Die EU-Mitgliedsstaaten haben gestern in Brüssel beschlossen, die Zulassung von Glyphosat um fünf Jahre zu verlängern. Auch der Vertreter Deutschlands hat offenbar auf Anweisung des CSU-geführten Agrarministerium zugestimmt, obwohl es in dieser Frage einen Dissenz mit dem SPD-geführten Umweltministerium gibt. Eigentlich hätte er sich deshalb enthalten müssen. Nach Ansicht von Umweltministerin Barbara Hendricks gab es keinerlei Anzeichen dafür, dass die EU-Kommission die Entscheidung für die Verlängerung auch alleine getroffen hätte. Landwirtschaftsminister Christian Schmidt habe nun für die Kommission die Kohlen aus dem Feuer geholt - "gegen unsere Absprache", sagte Hendricks im Dlf.
Die Umweltministerin betonte, die Kanzlerin solle nun in eigener Verantwortung entscheiden, wie das Vertrauen zwischen Union und SPD zurückgewonnen werden könne. Sie fordere keine bestimmte Maßnahme, aber es müsse Konsequenzen geben.
Zu große Nähe zwischen Agrarministerium und Bauern?
Hendricks betonte zudem, auf Dauer könne die Verantwortung für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln nicht beim Landwirtschaftsministerium liegen. "Die sind einfach zu nah an der Lobby", so die Umweltministerin. Nach ihrer Einschätzung könnte die Zuständigkeit dafür beim Gesundheitsministerium angesiedelt werden.
Das Interview in voller Länge:
Philipp May: Die deutsche Ja-Stimme war offenbar entscheidend bei dieser EU-Abstimmung und eigentlich hätte sie eine Enthaltung sein müssen. Denn die Union und die SPD waren sich uneins über die weitere Zulassung des Pestizids Glyphosat. Doch entgegen der Geschäftsordnung setzte sich CSU-Landwirtschaftsminister Christian Schmidt darüber hinweg.
Jetzt ist die Bundesumweltministerin am Telefon. Guten Morgen, Barbara Hendricks.
Barbara Hendricks: Guten Morgen, Herr May.
May: Sind Sie noch sauer auf Christian Schmidt?
Hendricks: Was heißt sauer? Das ist einfach so unprofessionell. Man kann doch nicht einfach die Geschäftsordnung der Bundesregierung brechen.
May: Haben Sie schon mit ihm darüber gesprochen?
Hendricks: Nein, danach noch nicht. Aber ich werde ihm heute begegnen, weil er ja auch geschäftsführender Verkehrsminister ist, und wir sind jetzt gleich ab zehn Uhr in der Runde mit den Städten, die besonders unter den Abgasen von Diesel leiden.
May: Was werden Sie ihm sagen?
Hendricks: Ich werde ihm schon noch mal sagen, dass es so nicht geht. Wir haben ja gestern Mittag noch um halb eins miteinander telefoniert. Ich habe ihm erneut klar gemacht, dass ich bei meinem Nein bleibe, und der entscheidende Ausschuss in Brüssel hat zwei Stunden später getagt. Wir haben das ganz klar noch mal gestellt. Er hat mir sogar genau um 13:07 Uhr eine SMS geschrieben, in der dann stand, dass der Dissens bestehen bleibt, und es ist völlig klar nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung, wenn es einen Dissens zwischen zwei Ministerien gibt, dann muss man sich enthalten. Das machen übrigens die Bundesländer im Bundesrat genauso. Das ist absolut normale Übung.
"Ich bin nicht vorgewarnt worden"
May: Das heißt, Sie sind genauso dann überrascht worden von den Eilmeldungen, dass Deutschland für die Glyphosat-Verlängerung gestimmt hat? Sie sind nicht vorgewarnt worden?
Hendricks: Nein, ich bin nicht vorgewarnt worden. Ich bin tatsächlich durch die Meldungen, die aus Brüssel kamen, darüber unterrichtet worden – ja.
May: Christian Schmidt erklärt den Alleingang ja damit, dass sich die EU-Kommission, die dann das letzte Wort gehabt hätte, ohnehin für die Glyphosat-Verlängerung entschieden hätte, und so hätte er immerhin mit einem Ja noch wichtige Bedingungen durchsetzen können wie zum Beispiel die Stärkung der Rolle von Biodiversität und Tierwelt. Ist das nicht ein Punkt?
Hendricks: Natürlich! Wenn es schon dazu kommt, ist es okay, dass mindestens die Mindestbedingungen zugunsten von Tierwelt und Pflanzen erhalten bleiben oder überhaupt erst geschaffen werden, denn das gibt es bisher nicht. Aber es ist ja nicht sicher, ob die Kommission das tatsächlich in eigener Verantwortung verlängert hätte. Denn die Kommission hat ja immerhin mehrfach versucht, eine Mehrheit zustande zu bringen, und das ist erst gestern dadurch gelungen, dass Deutschland zugestimmt hat und sich nicht enthalten hat. Vorher ist es der Kommission eben nicht gelungen.
