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Streit um EU-Spitzenamt
"Es kommt auf viele Einzelgespräche an"

Um eine Mehrheit für Jean-Claude Junckers (EVP) Kandidatur für die Kommmissionspräsidentschaft zu bekommen, müsse mit den Fraktionen im EU-Parlament gesprochen werden, sagt Gunther Krichbaum im DLF. Der CDU-Europa-Experte schließt allerdings Gespräche mit rechtspopulistischen Kräften aus.

Gunther Krichbaum im Gespräch mit Bettina Klein |
    Gunther Krichbaum , CDU, Vorsitzender des Bundestagsausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union, mit zu einer Geste erhobener Hände im Porträt
    Gunther Krichbaum , CDU, Vorsitzender des Bundestagsausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union (picture-alliance/EPa/Zipi)
    "Niemand kommt daran vorbei, dass die EVP die Wahl gewonnen hat", sagte Krichbaum weiter. Daher sei der konservativen Partei EVP auch das Vorschlagsrecht für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten vorbehalten. Nun müssten auch Einzelgespräche geführt werden. "Das macht die Sache am Ende auch so kompliziert", ergänzt er. Viele neue Parteien hätten sich noch gar nicht formiert. Dennoch schloss Krichbaum jetzt schon Gespräche mit rechtspopulistischen Parteien aus.
    Krichbaum zeigte sich sehr zuversichtlich hinsichtlich Junckers Kandidatur, da dieser einen breiten Rückhalt in vielen europäischen Ländern habe, "vor allem auch in den Südländern, die von der Finanzkrise besondern stark betroffen sind". Zudem sei er als ehemaliger Chef der Euro-Gruppe geschätzt und anerkannt.

    Das gesamte Gespräch mit Gunther Krichbaum lesen Sie hier:
    Bettina Klein: Besprechen wollen wir einige der gerade schon angeschnittenen Punkte mit Gunther Krichbaum (CDU), Vorsitzender vom Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union im Deutschen Bundestag. Ich grüße Sie.
    Gunther Krichbaum: Schönen guten Tag.
    Klein: Herr Krichbaum, die Union war stärkste Kraft gestern, sowohl in Deutschland als auch in Europa. Die SPD und ihr Spitzenkandidat Martin Schulz wollen dennoch weiter versuchen, ob es nicht doch für ihn als Kommissionspräsidenten – und das ist die große Personalie, über die heute in Brüssel und Berlin diskutiert wird -, ob es nicht doch eine Mehrheit für ihn als Kommissionspräsidenten möglicherweise gibt. Ist das gerechtfertigt Ihrer Meinung nach?
    Krichbaum: Was Herrn Schulz angeht, da sind ja seine Einlassungen heute schon wesentlich ruhiger und leiser geworden, als es gestern noch klang und war. In der Tat wird es natürlich jetzt darauf ankommen, eine Mehrheit für Jean-Claude Juncker zu schmieden. Das wird nicht einfach sein, weil die Parteifamilien sind vielleicht nicht so homogen, wie wir das in Deutschland hier jetzt erwarten würden. Deswegen: Da stehen noch schwierige Gespräche bevor. Heute Abend wird sicher im Bundeskanzleramt dann auch Angela Merkel zusammen mit Horst Seehofer und natürlich dann auch Herrn Gabriel schon einmal Gedanken machen, in welche Richtung es gehen kann. Morgen haben wir dann den informellen Rat und man kann davon ausgehen, dass natürlich hier schon versucht wird, die Lage zu sondieren.
    Klein: Haben Sie eine Ahnung, welche Art von Strategie da ausgearbeitet werden wird?
    Krichbaum: Ich denke, es kommt ja niemand daran vorbei, dass die EVP die Wahl gewonnen hat. Die EVP ist mit Abstand die stärkste Parteifamilie. Das heißt, ihr kommt natürlich das Vorschlagsrecht zu. Es wird dann aber auch darauf ankommen, hier alle in ein Boot zu holen, denn ich würde jetzt auch noch nicht sagen wollen, dass da alle bereits drin sitzen. Wir haben Länder, von denen wir wissen, dass da in der Vergangenheit Vorbehalte kamen. Da nenne ich Schweden, nenne Dänemark, sicherlich wird England auch eine gewisse Rolle spielen. Man darf aber auch nicht vergessen, dass die Tories heute schon in einer anderen Fraktionsgemeinschaft sind. Aber gleichwohl: Das werden sicherlich noch sehr, sehr schwierige Gespräche werden für die nächsten Tage oder gar Wochen.
