hin? Was wollen Sie? Übernehmen Sie Verantwortung?"
    Mitverantwortliche Politik?
    Dass Müller so einfach aus der Sache rauskommt, hält Dlf-Kulturkorrespondentin Christiane Habermalz für wenig wahrscheinlich - denn auch Vertreter der Opposition gaben vor dem Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses Müller, dem früheren Kulturstaatssekretär Tim Renner (SPD) und Lederer eine Mitschuld an dem Debakel. "Von Seiten der Exekutive ist alles getan worden, dass das Konzept Dercon scheitert", sagte der CDU-Abgeordnete Robbin Juhnke. Lederer wies die Vorwürfe zurück. Er sagte, schon im vergangenen November habe es Anzeichen gegeben, dass Dercons Konzept für die renommierte Bühne finanziell nicht aufgehe. Dennoch habe der Belgier in keiner Weise gegengesteuert. "Es gab keinerlei Ansatz, keinerlei Idee, wo es hingehen sollte", so Lederer.
    Dercon hat noch vor Ende seiner ersten Spielzeit seinen Posten geräumt. Dem Belgier war seit seiner Berufung vehemente Kritik aus der Berliner Kulturszene entgegen. Dem früheren Londoner Museumsleiter wurde etwa vorgeworfen, aus der Traditionsbühne eine "Eventbude" zu machen. Ob Dercon eine Abfindung bekommt, wollte Lederer bis jetzt nicht sagen.
    Langwierige Nachfolgefrage
    Was die Nachfolge von Chris Dercon betrifft, muss sich die Berliner Volksbühne wohl auf eine lange Hängepartie einstellen - Lederer geht laut Habermalz wohl von bis zu zwei Jahren aus. Im verantwortlichen Ausschuss des Abgeordnetenhauses fand Lederer breite Unterstützung für seinen Kurs, diese Frage in aller Ruhe zu klären. Lederer sagte, Eile wäre ganz falsch - zunächst gehe es darum, das Theater überhaupt wieder arbeitsfähig zu machen. Sämtliche Mitarbeiterverträge sollten deshalb wie vereinbart weiterlaufen. "Die Mitarbeiter sind jetzt das Pfund, die Basis dafür, dass die Volksbühne wieder anfangen kann."
    Der kommissarische Intendant der Volksbühne, Klaus Dörr, brachte eine Führungsstruktur mit mehreren Personen ins Gespräch. Angesichts "der Bedeutung der Ära Frank Castorfs" halte er es fast für ausgeschlossen, dass ein einzelner Intendant die Aufgabe schaffe. Dörr erklärte außerdem zur finanziellen Frage, er wolle repertoirefähige Neuproduktionen initiieren. Und vielleicht, so Dörr, sei ja ein befreundetes Theater zu solidarischer Unterstützung bereit.