May: Ach so! Das heißt, das stimmt gar nicht, was Christian Schmidt gesagt hat, dass das so glasklar gewesen wär aus Ihrer Sichte?
Hendricks: Nein, das ist nicht glasklar. Die Kommission könnte es alleine machen, ohne die Zustimmung der Mitgliedsstaaten, aber es ist längst nicht gesagt, dass sie diese schwierige politische Entscheidung alleine gefällt hätte. Es gab immerhin eine Petition, eine europäische Petition, wo sich mehr als eine Million Menschen dagegen ausgesprochen haben. Das lässt normalerweise die Kommission nicht unbeeindruckt. Und ja, der Christian Schmidt hat jetzt für die Kommission praktisch die Kohlen aus dem Feuer geholt und gegen unsere Absprache.
"Die Kommission wollte offenbar nicht alleine entscheiden"
May: Wenn ich Sie richtig verstehe, war auch das eine unredliche Ausrede dann von ihm?
Hendricks: Es ist jedenfalls nicht sicher. Die Kommission hatte dazu sich noch nicht geäußert. Wie gesagt: Rechtlich wäre es möglich, dass die Kommission es auch ohne die Zustimmung der Mitgliedsstaaten getan hätte. Aber wie gesagt: Bisher hat sie keinerlei Anzeichen dazu gemacht. Sie hat ja mehrfach die Mitgliedsländer um Zustimmung gebeten. Offenbar wollte sie nicht alleine entscheiden.
May: Glauben Sie denn Christian Schmidt, dass er im Alleingang wirklich gehandelt hat, ohne Rückendeckung der Kanzlerin?
Hendricks: Wenn er das sagt, dann muss ich davon ausgehen, dass das stimmt. Ich glaube nicht, dass er lügt. Aber umso mehr muss die Kanzlerin dafür sorgen, dass wirklich der Vertrauensverlust, der jetzt ja wirklich große Vertrauensverlust, der jetzt eingetreten ist, geheilt wird. Ich glaube, die Kanzlerin ist am Zuge. Sie muss etwas unternehmen, um diesen Vertrauensverlust zu heilen. Man kann so nicht regieren. Das geht einfach nicht!
May: Ist es tatsächlich so? Sie können das ja mal aus Ihrer Praxis erzählen. Ist es üblich, dass man als Minister nach Brüssel fährt oder abstimmen lässt in Brüssel und sich dann bei einer Abstimmung spontan entscheidet, ohne Rückversicherung aus der Parteizentrale?
Hendricks: Ich weiß nicht, ob der sich in der Parteizentrale rückversichert hat. Ich will nur Folgendes sagen, der Normalfall ist so: Man enthält sich nicht einfach oder stimmt einfach zu oder lehnt ab, sondern derjenige, der die Bundesrepublik Deutschland in Brüssel in einem Rat vertritt, der nimmt einen Sprechzettel mit. Und dieser Sprechzettel wird vorher zwischen den Ministerien abgestimmt. Das war auch in diesem Fall so. Der Sprechzettel war zwischen den Ministerien abgestimmt und daran hat sich derjenige, der in Brüssel abgestimmt hat, nicht gehalten. Natürlich: Das war ein Beamter. Ich kenne seinen Namen gar nicht. Das tut auch nichts zur Sache. Der hat eine Weisung bekommen von seinem Minister, oder von seinem Staatssekretär, von wem auch immer, von irgendeinem Vorgesetzten. Sonst wäre der nicht von dem Sprechzettel abgewichen. Denn das ist eine gebundene Entscheidung, wenn man nach Brüssel fährt. Das macht man nicht mal einfach so auf eigene Kappe.
"Vertrauensbildende Maßnahme muss von der Kanzlerin kommen"
May: Das Kind ist ja jetzt in den Brunnen gefallen. Die Entscheidung für die Verlängerung von Glyphosat ist durch. Sie haben es ja schon rausgestellt: ein klarer Bruch der Geschäftsordnung der Großen Koalition. Wenn die Kanzlerin tatsächlich da nicht eingebunden gewesen ist, was fordern Sie von ihr, was sollte sie tun? Müsste Sie jetzt den Landwirtschaftsminister entlassen?
Hendricks: Ich fordere keine spezielle Maßnahme. Ich habe ja schon gehört, dass andere Menschen seine Entlassung gefordert haben. Ich finde, die Kanzlerin sollte in eigener Verantwortung entscheiden, wie Vertrauen zurückgewonnen werden kann.
May: Aber Konsequenzen müsste es schon geben?
Hendricks: Ja! Es müsste schon Konsequenzen geben. Es muss eine vertrauensbildende Maßnahme kommen. Alles andere geht nicht. Und die vertrauensbildende Maßnahme muss in der Tat von der Kanzlerin kommen.
