Schweden, Ende 2015: Mehr als 160.000 Flüchtlinge waren ins Land gekommen. Ein Rekord, der im Ausland, vor allem in Deutschland, viel Bewunderung brachte. Aber im Inneren sah es anders aus: Die bislang traditionell flüchtlingsfreundliche Stimmung drohte zu kippen, die rechtspopulistischen Schwedendemokraten, aber auch die bürgerliche Opposition äußerten teils heftige Kritik an der Politik der offenen Tür. Da machte Rot-Grün dicht:
"Wir wahren das Recht auf Asyl nach internationalen Konventionen, aber wir passen es dem Minimalstandard in der Europäischen Union an."
sagte Regierungschef Stefan Löfven. Er wollte damit erreichen, dass andere EU-Staaten mehr Flüchtlinge aufnehmen. Die neuen Regeln traten am 20. Juli 2016 rückwirkend zum 24. November 2015 in Kraft.
Unter anderem wurde das bis dato eher großzügige Recht auf Familiennachzug erheblich eingeschränkt. Amin Koko, ein Flüchtling aus Syrien, machte Löfvens Minderheitsregierung bei einer Demonstration gegen das neue Asylgesetz schwere Vorwürfe.
"Wir hatten das Pech, dass unsere Fälle nicht vor dem 20. Juli bearbeitet wurden. Jetzt werden wir unfair behandelt."
In Schweden nur im Ausnahmefall und unter Auflagen
Flüchtlinge, die nach dem 24. November 2015 nach Schweden gekommen sind, haben selbst bei subsidiärem Schutzstatus nur im Ausnahmefall ein Recht auf Familiennachzug. Dieses Recht bekommen sie erst, wenn sie eine befristete Aufenthaltsgenehmigung haben und dann nur, wenn sie nachweisen können, dass sie nachziehende Ehe- oder registrierte -partner und Kinder unter 18 Jahren auch wirklich selbst versorgen können.
Das hat Konsequenzen, und die machen unter anderem Ulrika Årehed Kågström große Sorgen. Sie ist Generalsekretärin des Schwedischen Roten Kreuzes:
"Ich bin zutiefst beunruhigt über diese Entwicklung. Für viele Menschen, die nach Schweden geflohen sind, um hier Schutz zu suchen, kann es Jahre dauern, bis sie mit ihrem Mann, ihrer Frau oder ihren Kindern wiedervereint werden. In manchen Fällen ist es praktisch unmöglich."
In Italien zählt die Familie viel - aber es gibt andere Hürden
Über das Thema Flüchtlinge wird in Italien viel gesprochen. Der Familiennachzug ist dagegen hierzulande kein großes Thema, bestätigt Christopher Hein, der die italienische Flüchtlingspolitik schon seit Jahrzehnten begleitet.
"Das wird lässiger angesehen. Es wird als fast naturrechtliche Eigenschaft angesehen, dass Menschen, die auf die eine oder andere Art Rechtsschutz bekommen haben, dann auch zusammenleben können im Asylland mit der Familie."
Weil die in Italien traditionell einen hohen Stellenwert hat. Deshalb unterscheidet das italienische Recht auch nicht zwischen politisch anerkannten Flüchtlingen und Menschen, die nur vorläufigen Schutz erhalten, weil sie zum Beispiel aus einem Bürgerkriegsland kommen.
Familie bleibt eben Familie, so die italienische Sichtweise, die von einer breiten Bevölkerungsmehrheit getragen wird - übrigens auch mit Rückendeckung durch Papst Franziskus, der in Italien in der politischen Diskussion eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt.
Liberale Gesetze treffen auf umständliche Wirklichkeit
Das heißt allerdings nicht, dass es beim Familiennachzug in Italien keine Probleme gibt, sagt Christopher Hein, der 1990 den italienischen Flüchtlingsrat mitgegründet hat. Inzwischen ist er Dozent für Migrationsrecht an einer Privat-Universität in Rom.
"Man muss immer unterscheiden, gerade in Italien: Das eine ist eine relativ offene und liberale Rechtslage aufgrund des Gesetzes, das andere ist die konkrete verwaltungsmäßige bürokratische Praxis, wo den Menschen in der Tat viele Hemmnisse in den Weg gelegt werden."
Formulare, die zwischen Italien und den Botschaften in den Herkunftsländern hin- und hergeschickt werden, umständliche Ehenachweise bis hin zu teuren Gen-Tests für die Kinder - in der Praxis stößt auch der Familiennachzug nach Italien immer wieder an Grenzen.
Christopher Hein hält das für einen Fehler. Der Familiennachzug erleichtert nachweislich die Integration in den Gastländern, sagt er, und nebenbei löst er noch ganz andere Probleme:
"Öffnen wir mehr legale Zufahrtswege. Das ist die wirkliche Art, das Schlepperwesen zu bekämpfen."
Anders als bei einer unkontrollierten Zuwanderung können offiziell nachreisende Familienangehörige noch in den Herkunftsländern überprüft werden. Das sorge für mehr Sicherheit, auch in Europa.