"Dass es ein Symbol für Flüchtlinge ist und dass die willkommen sind, das finde ich super. Ich finde den einfach nicht so schön." / "Stört ja eigentlich nicht, deswegen könnte man den ja auch einfach kaufen." / "Ja, also ich würde auch sagen, der kann stehen bleiben." / "Wenn eine Skulptur oder so etwas stehen würde, irgendwas Tolles. Aber das, ich weiß nicht, was das - nee."
Er polarisiert, der Obelisk, "Das Fremdlinge und Flüchtlinge Monument". Grauer Beton, über 16 Meter hoch. Er fällt auf, aber dominiert den Königsplatz in Kassel nicht. Wirkt eher, als hätte er sich verlaufen. Er gibt sich nicht so distanziert wie viele seiner großen Obelisken-Kollegen in Washington oder Rom. Der Obelisk in Kassel ist nahbar.
"Eigentlich ist gut, dass die Leute kann da sitzen, ja." / "Wenn Leute müde und keine Platz mehr, dann sitze hier einfach."
So wie diese beiden Männer aus Afghanistan. Am Fuß des "Flüchtlinge Monuments" sitzen tatsächlich oft Flüchtlinge, erzählt Harald Fischer, katholischer Pfarrer in Kassel. Er gehört zu den Befürwortern des Obelisken, denn der provoziere durch das Bibelzitat, das auf ihm zu lesen ist: "Ich war ein Fremdling und ihr habt mich beherbergt."
"Wobei ich auch genial finde, dass nicht der Verweis auf die Bibel da ist. Nicht alle Leute können entziffern, dass das ein Jesus-Wort ist. Ich finde das eine ganz gute Form, in die Grundlagen der christlichen Kultur zu schauen, und die Bibel eben als kulturstiftend auch wahrzunehmen."
"Wenn man es aus seinem Kontext herausnimmt, verliert es an Bedeutung"
"Würde man jetzt 'Matthäus 35, Vers 25' darunterschreiben, dann hätte man eine Illustration eines Jesuswortes. Das will der Künstler nicht. Sondern er will einen Impuls umsetzen. Und dieser Impuls zwingt gerade dazu, nur den Satz zu sagen und es nicht als Zitat zu sagen",
findet Andreas Mertin. Der Theologe und Publizist befasst sich seit Jahren mit dem Verhältnis von zeitgenössischer Kunst und Religion. "Ich war ein Fremdling und ihr habt mich beherbergt", das steht in vier Sprachen auf dem Obelisken. Deutsch, Englisch, Türkisch und Arabisch. Dass nicht erkennbar wird, dass dieser Satz aus der Bibel stammt, überzeugt allerdings nicht jeden.
"Dieses Wort, wenn man es aus seinem Kontext herausnimmt, verliert es an Bedeutung",
sagt Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland. Für ihn ist das zitierte Jesus-Wort:
"Teil eines nicht ganz unproblematischen Ganzen, nämlich eines Textes, den sozusagen der Weltenrichter spricht und die Guten und die Bösen voneinander sondert. Und diejenigen, die Fremdlinge aufnehmen, die kommen in den Himmel. Und diejenigen, die das nicht tun, denen wird die Hölle angedroht. Also: Dieser Text ist in sich ambivalent. Großartig, aber auch zum Fürchten. Und wenn man ihn nur sozusagen als Parole zitiert, ohne eine eigene ästhetische Idee davon zu entwickeln - die Gebrochenheit, die Ambivalenz dieses Verses – dann, finde ich, ist das zu kurz gegriffen."
"Wichtig für alle Menschen, ob sie religiös sind oder nicht"
Den Obelisken entworfen hat der Künstler Olu Oguibe. Er wurde 1964 in Nigeria geboren und lebt inzwischen in den USA.
"Ich bin selbst nicht religiös, habe aber einen christlichen Hintergrund. Ich war Kinderprediger, mein Vater ist Prediger. Ich glaube, dass man im Christentum und in allen Religionen einen humanistischen Kern finden kann. Der ist wichtig für alle Menschen, ob sie religiös sind oder nicht."
Ist es dann wichtig für Olu Oguibe, dass das Zitat auf seinem Kunstwerk aus Bibel stammt?
"Beides. Es ist wichtig, es ist aber auch nicht wichtig. Wenn das Zitat von Shakespeare oder Goethe wäre, würde ich es trotzdem benutzen. Es hätte dieselbe Bedeutung."
Dürer, Ensor, Beuys, Oguibe
Das sieht der Kirchenkunstexperte Andreas Mertin anders. Er findet es außergewöhnlich, dass hier ein Jesus-Zitat in einem nicht-christlichen Kunstwerk verwendet wird.
"Weil es sich in eine Geschichte der künstlerischen Aneignungen dessen einordnet, was Christentum ist. Das beginnt mit Dürer, wenn er sich so selber ein Porträt malt, das aussieht wie Jesus Christus. Das geht mit James Ensor weiter, der eine Kreuzigung malt und drüberschreibt nicht 'INRI', sondern 'James Ensor'. Bei Beuys, bei der Fußwaschung - und jetzt ist das neuste Werk eben der Obelisk. Also insofern ist das eine sehr ehrenwerte Tradition über 500 Jahre, wie Künstler sich Themen des Christentums aneignen und zu ihren eigenen machen und ausdrücken."
Olu Oguibe zielt mit dieser Aneignung unter anderem auf rechte politische Parteien, die sich als christlich verstehen.