May: Was wäre denn eine vertrauensbildende Maßnahme? Entlassung, nehme ich mal an, wäre eine vertrauensbildende Maßnahme?
Hendricks: Ja, aber das können wir jetzt durchdeklinieren. Entlassung wäre eine vertrauensbildende Maßnahme. Das heißt aber nicht, dass ich das fordere, sondern es liegt in der Verantwortung der Bundeskanzlerin, eine echte vertrauensbildende Maßnahme jetzt tatsächlich zu finden, die es überhaupt ermöglicht, sinnvolle Gespräche zu führen.
May: Über die Entlassung hinaus, was sollte die Bundeskanzlerin konkret tun?
Hendricks: Ich sage noch mal: Die Bundeskanzlerin ist in eigener Verantwortung dafür zuständig, und ich werde jetzt keine Vorschläge machen, was sie tun sollte. Aber dass sie etwas tun sollte, das liegt auf der Hand.
May: Wie wäre denn ein Vertrauensverlust jetzt zu kitten?
Hendricks: Aber fragen Sie doch nicht immer dieselbe Frage. Ich habe Ihnen jetzt schon gesagt, schon mehrfach, das ist in der Verantwortung der Kanzlerin, eine Maßnahme zu finden, die tatsächlich Vertrauen wieder aufbaut.
"Union hat an mehreren Stellen Koalitionsvertrag gebrochen"
May: Dann frage ich jetzt eine andere Frage. Wenn diese vertrauensbildende Maßnahme nicht kommt, macht unter diesen Umständen eine Große Koalition dann Sinn aus Ihrer Sicht?
Hendricks: Es müssen auf jeden Fall vertrauensbildende Maßnahmen vonseiten der Union kommen. Sehen Sie mal: Die Union hat ja auch an mehreren Stellen gegen Ende der Koalition, also in der letzten Wahlperiode, tatsächlich auch den Koalitionsvertrag gebrochen. Das gilt für wichtige politische Punkte wie zum Beispiel das Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeitarbeit. Das gilt für die Solidarrente. Das gilt auch für völlig unpolitische Punkte wie das Gebäude-Energie-Gesetz, wo die am Schluss irgendwie einfach keine Lust mehr hatten. Also es muss schon die Union ihre Regierungsfähigkeit nachweisen. Sonst hat das alles keinen Zweck.
May: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat jetzt ein Verbot von Glyphosat in spätestens drei Jahren in Frankreich angekündigt. Wäre so etwas jetzt ein guter Kompromiss für Koalitionsverhandlungen, um das Ganze zu befriedigen?
Hendricks: Es ist auf jeden Fall so, dass wir in Deutschland ganz klar deutlich machen müssen, dass es so nicht weitergeht. Es wäre ein guter Kompromiss, wenn man wenigstens nicht fünf Jahre verlängern würde. Also ein guter Kompromiss will ich nicht mal sagen, aber es wäre ein Kompromiss – immerhin -, wenn man nicht fünf Jahre verlängern würde. Und selbstverständlich kommt es darauf an, dass, wenn denn schon jetzt verlängert wird, tatsächlich mit scharfen Regeln auf die Biodiversität, also auf die Artenvielfalt und auch auf das Tierwohl geachtet wird. So geht es nämlich nicht weiter.
Was ich im Übrigen unabhängig davon sagen möchte, ob wir Sozialdemokraten an einer Regierung beteiligt sind oder nicht: Eigentlich kann die Verantwortung für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln nicht auf Dauer beim Landwirtschaftsministerium liegen. Die sind sowas von vermachtet, zusammen mit dem Bauernverband. Die sind einfach zu nah an der Lobby. Wir haben dasselbe ja schon mal erlebt auch beim Verkehrsministerium. Die haben ja auch keine ordentlichen Kontrollen von Fahrzeugen gemacht. Die Typzulassung beim Verkehrsministerium ist in Ordnung; die Kontrollen müssen woanders hin. Und die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln kann nicht auf Dauer im Landwirtschaftsministerium bleiben. Vielleicht muss die zum Beispiel ins Gesundheitsministerium. Jedenfalls da gibt es nicht genug Kontrolle und nicht genug Abstand.
May: Ist das eine ganz klare Bedingung jetzt für Aufnahme von Gesprächen beziehungsweise für eine Koalition?
Hendricks: Nein, das ist keine Bedingung. Ich beteilige mich nicht daran, jetzt Bedingungen zu formulieren. Sie wissen doch: Die Jamaika-Verhandlungen sind insbesondere deswegen gescheitert, weil es einen eklatanten Mangel an Führung gab und weil ein heilloses Wirrwarr an öffentlich ausgetragenen Forderungen für die Regierungsbildung da war. Von so etwas halte ich nichts. Man muss Gespräche führen in aller Ruhe und in aller Klarheit, aber miteinander und nicht über die Medien, und das werden Sie von mir auch nicht hören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.