    Juncker hat breite Unterstützung in Südländern
    Klein: Wo, denken Sie, kann die EVP oder kann die CDU, kann CDU/CSU in Deutschland noch Unterstützer für Herrn Juncker finden, wenn nicht in den eigenen Reihen?
    Krichbaum: Ich denke, Jean-Claude Juncker hat eine breite Unterstützung und einen breiten Rückhalt wirklich in vielen Ländern Europas, namentlich auch in den Südländern, die ihrerseits von der Wirtschafts- und Finanzkrise wesentlich schärfer betroffen waren und das bis zum heutigen Tage auch sind, als wir in Deutschland. Deswegen: Er ist geschätzt und anerkannt, natürlich auch als ehemaliger Chef der Euro-Gruppe gerade auch in Deutschland, aber auch natürlich in Frankreich, in Österreich und vielen anderen Ländern. Und so wie jetzt gestern zum Beispiel Herr Schulz in Deutschland mehr punkten konnte aufgrund des Heimvorteils, hat natürlich seine Partei einen ordentlichen Zuwachs in Luxemburg verzeichnen können. Deswegen: Er kann sich sicherlich auf einen sehr, sehr breiten Rückhalt stützen. Aber wie gesagt: Alleine das wird noch nicht reichen.
    Klein: Es geht ja auch nicht nur um Unterstützung aus Ländern, sondern um Unterstützung aus dem Europaparlament, und da wäre die Frage, auf welche Fraktionen setzen Sie denn noch, wenn Sie eine Unterstützung für Herrn Juncker dort brauchen?
    Krichbaum: Das wird sich jetzt erst über die nächsten Tage und Wochen weisen müssen, weil viele der auch neuen Parteien haben sich ja noch gar nicht positioniert, in welche Fraktionsgemeinschaft sie eintreten wollen. Es wird einen natürlichen Koalitionspartner geben, das sind die Liberalen in Europa. Hier spielt natürlich die FDP in Deutschland bei dem Wahlergebnis nur eine untergeordnete Rolle, nicht aber so in den anderen Ländern Europas, und da wird man an der Stelle auch weitermachen müssen. Es gibt natürlich auch Parteien, die sich noch gar keiner Fraktionsgemeinschaft angeschlossen haben und vielleicht auch nicht werden. Deswegen: Es wird auch auf viele Einzelgespräche ankommen. Das macht die Sache am Ende auch so kompliziert.
    Klein: Können Sie jetzt schon ausschließen, dass man auf bestimmte Kräfte, etwa auf rechtspopulistische Kräfte, dabei nicht setzen wird?
    Keine Gespräche mit Rechtspopulisten
    Krichbaum: Da glaube ich, sicher sagen zu können, dass man das nicht will. Das hat in Deutschland im Übrigen ja auch eine gute Tradition. So wird es ja auch hier in Deutschland zu keinerlei Koalitionen mit der AfD kommen. Das ist definitiv ausgeschlossen, egal ob das auf Bundes- oder auf Landesebene gilt.
    Klein: ..., die sich selber nicht als rechtspopulistisch betrachtet. Aber wie bewerten Sie denn insgesamt das Erstarken der europaskeptischen Parteien, etwa in Frankreich und Großbritannien? Muss man das aus den nationalen Befindlichkeiten heraus erklären, oder ist es wirklich eine Gefahr für die EU?
    Krichbaum: Zunächst, was den Rechtspopulismus angeht, da ist auch eine AfD nicht frei von Verdacht. Da gäbe es viele Zitate, mit denen man die Partei mal konfrontieren könnte, aus der Vergangenheit. Aber wenn man den Blick in die anderen Länder Europas hinein schwenkt, dann haben wir, siehe Frankreich, eine Front National, die mittlerweile die stärkste Partei in Frankreich geworden ist. Das muss noch aus ganz, ganz anderen Gründen wirklich ein Alarmsignal sein.