"Die Rechten in Europa tun so, als würden sie das christliche Erbe verteidigen, dabei glauben sie gar nicht an die zentralen Werte des Christentums. Sie predigen diese Werte, aber leben sie nicht. In meinem Verständnis sind diese Rechten überhaupt nicht christlich."
"Ein Geschenk der Flüchtlinge an die Stadt"
Olu Oguibe hat mit seinem Obelisken aber nicht nur aktuelle Debatten im Blick. Er verweist damit auch auf die Geschichte Kassels. Der Obelisk steht auf dem Königsplatz, und der wurde von Simon Louis du Ry entworfen. Die Großeltern des Architekten waren vor mehr als 300 Jahren als protestantische Hugenotten aus dem katholischen Frankreich nach Kassel geflüchtet.
"Das Edikt von Kassel garantierte den Hugenotten Schutz. Umgekehrt kann man den Königsplatz als ein Geschenk der Flüchtlinge an die Stadt ansehen."
Deswegen sollte sein "Flüchtlinge Monument" auch genau da bleiben, wo es ist, findet Olu Oguibe. In Kassel wird allerdings unter anderem diskutiert, den Obelisken an einem anderen Ort aufzustellen. Das würde das Werk zerstören, sagt der Künstler.
"If you were to move the obelisk to a different location, it destroys the work."
"Ein richtig gutes Symbol" oder "zu platt"?
Auch Pfarrer Harald Fischer befürwortet den Standort Königsplatz - und findet besonders gut, dass der Obelisk nicht in der Mitte des Platzes steht.
"Der mittige Obelisk ist in der Antike immer ein Zeichen für die Macht des Herrschers gewesen. Und hier, den Obelisken rausgenommen aus der Mitte, das ist ein Symbol für die gebrochene Macht. Und damit auch so ein Zeichen, dass unsere Kultur eben auf der Solidarität - wenn ich es religiös sage: auf der Nächstenliebe - fußt. Da finde ich den Obelisken aus der Mitte rausgenommen ein richtig gutes Symbol für."
"Ich fand das aber beim ersten Anblick damals in der documenta zu platt",
sagt hingegen Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter der EKD:
"Ein solches Bibelwort zu nehmen, das nicht auf Macht, sondern auf Ohnmacht hin ausgerichtet ist, und auf ein Zitat von antiker und klassischer Machtarchitektur zu setzen - das hat mich erstmal nicht überzeugt."
"Ich weiß nicht, was da so teuer dran ist"
Wenig überzeugend finden viele Menschen in Kassel auch, was der Obelisk nun kosten soll:
Passantin: "Ja, die wollen da unheimlich viel - ich hab's schon wieder vergessen. Jedenfalls: Eine Unsumme will der haben."
Christian Röther: "600.000 Euro"
Passantin: "Ich weiß nicht, was da so teuer dran ist. Aber es ist so. Künstler ..."
Christian Röther: "600.000 Euro"
Passantin: "Ich weiß nicht, was da so teuer dran ist. Aber es ist so. Künstler ..."
"Kunst kostet Geld, das ist gar keine Frage. Es kostet viel Geld. Aber man muss eben auch sagen, wenn man vergleichbare Werke sich anschaut - von Gerhard Richter, von Penone, von Jonathan Borofsky, alles Werke, die auch in Kassel zu finden sind - dann finde ich es ein sehr preiswertes Werk", sagt Kunstexperte Andreas Mertin. Der Künstler Olu Oguibe und die Stadt Kassel haben eine Spendenkampagne gestartet. Die Bürger sollen das Kunstwerk finanzieren, erklärt Susanne Völker, Kulturdezernentin in Kassel.
"Dieser Spendenaufruf hat im Februar begonnen und wir stehen jetzt bei gut 100.000 Euro von über 500 Spendern. Olu Oguibe hat sich ganz bewusst auf einen offenen Ausgang eingelassen. Er hat eine Zielvorstellung geäußert, hat aber gleichzeitig gesagt: Das Angebot, was ihm die Menschen in dieser Stadt dann machen, damit setzt er sich auseinander, und möchte mit uns gemeinsam daran arbeiten, dass der Obelisk in Kassel bleiben kann."
"We will do everything necessary to see that the work stays and that the people are not disappointed."
"Sehr froh darüber, dass es diese Debatte gibt"
Sehr gut möglich also, dass der Obelisk am Ende weniger kostet als 600.000 Euro - und auf dem Königsplatz bleibt. Dann werden allerdings trotzdem Menschen enttäuscht sein - nämlich die, die das "Flüchtlinge Monument" nicht haben wollen, es "Denkmal der Dummheit" nennen oder, wie die AfD, "Symbol der grundgesetzwidrigen Masseneinwanderung". Künstler Olu Oguibe und Kulturdezernentin Susanne Völker teilen diese Positionen nicht, begrüßen aber die Debatte.
Olu Oguibe: "I'd like to thank everyone who has taken part in the conversations, whatever their position. Because I think that having that conversation has been important."
Susanne Völker: "Wenn zeitgenössische Kunst solche Debatten nicht auslöst, dann hat sie auch nicht die Kraft, die sie braucht, um in einer Gesellschaft etwas zu bewirken. Und insofern sind wir sehr froh darüber, dass es diese Debatte gibt."
Susanne Völker: "Wenn zeitgenössische Kunst solche Debatten nicht auslöst, dann hat sie auch nicht die Kraft, die sie braucht, um in einer Gesellschaft etwas zu bewirken. Und insofern sind wir sehr froh darüber, dass es diese Debatte gibt."