Die Flüchtlingskrise, die Kölner Silvesternacht und der rheinland-pfälzische Landtags-Wahlkampf: Anfang des Jahres schaukelte sich die politische Diskussion um das Thema Muslime und Integration in und um Mainz herum mit schrillen Tönen hoch. Miguel Vicente, Integrationsbeauftragter der Regierung Dreyer, lud daraufhin den Runden Tisch Islam zu einer Art Krisengipfel. Damals demonstrierte der Sozialdemokrat Zuversicht:
"Der Runde Tisch Islam existiert jetzt seit vier Jahren. Wir treffen uns regelmäßig. Wir haben dort unglaublich viel voneinander gelernt."
Der enge Austausch mit den islamischen Verbänden, war sich Vicente damals sicher, werde am Ende dazu führen,
"dass wir einen gemeinsamen Vertrag unterschreiben werden, dass wir in absehbarer Zukunft auch Religionsunterricht in den Schulen anbieten können, der ähnlich ist mit den anderen Religionsgemeinschaften. Also wir reden nicht nur miteinander, sondern wir machen auch konkrete gemeinsame Politik, und das ist schon sehr wertvoll, finde ich."
Ditib und die aktuelle Situation in der Türkei
Der rheinland-pfälzische Ableger von Ditib, dem Dachverband der türkisch-islamischen Moscheegemeinden in Deutschland, galt damals noch als unproblematischer Verhandlungspartner – trotz der engen Verbindungen zur türkischen Regierung. Auch heute noch sagt der Integrationsbeauftragte Miguel Vicente:
"Diese Strukturen waren nie Anlass, Bedenken zu haben, dass ein solcher Durchgriff auch wirklich stattfindet. Im Gegenteil: Ditib galt lange Zeit als Verband, der einen sehr gemäßigten Islam in Deutschland vertritt. Er ist der größte, er ist auch ein sehr offener Moscheeverein, wo auch nicht-türkische Muslime hingehen. Was sich verändert hat, ist die Situation in der Türkei. Wir haben ein anderes Regime, bei dem man genauer hinschauen muss, was dort passiert. Und deswegen muss Ditib seine eigenen Strukturen hinterfragen und so nachjustieren, dass er für uns als legitimer Ansprechpartner und deutsche Religionsgemeinschaft gelten kann."
Oppositionschefin Julia Klöckner von der CDU merkt an:
"Dass hier jetzt die Landesregierung versucht, eine Notbremse zu ziehen, hat sicherlich auch etwas mit der öffentlichen Debatte zu tun."
Nach dem Putschversuch könne man beobachten, kritisiert Joachim Paul von der AfD-Fraktion im Mainzer Landtag,
"dass Ditib bestrebt ist, ihre Macht auszubauen. Vor dem Hintergrund dieser neuen Entwicklung hat man einerseits die Sache viel zu lange laufen lassen. Andererseits wollte man es vielleicht auch nicht sehen. Ich gehe davon aus, dass die Landesregierung so einer Art Integrationsromantik anhängt und hier viel zu blauäugig vorgegangen ist."
Nicht als romantisch, sondern als pragmatisch beschreibt hingegen der sozialdemokratische Integrationsbeauftragte das Handeln der Mainzer Ampel. Man müsse für das in der Verfassung garantierte Recht auf Religionsfreiheit einstehen:
"Es geht ja darum, dass wir Muslimen, die hier in Rheinland-Pfalz leben, auch ein muslimisches Leben ermöglichen können, dass islamische Seelsorge ermöglicht wird. Also, es geht um Fragen, die die einzelnen Menschen betreffen in ihrer Lebensführung - und nicht um die Interessen von Verbänden."
Noch ein Gutachten soll her
Doch mit denen wird verhandelt. Ein erstes staatskirchenrechtliches und religionswissenschaftliches Doppel-Gutachten im Auftrag von Rot-Grün hatte zwar 2015 auch Ditib bescheinigt, ein unbedenklicher Verhandlungspartner zu sein. Nun aber soll ein Folge-Gutachten her. Auch dahinter steht kein Kurswechsel, betont Ministerpräsidentin Malu Dreyer:
"Ganz im Gegenteil, das erste Gutachten hat ja dazu gedient zu überprüfen, ob die Verbände, mit denen wir es zu tun haben, als Religionsgemeinschaften anerkannt werden können. Und da war ein Bestandteil die Frage, inwieweit tatsächlich diese Verbände staatsfern sind oder eben nicht staatsfern sind. Und dieser Bestandteil wird jetzt neu überprüft und zwar mit Blick darauf, dass die Türkei damals ein anderes Land war als zurzeit und ob diese jetzige Situation zu anderen Ergebnissen führt als damals."
Bis dahin liegen die Gespräche auf Eis. Julia Klöckner spottet:
"Diese Landesregierung ist bekannt für ihre Gutachten – und dass Gutachter Gutachten begutachten, die schon mal begutachtet worden sind."
Zunächst mal, so verlangt die CDU-Oppositionschefin von der Regierung Dreyer mit Blick auf deren erklärten Transparenz-Anspruch, müsse das mehr als ein Jahr alte Gutachten veröffentlicht werden, damit alle Fraktionen im Mainzer Landtag darüber debattieren könnten. Vom rheinland-pfälzischen Ditib-Verband erwarten die Christdemokraten, dass er sich abgrenzt von der türkischen Regierung und insbesondere Menschenrechtsverletzungen klar verurteilt. Die seien belegt, und solange Ditib dazu schweige, könne mit der Organisation nicht über Islamunterricht gesprochen werden. Die AfD geht in ihrer Kritik weiter – ganz ohne Gutachten. Joachim Paul:
"Ditib ist eine straff geführte Funktionärs- und Kaderpartei."
Integrationsbeauftragter nennt Forderungen an Ditib
Die müsse vom Verfassungsschutz beobachtet und mit einem "Moratorium" für Moscheebau und andere Aktivitäten belegt werden. Die Rechtspopulisten schlachteten das Thema aus, um zu spalten, kontert wiederum der Integrationsbeauftragte der Mainzer Landesregierung. Für Miguel Vicente muss Ditib neben dem neuen Gutachten vor allem eine Hürde nehmen, nämlich staatsnahe türkische Mitglieder von der Spitze der Landesgremien verbannen und diese ausschließlich mit rheinland-pfälzischen Muslimen besetzen.
"Und wenn wir eine Lösung finden, die das gewährleistet, denke ich, dass nichts im Wege steht, mit Ditib weiterhin als Religionsgemeinschaft zusammenzuarbeiten."
Auf Dauerfeuer von AfD, CDU und auch Teilen der Grünen, die in Mainz mitregieren, muss sich die rheinland-pfälzische Ampel-Koalition dann allerdings gefasst machen.