    Namentlich aber oftmals auch für die nationalen Regierungen. In Frankreich sehen wir, dass die Wirtschaftskrise nicht konjunkturell, sondern strukturell bedingt ist, dass Hollande viele Reformen nicht unternommen hat, das Land jeden Tag an Wettbewerbsfähigkeit verliert, die Arbeitslosenzahlen nehmen zu. Das heißt, das Frustrationspotenzial in diesen Ländern ist enorm hoch und zeigt sich dann auch in einer Radikalisierung. Wir können aber auch bei den Südländern weitermachen. Hier wurden die ganzen Reformprogramme, Rettungsschirme ja noch letztlich unter den sozialistischen Regierungen vereinbart. Als es dann zum Regierungswechsel kam, musste natürlich oder müssen jetzt natürlich die Regierungsparteien sich da ein Stück weit sozusagen in die Haft nehmen lassen, und wir sehen das auch in Griechenland, egal ob jetzt die Sozialisten oder die Nea Dimokratia, die ihrerseits dann abgestraft wurden und die Syriza als linksextremistische Partei oder linksextreme Partei dann entsprechend den Wahlerfolg für sich hat verbuchen können.
    CSU muss schlechtes Ergebnis diskutieren
    Klein: Herr Krichbaum, abschließend: Die Union hat deshalb etwas schlechter abgeschnitten bei den Wahlen gestern, weil die CSU schlechter abgeschnitten hat und, so die Analyse, es habe ihr gerade nichts genutzt, im Wahlkampf auch Europa-Ressentiments aufzugreifen. Ein klarer Fehler der Schwesterpartei?
    Krichbaum: Ich denke, dass sich der europapolitische Kurs von Angela Merkel als sehr erfolgreich und auch weiterhin erfolgversprechend gezeigt hat, und ich glaube, die Union ist insgesamt gut beraten, genau sich darauf zu besinnen. Ich glaube, dass auch die Menschen dann am Ende sehr, sehr fein differenzieren. Und noch einmal: Wer dann sich ganz gegen Europa wendet und wenden möchte, der wählt dann am Ende die AfD, aber vielleicht nicht die CSU. Deswegen: Ich glaube, gerade bei diesem besonnenen, ausgewogenen Weg sollte man auch weitermachen und diesen fortsetzen, und Angela Merkel hat das ...
    Klein: Es war ein Fehler der CSU?
    Krichbaum: Ich denke, dass man hier seitens der CSU sicherlich jetzt einen gewissen Diskussionsbedarf hat. Wenn man natürlich hier im eigenen Land um acht Prozent nach unten geht, dann muss man sich mit solch einem Ergebnis auseinandersetzen. Und wie gesagt: Vieles war da auch in der Vergangenheit verzerrt. Allein der Ausspruch, 'Wer betrügt, der fliegt', hat ja gezeigt, es gibt eigentlich diese Diskussion kaum. Ich hatte mir selbst die Zahlen aus dem bayerischen Sozialministerium geben lassen. Es gab zirka 570 Fälle im Jahre 2012 auf Sozialmissbrauch und Sozialbetrug bei Deutschen und es waren an die zwölf aus Rumänien, aus Bulgarien niemand, Österreich sieben. Das heißt, die Menschen sehen ja und differenzieren auch, und deswegen glaube ich, ist es auch wichtig, in einem Europawahlkampf die richtigen Botschaften zu senden. Es warten ganz, ganz andere Herausforderungen auf uns direkt vor der Haustür, siehe Ukraine, siehe die nordafrikanischen Länder. Wenn wir uns hier darum nicht kümmern, werden wir von den Problemen eingeholt und das fällt uns spätestens in zehn, 20 Jahren sonst sehr auf die Füße.
    Klein: Heute mittag bei uns im Deutschlandfunk der CDU-Politiker Gunther Krichbaum, Vorsitzender vom Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union im Deutschen Bundestag, zum Ausgang der gestrigen Europawahl. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Krichbaum.
    Krichbaum: Vielen Dank Ihnen. Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.